Samstag, 30. Dezember 2017

1897 Uraufführung des »Cyrano de Bergerac«

Cyrano de Bergerac

Dem Autor Edmond Rostand gelang mit seinem romantisch-verklärten Versdrama »Cyrano de Bergerac« vor 120 Jahren der erste große Erfolg. Die Uraufführung fand am 28. Dezember 1897 am Pariser »Théâtre de la Porte Saint-Martin« statt.

Der langnasige, sprachgewandte und liebesschüchterne Held Cyrano von Bergerac liebt die begehrte Roxane, doch er verhilft ihr zum Liebesglück mit einem hübschen, aber in der Redekunst minder bemittelten Kadetten. Er souffliert ihm unter dem Balkon, schreibt für ihn Liebesbriefe aus dem Krieg und wirbt so mit seinem eigenen Geist durch den Körper des Schönlings um die Dame seines Herzens.


Mit Worten weiß der schöngeistige Offizier Cyrano de Bergerac ebenso virtuos umzugehen wie mit dem Degen. Doch während er so manchen Spötter, der sich allzu lautstark über seine riesige Nase mokiert, im Duell mühelos in die Schranken weist, verschlägt es dem wegen seiner Missgestalt schüchternen Gascogner in der Liebe zu seiner schönen Cousine Roxane die Sprache. Da bittet ihn der stattliche, aber tumbe Jüngling Christian, ihm seine Worte zu leihen, um ausgerechnet Roxane zu betören.


Edmond Rostands turbulent-romantische Verskomödie »Cyrano de Bergerac«, 1897 uraufgeführt, ist bis heute eines der meistgespielten französischen Theaterstücke.

Im 20. Jahrhundert wurde das Drama das meistgespielteste französische Theaterstück. 1950 wurde das Stück mit Jose Ferrer in der Titelrolle in Hollywood verfilmt und 1990 verfilmte es Jean-Paul Rappeneau mit Gerard Depardieu in der Hauptrolle.

1990 erlangte die turbulente Komödie durch die grandiose Verfilmung mit Gérard Depardieu in der Titelrolle neuerlichen Ruhm.

Literatur:

Cyrano de Bergerac
Cyrano de Bergerac
von Edmond Rostand













Donnerstag, 21. Dezember 2017

Heinrich Böll 100. Geburtstag


Heinrich Böll

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Heinrich Böll wurde vor 100 Jahren am 21. Dezember 1917 in Köln als Sohn eines Tischlers in einem katholischen Elternhaus geboren. Böll war ein deutscher Schriftsteller und Übersetzer des 20. Jahrhunderts. Heinrich Böll gilt als einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit.

Heinrich Böll ahm nach dem Abitur eine Lehre im Buchhandel auf, die er bald abbrach. Nach einem gerade begonnenen Studium der Germanistik und klassischen Philosophie wurde Böll 1939 zur Wehrmacht eingezogen. 945 kehrte er aus amerikanischer Kriegsgefangenschaft nach Köln zurück, wo er sein Studium wieder aufnahm und in der Schreinerei seines Bruders arbeitete.

Ab 1947 publizierte er in Zeitschriften und wurde 1951 für die Satire ›Die schwarzen Schafe‹ mit dem Preis der Gruppe 47 ausgezeichnet. Fortan war er als freier Schriftsteller tätig und veröffentlichte Romane, Erzählungen, Hör- und Fernsehspiele sowie Theaterstücke. Außerdem übersetzte er, gemeinsam mit seiner Frau Annemarie, englische und amerikanische Literatur (u. a. George Bernard Shaw und Jerome D. Salinger).

Als Publizist und Autor führte Heinrich Böll Klage gegen die Grauen des Krieges und seine Folgen, polemisierte gegen die Restauration der Nachkriegszeit und wandte sich gegen den Klerikalismus der katholischen Kirche, aus der er 1976 austrat. In den sechziger und siebziger Jahren unterstützte er die Außerparlamentarische Opposition. 1983 protestierte er gegen die atomare Nachrüstung. Insbesondere engagierte sich Böll für verfolgte Schriftsteller im Ostblock. Der 1974 aus der UdSSR ausgewiesene Alexander Solschenizyn war zunächst Bölls Gast.

Ab 1976 gab er, gemeinsam mit Günter Grass und Carola Stern, die Zeitschrift ›L’76. Demokratie und Sozialismus‹ heraus. Der Verband deutscher Schriftsteller wurde 1969 von ihm mitbegründet, und er war Präsident des Internationalen PEN-Clubs (1971 bis 1974). Böll erhielt zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem den Georg-Büchner-Preis (1967), den Nobelpreis für Literatur (1972) und die Carl-von-Ossietzky-Medaille (1974). Im Jahr 1972 erhielt er den Nobelpreis für Literatur.

Der Katholiszismus rheinischer Prägung und der Krieg gehören zu den beiden prägenden Grunderfahrungen des Schriftstellers, die er immer wieder literarisch verarbeitet hat. Zu seinen bekanntesten Werken gehören Romane wie "Irisches Tagebuch", "Ansichten eines Clowns", "Gruppenbild mit Dame" oder "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". Neben vielen anderen Auszeichnungen wurde das literarische Schaffen des gebürtigen Kölners 1972 in Stockholm mit dem Nobelpreis gewürdigt.

Heinrich Böll starb am 16. Juli 1985 in Langenbroich in der Eifel.
Erzählungen
Erzählungen
Ansichten eines Clowns
Ansichten eines Clowns
Ansichten eines Clowns
Ansichten eines Clowns

Ansichten eines Clownes
Die verlorene Ehre
Die verlorene Ehre

Ein Mahner und Moralist, der nicht mehr populär ist, dessen Lektüre jedoch lohnt. Was seinem Werk bis heute Bestand verleiht und im Mittelpunkt seiner erzählerischen und essayistischen Arbeiten steht, ist der Anspruch auf Autonomie, auf eine freie, individuell begründete Parteilichkeit, die sich vorgeformten Denkbahnen entzieht.








Als Publizist und Autor führte Heinrich Böll Klage gegen die Grauen des Krieges und seine Folgen, polemisierte gegen die Restauration der Nachkriegszeit und wandte sich gegen den Klerikalismus der katholischen Kirche, aus der er 1976 austrat. In den sechziger und siebziger Jahren unterstützte er die Außerparlamentarische Opposition. 1983 protestierte er gegen die atomare Nachrüstung.

Heinrich Böll war ein politisch engagierter Schrifsteller und ein wehrhafter Demokrat, der immer wieder seine Stimme gegen das Unrecht erhob. Für Heinrich Böll begann die Freiheit im Kopf. Er ist nicht nur als Nobelpreisträger und einer der bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts bekannt, sondern vor allem als kompromissloser Verfechter einer kritischen Öffentlichkeit.

Seine ständige politische Einmischung stellt bis heute ein Vorbild gesellschaftlichen Engagements dar. Wie zeitlos seine Schriften sein können, möchten wir anlässlich seines 30. Todesjahres zeigen. Wir erinnern mit den Texten und Zeugnissen an einen Künstler und Intellektuellen, der mit seinen Romanen, Erzählungen und politischen Einwürfen eine eigene Aktualität bewahrt hat:

Man könnte in dem sanften Baskenmützenträger mit dem fein melancholischen Zug um den Mund eine Art intellektueller Herkules der frühen Bundesrepublik sehen, der das Land in seinem literarischen und publizistischen Kampf von den Ungeheuern der Vergangenheit befreit und zu einem bewohnbaren, zivilisierten Ort gemacht hat. Er mistete im Nachkriegsdeutschland den ideologischen Augiasstall von nationalsozialistischen Relikten aus, stritt gegen die Wiederbewaffnung, demonstrierte in Mutlangen gegen atomare Aufrüstung, er verteidigte seinen Glauben gegen den unheiligen Pakt mit der Macht, den die katholische Kirche geschlossen hatte, und zog gegen die Hydra der Springer-Presse zu Felde.

Er machte aber nicht nur als Schriftsteller von sich reden, auch sein politisches Engagement sorgte für viele Schlagzeilen und spaltete Zeit seines Lebens die Nation. Warb er doch 1969 im Bundestagswahlkampf offensiv für Willy Brandt, und auch sein Engagement für die Friedensbewegung erhitzte viele Gemüter.

Böll legte sich mit der politischen Linken wie der Rechten an, mit der katholischen Kirche ebenso wie mit der Presse. Er setzte sich für Flüchtlinge aus Vietnam ein und für Dissidenten in Osteuropa. Er war Humanist, aber kein Moralist, und überzeugt, dass "Sprache, Liebe, Gebundenheit den Menschen zum Menschen machen"

Im Jahr der Nobelpreis-Verleihung sorgte der Schriftsteller für einen innenpolitischen Skandal, als er sich öffentlich für einen menschlicheren Umgang mit den Terroristen der RAF einsetzte.

Aus Anlass des 100. Geburtstages von Heinrich Böll sind Anfang Oktober die beiden Werke »Kriegstagebücher Faksimile« und »Heinrich Böll und die Deutschen« erschienen.

Heinrich Böll ist am 16. Juli 1985 in Kreuzau in der Eifel gestorben.

Heinrich Böll 100. Geburtstag:

100 Jahre Heinrich Böll - www.boell.de

100. Geburtstag von Heinrich Böll - www.stadt-koeln.de

100. Geburtstag von Heinrich Böll: Das Märchen vom armen Heinrich .. - www.stuttgarter-nachrichten.de


Weblinks:

Heinrich Böll-Biografie - Biografien-Portal www.die-biografien.de

Heinrich Böll-Zitate - Zitate-Portal www.die-zitate.de

„Einmischung“, szenische Lesung zum 30. Todestag von Heinrich Böll

Literatur [ >> ]:

Billard um halb zehn
Kriegstagebücher Faksimile
von Heinrich Böll

Billard um halb zehn
Billard um halb zehn
von Heinrich Böll

Sonntag, 17. Dezember 2017

»Ansichten eines Clowns« von Heinrich Böll


Ansichten eines Clowns
Ansichten eines Clowns

»Ansichten eines Clowns« von Heinrich Böll erzählt die Lebensgeschichte von Hans Schnier. Dieser möchte lieber Clown sein als ein Angepasster an Gesellschaft und katholische Kirche. Er lebt in sog. wilder Ehe mit Marie, die ihm Lebenselixier ist.

»Ich bin ein Clown, im Augenblick besser als mein Ruf.« Hans Schnier, einst ein gefragter Pantomime und Spaßmacher, sitzt, nachdem ihn seine Frau verlassen hat, zum Bettler degradiert auf den Stufen des Bonner Bahnhofs.

Marie verlässt ihn, weil er sich nicht darauf einlässt künftige Kinder die aus der Beziehung hervorgehen könnten, katholisch zu erziehen. Er mag sich dem Diktat dieser Kirche ebenso wenig unterwerfen wie dem der sog. Gesellschaft der Macher in Wirtschaft und Politik.

Die Beziehung von Schnier mit Marie war ja sozusagen sehr katholisch: Was Gott im Himmel gebunden hat soll der Mensch nciht scheiden". Ein bisschen ausstossen und aus den eigenen Reihen verbannen ging schon. Man könnte da ein paar Begriffe sorglos hinterfragen, weil möglicherweise nichts dahinter ist als reine Leere.


Ansichten eines Clowns
Ansichten eines Clowns

Marie verlässt ihn und heiratet einen "fortschrittlichen" Katholiken. Für Schnier beginnt eine Abwärtsspirale als Spassmacher und so endet er auf Der Treppe des Bonner Bahnhofs als Bettler.

Tatsächlich könnte man annehmen, der Inhalt dieses Romans sei bereits Geschichte. Heute leben Paare verschiedener Religion, kultureller Herkunft verheiratet oder eben nicht, zusammen. Leider ist das nicht so. Ist das unerheiratete Zusammenleben und Verheiratung unter unterschiedlichsten Bedingungen legitim, so steht der Islam vor der Tür mit - für mich - ziemlich intoleranten Vorstellungen zu diesem Thema.


Literatur, die man kaufen kann [ >> ]:


Ansichten eines Clowns
Ansichten eines Clowns
von Heinrich Böll


Sonntag, 10. Dezember 2017

»Die Obstdiebin« von Peter Handke

Die Obstdiebin
Die Obstdiebin

»Die Obstdiebin« ist der Titel des neuen Romans von Peter Handke. Als das »Letzte Epos« (mit großem »L«) hat Peter Handke seinen neuen Roman bezeichnet.

Der Roman spielt in Frankreich in der Zeit nach den Terroranschlägen von Paris und begibt sich auf  Reisen durch ein gezeichnetes Land. Die Reise führt aus der Niemandsbucht, Umwegen folgend, sie suchend, in das Landesinnere, wo die Obstdiebin, »einfache Fahrt«, keine Rückfahrt, bleiben wird, oder auch nicht?.

„Die Welt ist alles, was der Fall ist.“ Mit diesem Bekenntnis zu Realismus und Empirismus beginnt Wittgensteins »Tractatus«. „Die Welt war die Dreiecksgeschichte zwischen einem selber, der Natur und den Anderen!“ (S. 500) heißt es in Handkes Roman »Obstdiebin« - und von dieser „Dreiecksgeschichte“ handelt dieser wunderbare und wundersame Roman.

Es ist eigentlich eine doppelte Reise ins Landesinnere, die Handke erzählt: Zuerst ist es der Ich-Erzähler, der sich, zu Fuß und mit der Bahn, auf den Weg macht von Paris in die Picardie, um dort die 25-jährige Studentin und Weltenbummlerin „Alexia“, die Obstdiebin, zu treffen. Warum und wozu bleibt - natürlich - ungeklärt. Um die Mittagszeit bricht er auf, am Abend dort angekommen, wechselt die Perspektive:

Nun begleiten wir, aus der Perspektive des personalen Er-Erzählers, diese Alexia auf ihrem dreitägigen, erlebnisreichen und ereignisarmen Fußmarsch, ebenfalls von Paris in die Picardie. Sie will ihre Mutter, die „Bankfrau“, die der Handke-Leser bereits aus dem Roman „Der Bildverlust“ kennt, treffen. Tatsächlich kommt es dann ganz zum Ende des Romans zu einer Familienzusammenführung: Es treffen sich auf dem „Vexin-Plateau“ zu einem großen Fest im Zelt die getrennt lebenden Eltern von Alexia und auch ihr 15-jähriger Bruder, der eine Zimmermannslehre absolviert. Nun ist auch der Ich-Erzähler dabei, der von „wir“ und „uns“ erzählt, die beiden Erzählperspektiven werden also am Ende zusammengeführt.

Die Obstdiebin
Die Obstdiebin

Alexia, die Obstdiebin, ist zwar neben Handke selbst die Protagonistin. Dieser anfängliche Ich-Erzähler hat viel mit dem Autor gemein: Ein alter, allein lebender, etwas schrulliger „ungeselliger Geselle“, wohnhaft in einem Pariser Vorort, - der „Niemandsbucht“, wie sie auch hier immer wieder bezeichnet wird - in einem alten Haus mit großem Garten, nebst Obstbäumen.

Ein Mann, der sich als „Illegalen“ bezeichnet, der den Staat ebenso verachtet wie alle kapitalistische Umtriebigkeit, alle großartigen Gesten und Worte, der wütend ist auf die wüste Welt, einsam und trotzig; ein Naturfreund zugleich, den kleinen Dingen und den kleinen Leuten, den Obdachlosen, der Kassiererin, dem afrikanischen Pizza-Ausfahrer zugewandt, ein romantischer Anarchist - alles das trifft auf den Ich-Erzähler wie auf Peter Handke zu.

»Die Obstdiebin« von Peter Handke ist ein ambivalentes Werk, denn es verarbeitet persönliche Erfahrungen vor gesellschaftlichem Hintergrund. Die Stärke dieses wie seiner anderen epischen Großprojekte liegt nicht im weltumspannenden Gestus des Erzählers, sondern in den Passagen, in dem er seinem Doppelgänger den Vortritt lässt, dem Verfasser von Aufzeichnungen und Meister der Prosa des Augenblicks.


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Die Obstdiebin
Die Obstdiebin
von Peter Handke



Weblink:

Peter Handke: Die Obstdiebin oder Einfache Fahrt

Donnerstag, 7. Dezember 2017

Peter Handke 75. Geburtstag

Peter Handke

Peter Handke wurde am 6. Dezember 1942 in Griffen (Kärnten) geboren. Peter Handke ist ein bekannter österreichischer Lyriker, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur. Er gilt als vielseitiger Schriftsteller und als Meister der Form.


Zwischen 1954 und 1959 besuchte Handke das Gymnasium in Tanzenberg (Kärnten) und das dazugehörige Internat. Nach dem Abitur im Jahr 1961 studierte er in Graz Jura. Im März 1966, als Peter Handke sein Studium vor der letzten und abschließenden Prüfung abgebrochen hatte, erschien sein erster Roman "Die Hornissen". Im selben Jahr 1966 erfolgte die Inszenierung seines inzwischen legendären Theaterstücks "Publikumsbeschimpfung" in Frankfurt am Main unter der Regie von Claus Peymann.


Schon in frühen Jahren sorgte der junge Handke im Literaturbetrieb für Aufsehen, u.a in der »Gruppe 47«. Der blutjunge Anfängerpoet Handke, damals schon mit Sonnenbrille selbst bei Regen, beschimpfte und beleidigte seine älteren Kollegen, die schon über einen kleinen Nachkriegsruhm verfügten. Seitdem hat er mehr als dreißig Erzählungen und Prosawerke verfaßt:

"Die Angst des Tormanns beim Elfmeter" (1970), "Wunschloses Unglück" (1972), "Der kurze Brief zum langen Abschied" (1972), "Die linkshändige Frau" (1976), "Das Gewicht der Welt" (1977), "Langsame Heimkehr" (1979), "Die Lehre der Sainte-Victoire" (1980), "Der Chinese des Schmerzes" (1983), "Die Wiederholung" (1986), "Versuch über die Müdigkeit" (1989), "Versuch über die Jukebox" (1990), "Versuch über den geglückten Tag" (1991), "Mein Jahr in der Niemandsbucht" (1994), "Der Bildverlust" (2002), "Die Morawische Nacht" (2008), "Der Große Fall" (2011), "Versuch über den Stillen Ort" (2012), "Versuch über den Pilznarren" (2013).

Auf die "Publikumsbeschimpfung" 1966 folgt 1968 das Stück "Kaspar"- ebenfalls in Frankfurt am Main uraufgeführt. Von hier spannt sich der Bogen weiter über "Der Ritt über den Bodensee" (1971), "Die Unvernünftigen sterben aus" (1974), "Über die Dörfer" (1981), "Das Spiel vom Fragen oder Die Reise zum sonoren Land" (1990), "Die Stunde da wir nichts voneinander wußten" (1992), über den "Untertagblues" (2004) und "Bis daß der Tag euch scheidet" (2009) über das dramatische Epos "Immer noch Sturm" (2011) bis zum Sommerdialog "Die schönen Tage von Aranjuez" (2012) zu "Die Unschuldigen, ich und die Unbekannte am Rand der Landstraße" (2016).

Darüber hinaus hat Peter Handke viele Prosawerke und Stücke von Schriftsteller-Kollegen ins Deutsche übertragen: Aus dem Griechischen Stücke von Aischylos, Sophokles und Euripides, aus dem Französischen Emmanuel Bove - unter anderem "Meine Freunde", René Char und Francis Ponge, aus dem Amerikanischen Walker Percy. Handke ist ein großartiger Übersetzer: Bove, Char, Goldschmidt, Ponge, Mondiano, Duras, Genet, Julien Green, Walker, Sophokles, Euripides, Shakespeare....

Sein Werk wurde mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet. Die Formenvielfalt, die Themenwechsel, die Verwendung unterschiedlichster Gattungen - auch als Lyriker, Essayist, Drehbuchautor und Regisseur ist Peter Handke aufgetreten - erklärte er selbst 2007 mit den Worten: »Ein Künstler ist nur dann ein exemplarischer Mensch, wenn man an seinen Werken erkennen kann, wie das Leben verläuft. Er muß durch drei, vier, zeitweise qualvolle Verwandlungen gehen.«

Literatur und Aufmüpfigkeit, Sprache und Rebellion - sie begleiten Peter Handke sein Leben lang. Handke deckt in seine Schreiben gegen den Zeitgeist seine Wunden schonungslos auf, lässt teilhaben an seinen Verletzungen. Seine ständige literarische "Aufarbeitung" ist ein großer Gewinn für die Literatur.

Im November 2017 ist sein neuer Roman »Die Obstdiebin« erschienen, eine Reisebeschreibung. Als das »Letzte Epos« (mit großem »L«) hat Peter Handke seinen neuen Roman bezeichnet. Die Reise führt aus der Niemandsbucht, Umwegen folgend, sie suchend, in das Landesinnere, wo die Obstdiebin, »einfache Fahrt«, keine Rückfahrt, bleiben wird.

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Wunschloses Unglück
Wunschloses Unglück
von Peter Handke

Die Obstdiebin
Die Obstdiebin
von Peter Handke


Blog-Artikel:

Handke-Drama - Handke-Drama-Blogspot.de

Samstag, 25. November 2017

»Tyll« von Daniel Kehlmann


Tyll

»Tyll« heisst der neue Roman des Erfolgsautors Daniel Kehlmann. Daniel Kehlmann hat seinen »Tyll« in das Deutschland des Dreißigjährigen Krieges verpflanzt. Tyll ist eine Geschichte aus dem Dreißigjährigen Krieg und dem Zeitalter des Barock, ein Epos vom Dreißigjährigen Krieg, aber er ist kein Schelmenroman. »Tyll« ist eine Zeitchronik aus dem Mittelalter. Der Roman erzählt die Eulenspiegel-Geschichte, in der die Politik hineinreicht, so daß das Sittenbild einer Epoche entsteht. »Tyll« ist nicht nur kein Schelmenroman, sondern vielleicht nicht einmal ein Till-Eulenspiegel-Roman.

Der Roman ist die Neuerfindung der mythischen Till-Eulenspiegel-Figur. Es ist ein großer Roman über eine aus den Fugen geratene Welt, über die Verwüstungen durch den Krieg und die Macht der Kunst.Daniel Kehlmanns fabulöser Roman "Tyll" treibt ein munteres Spiel mit Realität und Fiktion - rund um den Gaukler Till Eulenspiegel. Ein Meisterwerk der Sprache, der Bilder und der Phantasie.


Tyll Ulenspiegel - Vagant und Schausteller, Entertainer und Provokateur - wird zu Beginn des 17. Jahrhunderts in einem Dorf geboren, in dem sein Vater, ein Müller, als Magier und Welterforscher schon bald mit der Kirche in Konflikt gerät. Tyll muss fliehen, die Bäckerstochter Nele begleitet ihn. Auf seinen Wegen durch das vom Dreißigjährigen Krieg verheerte Land begegnen sie vielen kleinen Leuten und einigen der sogenannten Großen: dem jungen Gelehrten und Schriftsteller Martin von Wolkenstein, der für sein Leben gern den Krieg kennenlernen möchte, dem melancholischen Henker Tilman und Pirmin, dem Jongleur, dem sprechenden Esel Origines, dem exilierten Königspaar Elizabeth und Friedrich von Böhmen, deren Ungeschick den Krieg einst ausgelöst hat, dem Arzt Paul Fleming, der den absonderlichen Plan verfolgt, Gedichte auf Deutsch zu schreiben, und nicht zuletzt dem fanatischen Jesuiten Tesimond und dem Weltweisen Athanasius Kircher, dessen größtes Geheimnis darin besteht, dass er seine aufsehenerregenden Versuchsergebnisse erschwindelt und erfunden hat. Ihre Schicksale verbinden sich zu einem Zeitgewebe, zum Epos vom Dreißigjährigen Krieg. Und um wen sollte es sich entfalten, wenn nicht um Tyll, jenen rätselhaften Gaukler, der eines Tages beschlossen hat, niemals zu sterben.

Um von der Zeit erzählen zu können, braucht der Autor eine Figur, die viel im Land herumkommt. Es musste eine fahrende Figur sein. Dieser Tyll ist eine Figur aus dem fahrenden Volk, die herumkommt und die Geschichten aus dem Dreißigjährigen Krieg erzählen kann.

Der Till Eulenspiegel ist nicht als ausgewiesener Narr herumgezogen, tatsächlich war er seinen Mitmenschen an Geisteskraft, Durchblick und Witz überlegen. Eulenspiegels Streiche ergaben sich meist daraus, dass er eine bildliche Redewendung wörtlich nahm. Er verwendete dieses Wörtlichnehmen als ein Mittel, die Unzulänglichkeiten seiner Mitmenschen bloßzustellen und seinem Ärger über Missstände seiner Zeit Luft zu machen.


Ein Meisterstück (…). Was ist das nur für ein unerschöpfliches Buch und was für ein grossartiger Stoff. (…) Es ist überdies der aussergewöhnlichste Europa-Roman seit vielen Jahren (…). Nicht zuletzt aber handelt es sich um ein phantastisches Geschichtenbuch, es ist grosses Theater, es ist Kino und Dichtung in einem. (…) wir sehen Daniel Kehlmann auf der Höhe der Kunst. Roman Bucheli, Neue Zürcher Zeitung

Detailkundig, sprachmächtig und kunstfertig ist dieser Roman, vielleicht Kehlmanns bestes Buch seit der »Vermessung der Welt«. Aber anders als die erzählte Geschichte der deutschen Weltvermessers im Geist und in der Wirklichkeit, Gauß und Humboldt, ist das neue Werk ein – ja – zu Herzen gehendes, lebensvolles, wundervoll undistanziert geschriebenes, brutales, modernes, romantisches deutsches Epos. Ein Roman in acht Geschichten, erzählt in acht historischen Szenenbildern.

Der historische Till (oder Dil oder Dyl) Eulenspiegel soll um 1350 in Mölln begraben worden sein. Von den oft derben Streichen, Schwänken und Späßen des Vaganten Till erzählt erstmals die um 1510 in Straßburg veröffentlichte Sammlung „Ein kurtzweilig lesen von Dil Uilenspiegel“, die dann ein Volksbuch wurde. Ihre Autorschaft ist bis heute nicht abschließend geklärt, die Figur hat sich seitdem weitgehend von ihrer Herkunft abgelöst. Man hat sie, je nach Interesse, in neue historische Kontexte gestellt, beispielhaft Charles de Coster, der 1867 den Till Eulenspiegel als flämischen Freiheitshelden und Widerstandskämpfer gegen die spanische Herrschaft neu erfand.
Daniel Kehlmann hat seinen „Tyll“ nun in das Deutschland des Dreißigjährigen Krieges verpflanzt. Ein neuer „Simplicissimus Teutsch“ vielleicht? Von Grimmelshausens Epochenroman von 1668 war kürzlich in Kehlmanns Frankfurter Poetikvorlesungen ausführlich die Rede. Die Figur des schein-einfältigen Toren, Abenteurers und späterhin Einsiedlers, der sich als Joker in x Identitäten, Abenteuern und Stationen durch die Zeit schlägt, mag Kehlmann inspiriert haben.

'Tyll' ist das beste Buch, das Daniel Kehlmann bislang geschrieben hat (...). Ja, es ist wieder ein Geschichtsbuch, wie 2005 'Die Vermessung der Welt', der meistverkaufte deutsche Roman seit Patrick Süskinds 'Parfum', das Buch, mit dem Kehlmann zum Weltstar der deutschen Literatur wurde. Aber anders als die hyperionisch erzählte Geschichte der deutschen Weltvermesser (…) ist das neue Werk ein – ja – zu Herzen gehendes, lebensvolles, wundervoll undistanziert geschriebenes, brutales, modernes, romantisches deutsches Epos. (…) 'Tyll' ist Daniel Kehlmanns Sieg über die Geschichte, sein historischer Triumph. Volker Weidermann, Der Spiegel


»Tyll« ist nicht nur kein Schelmenroman, sondern vielleicht nicht einmal ein Till-Eulenspiegel-Roman.Ein „Schelmenroman“ ist sein »Tyll« nicht geworden. Dazu fehlt seinem Eulenspiegel entschieden das Heitere, und mehr noch das Naive. Eher ist Kehlmanns Tyll eine Art Horrorclown in düsterer Zeit. Ein Überlebenskünstler, der auf wundersame Weise Pest, Krieg und Inquisition trotzt. Ein „Herr der Luft“, der auf dem Seil dem staunenden Publikum eine Ahnung von Freiheit gibt. Ein übellauniger Narr, der seiner Herrschaft selten Freude macht. Niemand wird warm mit diesem Tyll, dessen größte Begabung zu sein scheint, seine Haut zu retten.

Daniel Kehlmann lässt Goyas Gaukler auf dem Buchumschlag lebendig werden und das Mittelalter aufleben mit seinen finsteren Gassen, dem Aberglauben und der Gottesfürchtigkeit. Alpträume, Hunger und Angst verschonen auch den „Winterkönig“ nicht und lassen ihn einsam und ohne Würde sterben.

Und jetzt darf ich einen echten Triumph der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur anzeigen. Sprachtrunken, bildersatt und verzaubert habe ich den neuen Roman von Daniel Kehlmann zugeklappt: So ein Wunderbuch begegnet einem nicht jedes Jahr! Eindrücklich wie nie gelingt es Kehlmann, rund um den aus dem Spätmittelalter in die Zeit des Dreißigjährigen Krieges verpflanzten Tyll Ulenspiegel einen Mummenschanz um Macht, Machtmissbrauch und den Hochseiltanz unserer Existenz zu inszenieren, der es in sich hat. Hinreißend! Denis Scheck, Druckfrisch

Lug und Trug, Gewalt und Macht sind Spielbälle des Glücks und machen vor niemandem Halt.Tyll ist das Band, das die Erzählstränge verbindet und trägt. Hin und wieder scheint er kurz abhandengekommen zu sein, bis er den Faden wiederaufnimmt und sich einbringt.

Der Leser muss kein Geschichtsgelehrter sein und die historischen Zusammenhänge ableiten, um sie im Kontext zu verstehen. Denn Daniel Kehlmann zitiert aus der Geschichte und so manche Begebenheit lässt er nur wahr erscheinen.

Mit seiner einzigartigen Erzählweise und der unvergleichlichen Kombination aus Realismus und Fantasie, die seinen Erzählungen innewohnt, und mit virtuoser Leichtigkeit hat Daniel Kehlmann ein Panorama aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges ganz im Sinne des magischen Realismus gezeichnet. Er hat mit der fernen Epoche auch unsere Gegenwart noch einmal zu neuer Kenntlichkeit gebracht.

Der bekannte Schalk, der einem schon in Kinderbüchern begegnete und womöglich immer unangenehm war - bei Kehlmann wird man ihn sehr mögen (…). 'Tyll', ein wild unterhaltsames Buch, hat Züge eines Klassikers. Judith von Sternburg, Frankfurter Rundschau

Es steckt viel drin in »Tyll«, diesem nicht nur trickreichen, sondern auch enorm unterhaltsamen Roman. Doch scheint es manchmal, als sei Kehlmann der zitatistische Erzählspaß, das literarische Spiel wichtiger als ernsthaft „eine aus den Fugen geratene Welt“ zu porträtieren. So als wolle er lieber doch nicht die ferne Vergangenheit mahnend nah an unsere Gegenwart koppeln.

Literatur [ >> ]:

Tyll
Tyll
von Daniel Kehlmann

Rezension:

Tyll Rezension
»Tyll« von Daniel Kehlmann - Rezension
von Joachim Weiser

Montag, 20. November 2017

Wolfgang Borchert 70. Todestag

Wolfgang Borchert

Wolfgang Borchert starb vor 70 Jahren am 20. November 1947 in Basel. Wolfgang Borchert war ein deutscher Schriftsteller. Sein schmales Werk von Kurzgeschichten, Gedichten und einem Theaterstück machte Borchert nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem der bekanntesten Autoren der Trümmerliteratur. Nach Ansicht von Siegfried Lenz ist Borchert der erste gewesen, der nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges die Sprache wiederfand.

Er war der erste Star der deutsche Nachkriegsliteratur, die er zu neuem Leben erweckte. Mit nur zwei dutzend Kurzgeschichten, einer Handvoll Gedichte und dem Theaterstück „Draußen vor der Tür“ wurde Wolfgang Borchert zur wichtigsten Stimme der deutschen Nachkriegsliteratur. Sie hat bis heute nichts von ihrer Wirkung eingebüßt. "Nachts schlafen die Ratten doch" oder die "Die Küchenuhr".

Das Gesamtwerk
Das Gesamtwerk

Borchert war zunächst Buchhändler und Schauspieler. 1941 wurde er als Soldat an die Ostfront verlegt; zwei Mal wurde er wegen "Zersetzung" zu Haftstrafen verurteilt. Als er 1945 nach Hamburg zurückkam, war er bereits schwer krank.

Das Gesamtwerk von Wolfgang Borchert ist ein Aufschrei. Ein Aufschrei eines jungen Kriegsheimkehrers der für seine komplette Generation spricht. In den Gedichten, Kurzgeschichten, Erzählungen und natürlich in dem bekannten Drama „Draussen vor der Tür“ geht es hauptsächlich um die verlorene Jugend und die unzähligen grausigen Gesichter des Krieges.

Wie kein anderer artikulierte er in seinen von Melancholie durchzogenen Gedichten und Erzählungen die Bitterkeit und Trauer einer "verratenen Generation". Die Erzählung "Die Hundeblume" machte ihn mit einem Schlag berühmt:

Mit seinem Heimkehrerdrama »Draußen vor der Tür« konnten sich in der Nachkriegszeit weite Teile des deutschen Publikums identifizieren. Kurzgeschichten wie Das Brot, An diesem Dienstag oder Nachts schlafen die Ratten doch wurden als musterhafte Beispiele ihrer Gattung häufige Schullektüre. Der Vortrag der pazifistischen Mahnung "Dann gibt es nur eins!" begleitete viele Friedenskundgebungen.

Wolfgang Borchert schrieb schon in seiner Jugend zahlreiche Gedichte, dennoch strebte er lange den Beruf eines Schauspielers an. Nach einer Schauspielausbildung und wenigen Monaten in einem Tourneetheater wurde Borchert 1941 zum Kriegsdienst in die Wehrmacht eingezogen und musste am Angriff auf die Sowjetunion teilnehmen. An der Front zog er sich schwere Verwundungen und Infektionen zu. Mehrfach wurde er wegen Kritik am Regime des Nationalsozialismus und sogenannter Wehrkraftzersetzung verurteilt und inhaftiert.

Wolfgang Borchert gilt heute als einer der bekanntesten Vertreter der so genannten Kahlschlags- oder Trümmerliteratur. Schriftsteller dieser wenige Jahre währenden Literaturepoche nach dem Zweiten Weltkrieg antworteten auf den Zusammenbruch der alten Strukturen und die traumatischen Erfahrungen des Krieges mit der Forderung nach einer Tabula rasa in der Literatur. Das Ziel eines inhaltlichen und formalen Neuanfangs sollte eine ungeschönte und wahrhaftige Darstellung der Realität sein.

Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen
Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen

Wolfgang Borchert starb einen Tag, bevor sein Heimkehrerdrama »Draußen vor der Tür« in Hamburg uraufgeführt wurde. Die Deutschen wollten das melodramatische Verzweiflungsstück um den Kriegsheimkehrer Beckmann, der sien Frau durch Verrat, seinen Sohn durch den Tod unter Trümmern und seine Eltern durch Selbstmord verloren hat, massenhaft sehen.

Borchert wurde am 20. Mai 1921 in Hamburg geboren.

Werke, die man gelesen haben sollte:

Das Gesamtwerk
Das Gesamtwerk
von Wolfgang Borchert


Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen
Draußen vor der Tür und ausgewählte Erzählungen
von Wolfgang Borchert

Samstag, 18. November 2017

»Ikarien« von Uwe Timm



Uwe Timm gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart. Er wurde 1940 in Hamburg geboren. Nach einer Kürschnerlehre und einem Philosophiestudium in München und Paris veröffentlichte Timm 1971 seine ersten Gedichte. 1974 erschien sein Romandebüt »Heißer Sommer«. Mit »Rennschwein Rudi Rüssel« machte er sich auch als Kinderbuchautor einen Namen. Geprägt von der 68er-Bewegung, nahm er sich als Autor auch immer wieder der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit an. Timm ist vierfacher Vater und lebt heute in München und Berlin.

»Ikarien« lautet der Titel des neuen Romans von Uwe Timm. »Ikarien« war der Name einer utopischen Kommune in einem Roman des Frühsozialisten Etienne Cabet.Aufbauend auf sozialistischen und kommunistischen Gedankengut und den Ideen des französischen Revolutionärs Étienne Cabet, hatten sich die Auswanderer eine utopische Gemeinde mit Namen Ikarien vorgestellt und in die Praxis umzusetzen versucht. Das Experiment scheitert, doch A. Ploetz wird zum Verfechter einer reinen Rasseidee.

Michael Hansen, 25, kehrt Ende April 1945 als amerikanischer Offizier nach Deutschland in das Land seiner Geburt zurück und übernimmt einen Auftrag des Geheimdienstes. Er soll herausfinden, welche Rolle ein bedeutender Wissenschaftler im Nazireich gespielt hat. Während regional noch der Krieg tobt, bricht Hansen von Frankfurt nach Bayern auf und bezieht Quartier am Ammersee.

In einem Münchner Antiquariat findet er einen frühen Weggefährten des Eugenikers Professor Ploetz, den Dissidenten Wagner. Von ihm lässt er sich die Geschichte einer Freundschaft erzählen, die Ende des 19. Jahrhunderts in Breslau begann und die beiden Studenten über Zürich bis nach Amerika führte - und mitten hinein in die Auseinandersetzung um die beste gesellschaftliche Ordnung: Hier ein Sozialismus nach Marx, dort das utopische Projekt der Gemeinde Ikarien, die vom französischen Revolutionär Étienne Cabet in Amerika gegründet wurde.


Hansen bekommt einen besonderen Auftrag: er soll etwas über die Rassehygieniker herausfinden, deren Ideologie der reinrassigen Bevölkerung zu den unmenschlichen Versuchen an Menschen und Behinderten im Nazireich geführt hatten.In München findet er einen Antiquar, den Dissidenten Wagner, der den Eugeniker Alfred Ploetz kannte. Im weiteren Verlauf berichtet er Hansen, der ihn im Auftrag des CIC verhörte, von einer ideologisch verbrämten Gemeinde zu Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika.

Hansen kommt durch die Lebensbeichte Wagners dem faustischen Pakt auf die Spur, den der Rassenhygieniker Ploetz mit den Nazis einging, und dem ganz anderen Schicksal, das den Antiquar wegen seiner widerständigen Haltung ereilte. Seine Reise durch das materiell und moralisch zerstörte Land lässt Hansen Zeuge eines Aufbruchs werden, der die deutsche Geschichte prägen sollte. Zugleich wird sie zu einer éducation sentimentale - auch in der Liebe werden ihm einige Lektionen erteilt. Eine gleichermaßen erschreckende wie berührende Geschichte von der Suche nach Alternativen zum Bestehenden und nach einem anderen Leben.

Das Hauptthema ist nicht der Krieg oder der Faschismus allgemein, sondern die Eugenik, die im Dritten Reich zu Massenmorden führte, die aber generell kein spezifisch deutsches Thema war. In den USA und in skandinavischen Ländern gab es Regierungsprogramme zur Verbesserung der Volksgesundheit, mit Zwangssterilisationen.

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Romans, bzw. des Offiziers Michael Hansen, steht Leben und Wirken eines führenden deutschen Eugenikers, der das Kriegsende nicht mehr erlebt hatte. Dieser historische Hintergrund beruht auf Fakten, nicht auf Fiktion. Interessanterweise kam Alfred Ploetz nicht aus dem nationalistisch-völkischen Lager, sondern er begann seine politische Entwicklung als Sozialist. »Ikarien« war der Name einer utopischen Kommune in einem Roman des Frühsozialisten Etienne Cabet.


In diesem Roman hat Uwe Timm drei höchst unterschiedliche Lebenswege verflochten und dabei gezeigt, daß, wie sich Biografien auseinander entwickeln und wie gemeinsame Ideale pervertiert werden können. Kein Buch für zartbesaitete Gemüter, sondern ein dicker Brocken, der viel Ausdauer erfordert. Timm nähert sich retrospektiv dem Leben und den kruden Theorien des Wissenschaftlers. Die Grenzen zwischen Rassenwahn und idealistischem Weltverbessereifer werden fließend.

Ein Roman, der unter anderem die sozial- und kulturgeschichtlichen Hintergründe der NS-Rassenhygiene-Gesetze erhellt. Die ideologischen Wurzeln der Euthanasiebewegung werden nachvollziehbar. Der Leser taucht geradezu ein in die Vernetzung entsprechend gesinner Wissenschaftler, in ihr kognitives Mindset und seine Genese. Fatale Erkenntnis: Eutanasie ist nicht nur rechts sondern mit Philosohien verbunden, die auf eine Weiter- und Höherentwicklung der Menschheit verbunden sind. Der Gleichheit wird nachgeholfen z. B. durch Sterilisation, Eheverbote, Beseitigung "unnützer" Ballastexistenzen. Eutanasie erscheint als die fatale Kehrseite einer auf Perfektionierung des Menschen ausgerichteten Sozialtechnologie.

Hier und da wirkt Timms unermüdliches erzählerisches Abarbeten der politisch-philosophischen Theorien ermüdened und geht deulich zu Lasten der Lesbarkeit.

Literatur [ >> ]:


Ikarien
von Uwe Timm