Uwe Timm gehört zu den erfolgreichsten deutschen Autoren der Gegenwart. Er wurde 1940 in Hamburg geboren. Nach einer Kürschnerlehre und einem Philosophiestudium in München und Paris veröffentlichte Timm 1971 seine ersten Gedichte. 1974 erschien sein Romandebüt »Heißer Sommer«. Mit »Rennschwein Rudi Rüssel« machte er sich auch als Kinderbuchautor einen Namen. Geprägt von der 68er-Bewegung, nahm er sich als Autor auch immer wieder der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit an. Timm ist vierfacher Vater und lebt heute in München und Berlin.
»Ikarien« lautet der Titel des neuen Romans von Uwe Timm. »Ikarien« war der Name einer utopischen Kommune in einem Roman des Frühsozialisten Etienne Cabet.Aufbauend auf sozialistischen und kommunistischen Gedankengut und den Ideen des französischen Revolutionärs Étienne Cabet, hatten sich die Auswanderer eine utopische Gemeinde mit Namen Ikarien vorgestellt und in die Praxis umzusetzen versucht. Das Experiment scheitert, doch A. Ploetz wird zum Verfechter einer reinen Rasseidee.
Michael Hansen, 25, kehrt Ende April 1945 als amerikanischer Offizier nach Deutschland in das Land seiner Geburt zurück und übernimmt einen Auftrag des Geheimdienstes. Er soll herausfinden, welche Rolle ein bedeutender Wissenschaftler im Nazireich gespielt hat. Während regional noch der Krieg tobt, bricht Hansen von Frankfurt nach Bayern auf und bezieht Quartier am Ammersee.
In einem Münchner Antiquariat findet er einen frühen Weggefährten des Eugenikers Professor Ploetz, den Dissidenten Wagner. Von ihm lässt er sich die Geschichte einer Freundschaft erzählen, die Ende des 19. Jahrhunderts in Breslau begann und die beiden Studenten über Zürich bis nach Amerika führte - und mitten hinein in die Auseinandersetzung um die beste gesellschaftliche Ordnung: Hier ein Sozialismus nach Marx, dort das utopische Projekt der Gemeinde Ikarien, die vom französischen Revolutionär Étienne Cabet in Amerika gegründet wurde.
Hansen bekommt einen besonderen Auftrag: er soll etwas über die Rassehygieniker herausfinden, deren Ideologie der reinrassigen Bevölkerung zu den unmenschlichen Versuchen an Menschen und Behinderten im Nazireich geführt hatten.In München findet er einen Antiquar, den Dissidenten Wagner, der den Eugeniker Alfred Ploetz kannte. Im weiteren Verlauf berichtet er Hansen, der ihn im Auftrag des CIC verhörte, von einer ideologisch verbrämten Gemeinde zu Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika.
Hansen kommt durch die Lebensbeichte Wagners dem faustischen Pakt auf die Spur, den der Rassenhygieniker Ploetz mit den Nazis einging, und dem ganz anderen Schicksal, das den Antiquar wegen seiner widerständigen Haltung ereilte. Seine Reise durch das materiell und moralisch zerstörte Land lässt Hansen Zeuge eines Aufbruchs werden, der die deutsche Geschichte prägen sollte. Zugleich wird sie zu einer éducation sentimentale - auch in der Liebe werden ihm einige Lektionen erteilt. Eine gleichermaßen erschreckende wie berührende Geschichte von der Suche nach Alternativen zum Bestehenden und nach einem anderen Leben.
Das Hauptthema ist nicht der Krieg oder der Faschismus allgemein, sondern die Eugenik, die im Dritten Reich zu Massenmorden führte, die aber generell kein spezifisch deutsches Thema war. In den USA und in skandinavischen Ländern gab es Regierungsprogramme zur Verbesserung der Volksgesundheit, mit Zwangssterilisationen.
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Romans, bzw. des Offiziers Michael Hansen, steht Leben und Wirken eines führenden deutschen Eugenikers, der das Kriegsende nicht mehr erlebt hatte. Dieser historische Hintergrund beruht auf Fakten, nicht auf Fiktion. Interessanterweise kam Alfred Ploetz nicht aus dem nationalistisch-völkischen Lager, sondern er begann seine politische Entwicklung als Sozialist. »Ikarien« war der Name einer utopischen Kommune in einem Roman des Frühsozialisten Etienne Cabet.
In diesem Roman hat Uwe Timm drei höchst unterschiedliche Lebenswege verflochten und dabei gezeigt, daß, wie sich Biografien auseinander entwickeln und wie gemeinsame Ideale pervertiert werden können. Kein Buch für zartbesaitete Gemüter, sondern ein dicker Brocken, der viel Ausdauer erfordert. Timm nähert sich retrospektiv dem Leben und den kruden Theorien des Wissenschaftlers. Die Grenzen zwischen Rassenwahn und idealistischem Weltverbessereifer werden fließend.
Ein Roman, der unter anderem die sozial- und kulturgeschichtlichen Hintergründe der NS-Rassenhygiene-Gesetze erhellt. Die ideologischen Wurzeln der Euthanasiebewegung werden nachvollziehbar. Der Leser taucht geradezu ein in die Vernetzung entsprechend gesinner Wissenschaftler, in ihr kognitives Mindset und seine Genese. Fatale Erkenntnis: Eutanasie ist nicht nur rechts sondern mit Philosohien verbunden, die auf eine Weiter- und Höherentwicklung der Menschheit verbunden sind. Der Gleichheit wird nachgeholfen z. B. durch Sterilisation, Eheverbote, Beseitigung "unnützer" Ballastexistenzen. Eutanasie erscheint als die fatale Kehrseite einer auf Perfektionierung des Menschen ausgerichteten Sozialtechnologie.
Hier und da wirkt Timms unermüdliches erzählerisches Abarbeten der politisch-philosophischen Theorien ermüdened und geht deulich zu Lasten der Lesbarkeit.
Literatur [ >> ]:
Ikarien von Uwe Timm
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