Mittwoch, 29. Juni 2016

»Malina« von Ingeborg Bachmann

Malina
Malina

»Malina«, Ingeborg Bachmanns einziger Roman, Auftakt des geplanten Todesarten-Zyklus, offenbart die psychische und physische Zerstörung eines weiblichen Ichs durch das männliche Prinzip. Die fragmentarischen Teile »Der Fall Franza« und »Requiem für Fanny Goldmann« erschienen erst nach dem frühen Tod der Autorin, die 1973 an den Folgen eines Brandunfalls starb.

Nach der Trennung von Max Frisch und einem psychischen Zusammenbruch zog Bachmann zunächst nach Berlin und 1965 nach Rom, wo sie weiter an ihrem vermutlich 1962 begonnenen Todesarten-Projekt arbeitete. Über Jahre entwarf sie neue Konzepte für den Zyklus, ohne ein Buch abschließen zu können, und geriet immer mehr unter den Druck der Verleger. 1970, zehn Jahre nach ihrem ersten Prosaband Das dreißigste Jahr, erschien »Malina« in ihrem neuen Verlag Suhrkamp.

Im Alter von elf Jahren erlebte Ingeborg Bachmann den Einmarsch von Hitlers Truppen in ihrem Heimatort Klagenfurt. Das Trauma der abrupt verlorenen Kindheit überwand sie nie. Ihr Leben lang schrieb sie mit kraftvoller Poesie für eine bessere Gesellschaft und gegen die Unterdrückung des Individuums.

Die namenlose Ich-Erzählerin des Romans, eine in Wien lebende bekannte Schriftstellerin, reflektiert und beschreibt ihre Situation als Geliebte zweier Männer. Vordergründig eine Dreiecksgeschichte zwischen Ich-Erzählerin, ihrem Geliebten Ivan und Malina, mit dem sie zusammenlebt, findet das eigentliche Geschehen im Innern der Protagonistin statt. Ihre seelischen Konflikte, ihre Wünsche, Sehnsüchte und Fantasien, ihre Vorstellung von Glück werden eindringlich und beklemmend dargestellt.

In Ingeborg Bachmanns Büchern wird viel gelitten und viel geliebt. Im Lieben und in der Suche nach dem Glück war sie so kompromisslos wie in ihrem Schreiben. Zwei Jahre vor ihrem Tod veröffentlichte sie »Malina«, ein stark autobiografisch geprägtes Buch. Vordergründig handelt der Roman von einer Dreiecksbeziehung der namenlosen Erzählerin mit zwei Männern: dem schönen Liebhaber Ivan und ihrem Lebensgefährten Malina.

Wenn man durch Ingeborg Bachmanns Ungargasse läuft, achtet man nicht nur auf die Häuser, sondern vor allem auf die Schilder an den Häusern. Im Haus Nr. 5 wohnte Ludwig van Beethoven, ein wenig weiter, in der Nr. 8, Joseph von Eichendorff. Nur ein Stück die Straße hinauf, jeweils eine Nummer weiter, in den Häusern Nr. 6 und Nr. 9, ließ Bachmann die Hauptfiguren ihres Romans »Malina« wohnen, deren Leben fortan um den Ort kreisen, welches von der Ich-Erzählerin ihr "Ungargassenland" genannt wird.

Bachmann selbst lebte während ihrer Zeit in Wien in der Beatrixgasse und in der Gottfried-Keller-Gasse. Beide befinden sich in unmittelbarer Nähe zur Ungargasse. Dennoch wundert man sich beim Lesen des Romans „Malina“, weshalb sie gerade diese Straße als Wohnort ihrer Figuren wählt, denn die Ich-Erzählerin selbst beschreibt die Ungargasse zunächst als wenig einladend. „Sie ist […] nicht unbekannt zu nennen, denn man kennt sie schon, aber ein Fremder wird sie nie zu Gesicht bekommen, weil es in ihr nichts zu besichtigen gibt und man hier nur wohnen kann. […] Es gibt, und das ist leicht zu erraten, viel schönere Gassen in Wien“.

Ivan kann ihrer Liebe letztlich jedoch nicht standhalten, die Erzählerin verzweifelt, und weder die Literatur noch Malina können sie retten; die Männerwelt ist tödlich für sie. Im Roman klingt deutlich der Wunsch nach Selbstzerstörung an, Bachmann spielt mit dem Motiv des Todes durch Verbrennen. Ahnte sie ihr eigenes, an Dramatik kaum zu überbietendes Ende? Deutungen ihrer Schriften lehnte die Autorin zeitlebens ab, sie bevorzugte stilles Nachdenken. Dafür liefert »Malina« wahrlich Stoff genug - sofern man als Leser ob der wirren Erzählung nicht frühzeitig aufgibt.




Im ersten Kapitel »Glücklich mit Ivan« beschreibt die Erzählerin ihr Verhältnis zu ihrem unerreichbar erscheinenden Geliebten. Malina, der »dritte Mann« aus dem zweiten Kapitel, ist Repräsentant der Vernunft, der die materielle Grundlage ihres Zusammenlebens sichert. Er erscheint als der männliche Teil im Bewusstsein der Erzählerin. Seine Rationalität ist dem weiblichen Ich lebensnotwendig, sie kann jedoch ihre Ansprüche ihm gegenüber nicht geltend machen. Malina wirkt menschlich und gesellschaftlich überlegen. Die Unterdrückung nimmt das weibliche Ich trotz des Wunsches nach Selbstverwirklichung und Gleichberechtigung ohne Gegenwehr hin.

Die Traumsequenzen der Ich-Erzählerin im zweiten Kapitels von »Malina« kreisen um ihren Vater. Die Ich-Erzählerin setzt die Herrschaft des Vaters über das Kind mit der Herrschaft des Mannes über die Frau gleich. Die Unterdrückung wird zusätzlich in den historischen Kontext des Holocaust gestellt.

Das dritte Kapitel »Von letzten Dingen« ist als ein fiktiver Dialog zwischen der Erzählerin und Malina über das Schreiben.

»Es war Mord«, das ist der letzte Satz ihres Romans. Die Männer haben die Erzählerin umgebracht.

Literatur:

Malina
Malina
von Ingeborg Bachmann

Rezension:

Ambivalenz eines Ortes

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