Donnerstag, 10. November 2011

Arthur Rimbaud 120. Todestag

Arthur Rimbaud

Der französische Dichter Arthur Rimbaud starb vor 120 Jahren am 10. November 1891 im Alter von 37 Jahren in Marseille nach längerem Leiden an Knochenkrebs. Rimbaud war ein französischer Dichter, Abenteurer und Geschäftsmann. Er war ein früh Vollendeter, denn sein literarisches Werk entstand in nur vier Jugendjahren.

Mit fünfzehn begann er zu schreiben, bald darauf floh er aus seiner Provinzheimat nach Paris, wo er mit Paul Verlaine zusammenlebte - bis dieser ihn bei einem Streit durch einen Pistolenschuß verletzte und dafür zwei Jahre ins Gefängnis mußte.

Arthur Rimbaud war einer der wortgewaltigsten und bis heute meistgelesenen Dichter Frankreichs. Er leitete mit freien Versen und einer umfassenden Revolte gegen die Tradition die lyrische Moderne ein. In dem berühmten symbolistischen Dreigestirn Mallarmé-Verlaine-Rimbaud war er sicherlich der Radikalste - die Bewegung des Surrealismus ist ohne ihn nicht zu denken.

Rimbaud verfasste sein bis heute bedeutsames lyrisches Werk bereits im Alter zwischen 16 und 20 Jahren, ehe er um 1875 zu schreiben aufhörte, ein unstetes Dasein, überwiegend im Vorderen Orient führte und mit 37 Jahren an Knochenkrebs starb.


Seine dichterische Reife erlangte er mit Texten – z.B. dem Langgedicht »Le Bateau ivre« – in denen er seine Enttäuschung über das Scheitern der Pariser Commune (Mai 1871) verarbeitete und die er Verlaine schickte, der ihn beeindruckt nach Paris einlud.

Es folgten die »Lettres du voyant« und »Vers nouveaux« (1872, beide zunächst unveröffentlicht). Das unstete Vagabundendasein 1872/73 mit Verlaine schlug sich nieder in der Gedichtsammlung »Une Saison en enfer« (1873), wo Rimbaud seine Schuldgefühle und seine Wünsche nach einem weniger anstößigen Leben verarbeitete.

Sein Werk wurde zum Vorbild für die Symbolisten und übte eine tiefe Wirkung auf die französische Literatur des 20. Jahrhunderts aus. Den Symbolisten gelang es mit Hilfe ihrer fließenden Sprache Effekte zu erzeugen, die an musikalische, architektonische oder malerische Kompositionen erinnern. Durch die Verwendung von melodischen Rhythmen und mehrdeutiger Symbolik brachten sie facettenreiche Assoziationen und nuancierte Empfindungen zum Ausdruck.

Rimbaud hat das Dichten nicht nur radikal aufgegeben, die Tätigkeit, der er sich danach widmete, war eine höhnische Verneinung der Dichtung. Es wird behauptet, Rimbaud habe in Afrika mit Waffen und sogar mit Sklaven gehandelt.

Arthur Rimbaud wurde am 20. Oktober 1854 in Charleville in den Ardennen geboren.




Das trunkene Schiff








"Das trunkene Schiff"
von Arthur Rimbaud



Insel-Verlag,
20. April 2008,
11,80 EUR.

ISBN-13: 978-3458193006






Arthur Rimbauds »Le Bateau ivre« ist eines der bedeutendsten Langgedichte der Weltliteratur.

Im »Trunkenen Schiff« wagte Rimbaud eine alle Grenzen sprengende Lebens-Fahrt, die ihn zu überwältigenden visionären Erfahrungen führte.

Arthur Rimbaud hat hierin poetisch sein kühnes Programm eines Seher-Dichters realisiert.



Weblink:

www.dastrunkeneschiff.de - französischer und deutscher Text

Montag, 7. November 2011

»Die größere Hoffnung« von Ilse Aichinger

<center><a title="»Die größere Hoffnung« von Ilse Aichinger" href="http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3100005228/zitatenschatz-21" rel="nofollow" target="blank"><img src="http://images-eu.amazon.com/images/P/3100005228.jpg" alt="Die größere Hoffnung" width="75"/><br/>Die größere Hoffnung</a></center>

Ilse Aichingers einziger 1948 entstandener Roman ist eine literarische Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und dem Zweiten Weltkrieg der unmittelbaren Nachkriegszeit. Er schildert das von Angst und Terror erfüllte, ständig zwischen Hoffnung und Verzweiflung pendelnde Leben einer Gruppe von rassisch verfolgten Kindern in einer großen Stadt, die unschwer als Wien zu erkennen ist.

Wie man als Kind den Krieg erleben kann, das schildert Ilse Aichinger, selbst Zeitzeugin, in diesem autobiografischen Buch. Ilse Aichingers wortgewaltiger Roman schildert den Krieg aus Kindersicht und lebt von der Steigerung des »Prinzips Hoffnung«. Die jüdischen und halbjüdischen Kinder sind verstört, ausgeschlossen aus der Gesellschaft, flüchten sich ins Spiel, in den Traum. Der Roman erzählt von den Träumen und Hoffnungen dieser von Not und Verfolgung bedrohten Kinder.

Die jüdischen und halbjüdischen Kinder sind verstört, ausgeschlossen aus der Gesellschaft, flüchten sich ins Spiel, in den Traum. Die Protagonistin Ellen muss schon am Beginn des Buches ihre große Hoffnung aufgeben, die Hoffnung auf das Visum, auf Freiheit, auf Leben, auf das Diesseitige. Aber es gibt noch eine größere Hoffnung. Diese wird von Anna, einer Freundin Ellens angesprochen, die Deutschland Richtung Polen verlassen muss und wohl schon weiß was sie erwartet.
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Ist die große Hoffnung etwas Persönliches, etwas Diesseitiges, so ist die größere Hoffnung vielleicht etwas Kollektives, etwas Jenseitiges - vielleicht durch den individuellen Tod,  einem größeren Ziel zu dienen; dem Ziel, die Welt wach zu rütteln, die Deutschen, die Täter wach zu rütteln. Nicht mehr das persönliche Seelenheil, sondern das einer ganzen Gemeinschaft, den Verfolgten zu ermöglichen.
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Der Roman hat keinen Erzählstrang, sondern besteht aus zehn nur sehr lose verbundenen Szenen; eine Entwicklung von der einen zur anderen ist zwar feststellbar, versteckt sich aber - immerhin: der Krieg rückt immer näher, es gibt auch zunehmend viele Opfer. Im Vordergrund steht jedoch eine fantastische Bilderwelt, mit philosophisch-aphoristischen Dialogen, die ganz sokratisch die Opfer zu Gewinnern machen und es noch aus der Sicht der Verfolgten zu Mitleid mit den Tätern bringen.
Und das inmitten einer vermenschlichten Trümmerwelt mit müden Bombenkratern. Das ist kein "realistisches" Kriegsbuch, sondern vielmehr die vollendete Bewältigung dieser Realität mit den Mitteln der Dichtung, des Traums, des Gefühls und des Mitleidens.
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   <a title="»Die größere Hoffnung« von Ilse Aichinger" href="http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3100005228/zitatenschatz-21" rel="nofollow" target="blank"><img src="http://images-eu.amazon.com/images/P/3100005228.jpg"  alt="Die größere Hoffnung" width="70"/></a><br /><br />

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        <td align="left" valign="top" width="100%"> <br /><br />
   <font color="000099"><b>"Die größere Hoffnung"</b><br />von Ilse Aichinger</font> <br /><br />
    Fischer-Verlag, <br />Gebundene Ausgabe,<br />14,00 EUR.<br /><br />ISBN-13: 978-3100005228  <br /><br />

   </td>
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Freitag, 4. November 2011

Tschechischer Schriftsteller Jiri Grusa gestorben

Der tschechische Schriftsteller und Diplomat Jiri Grusa ist tot. Der 1938 im böhmischen Pardubice geborene Autor promovierte 1962 an der philosophischen Fakultät der Prager Universität und trat als Lyriker und Erzähler hervor.

Nach dem Ende des Prager Frühlings erhielt er 1969 ein Veröffentlichungsverbot. Als Unterzeichner der <b>»Charta 77«</b> ging er 1978 ins Exil, zunächst nach Kanada, dann nach Deutschland.

Von 2004 bis 2009 war Grusa Präsident des internationalen PEN-Clubs. Zuvor war der ehemalige Dissident und enge Vertraute von Vaclav Havel Botschafter seines Landes, unter anderem in Deutschland. Zuletzt lebte Grusa in der Nähe von Bonn. Am 28. Oktober 2011 ist er im Alter von 72 Jahren gestorben.

Donnerstag, 3. November 2011

»Michael Kohlhaas« von Heinrich von Kleist







In Heinrich von Kleists Novelle »Michael Kohlhaas« kämpft ein junger Mann mit großer Sturheit gegen staatliche Ungerechtigkeit und Willkür. Seine Novelle »Michael Kohlhaas« hat Kleist im kühlen Stil der Chronik geschrieben.

Michael Kohlhaas

Heinrich von Kleists Novelle »Michael Kohlhaas« handelt über das Schicksal eines brandenburgischen Pferdehändlers im Sächsischen, der durch unrechtmäßige Aneignung zweier Pferde durch einen Junker betrogen wird und ist eingebunden in die politischen Geschehnisse seiner Zeit. Seine Sturheit und Unnachgiebigkeit in der Verfolgug seiner Angelegenheit wird dem bestohlenen Pferdehändler schließlich im Zuge einer Intrige zum Verhängnis.





»Torheit, du regierst die Welt.«



Der Aufstand des von einer privilegierten Junkerkaste seiner elementaren Entfaltungsmöglichkeiten beraubten und von einer korrupten Obrigkeit um sein Recht betrogenen Rosshändlers Kohlhaas richtet sich gegen Missstände, die noch zu Kleists eigener Zeit aktuell waren.

Die Substanz dieser atemberaubenden Geschichte von Kohlhaas, einem der "rechtschaffensten zugleich und entsetzlichsten Menschen seiner Zeit" ist modern, obwohl sie im Medium einer alten Chronik berichtet wird.

Dienstag, 1. November 2011

Ilse Aichinger 90. Geburtstag

Ilse Aichinger

Die österreichische Schriftstellerin Ilse Aichinger wurde vor 90 Jahren am 1. November 1921 in Wien geboren. Genau in ihrer Beobachtung, rätselhaft poetisch in ihrer Sprache - mit ihrem ganz eigenwilligen Tonfall ist Ilse Aichinger zu einer festen Größe der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur geworden.

Auf merkwürdige Weise dunkel, dabei irritierend lyrisch wirken viele ihrer Texte. Ganz ungewöhnlich erscheint auch ihr Verhältnis zur Welt in früheren Gesprächen. Heute gibt sie keine Interviews mehr. Das Leben sei eine „absurde Zumutung“, sagte sie einmal. Am liebsten würde sie verschwinden.

Dieses „Verschwinden“, das man auch Tod nennen könnte, war für sie dabei keine erschreckende Vorstellung: „Gute Literatur ist mit dem Tod identisch“. Auch beim Schreiben sei ihr das nicht Sichtbare am wichtigsten, erklärte sie:

Hätte man sie vor ihrer Geburt gefragt, ob sie zur Welt kommen wolle, sie wäre lieber weggeblieben. Für Ilse Aichinger war das Leben eine absurde Zumutung. Dieses Leben, diese Welt konterte sie lange in ihrem Schreiben - bis ihr die Sprache unbrauchbar wurde. Inzwischen ist sie im Schweigen angekommen.




„Alles, was man sagt oder schreibt,
ist nur Fazit dessen, was man nicht sagt.“


Geprägt wurde diese Weltsicht der »Poetin des Schweigens« durch dramatische Erfahrungen. Ihre Mutter, eine Ärztin, war Jüdin, der nichtjüdische Vater verließ die Familie. Im Juli 1939 konnte Ilses Zwillingsschwester Helga mit der Tante noch mit einem der letzten Kindertransporte nach England fliehen. Ilse sollte mit der übrigen Familie folgen, doch das Vorhaben scheiterte.

Nach einem abgebrochenen Medizinstudium begann sie zu schreiben. Ihren Mann Günter Eich, mit dem sie zwei Kinder hatte, hatte sie 1951 bei ihrem ersten Treffen der Gruppe 47 kennengelernt. Das war im Frühjahr, Aichinger war 29 und ihr Roman »Die größere Hoffnung« hatte ihr zu einiger Bekanntheit verholfen. Dieser blieb ihr einziger Roman.

Im Alter aber hat sich die Autorin des Romans »Die größere Hoffnung« (1948) zunehmend zurückgezogen. „Sie schreibt nicht mehr und ist nur noch Privatperson“, sagte ihr Wiener Verleger Reto Ziegler über die Größe der Nachkriegsliteratur. Da die Schriftstellerin zurückgezogen lebt, müssen Veranstaltungen zu ihrem 90. Geburtstag ohne Ilse Aichinger auskommen.




Die größere Hoffnung








"Die größere Hoffnung"
von Ilse Aichinger



Fischer-Verlag,
Gebundene Ausgabe,
14,00 EUR.

ISBN-13: 978-3100005228






Weblink:

Die Poetin des Schweigens Ilse Aichinger zum 90. - br-online.de - kultur

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»Die Dämonen« von Fjodor M. Dostojewski

Fjodor Michailowitsch Dostojewski

Fjodor M. Dostojewski ist mit seinem 1908 erschienen Roman »Die Dämonen« ein psychologisch ausgefeiltes Meisterwerk gelungen. In der Kunst, einen Roman zu entfalten und Charaktere zu zeichnen - in ihrer aus seiner Sicht unaufklärbaren verlorenen Art und Weise - ist Dostojewski unübertrefflich.

"Alles ist gut, alles. Für alle die ist es gut, die da wissen, dass alles gut ist. Wenn sie wüssten, dass sie es gut haben, dann hätten sie es gut, aber solange sie das nicht wissen, so lange werden sie es auch nicht haben. Das ist der ganze Gedanke, der ganze Sinn, einen weiteren gibt es überhaupt nicht!"

Dostojewski, »Die Dämonen«


Dostojewski schildert das Milieu armer Leute und eine Generation verlorener Kinder. Das vielschichtige Werk lässt sich vielfältig interpretieren, zeigt dabei auch seine kleinbürgerliche und letzendlich reaktionäre Sichtweise, die die Widersprüche einer absterbenden Gesellschaft auf den Dualismus zwischen Gut und Böse, Gott und dem Teufel zurückführt.


Die Dämonen - das sind Stawrogin, ein von Machtgier und Zerstörungslust Besessener, der ein Leben voller Ausschweifungen und Grausamkeiten führt, und der Anarchist Stepanowitsch, der selbst vor Mord und Terror nicht zurückschreckt. Sie versetzen eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken.

"Ausgehend von schrankenloser Freiheit,
ende ich mit unumschränktem Despotismus."

Dostojewski, »Die Dämonen«

Die Dämonen ist Dostojewskis eindruckvollster, machtvollster und umstrittenster Roman. Es ist eine spannende Beschreibung der russischen Gesellschaft am Vorabend der Revolution und eine beeindruckende Parabel menschlicher Psyche.

Literatur:

Die Dämonen
Die Dämonen
von Fjodor Dostojewski




Freitag, 28. Oktober 2011

»Das trunkene Schiff« von Arthur Rimbaud

Als fühllose Ströme hinab ich geschwommen, da lenkten die Treidler mich nicht mehr zutal: frech hatten Rothäute zum Ziel sie genommen, das nackt sie genagelt an farbigen Pfahl. Was kümmerten mich meiner Mannschaften Schwärme, da flämisches Korn ich und Baumwolle trug, und als mit den Treidlern erlosch das Gelärme, da ließen die Ströme mir frei meinen Bug. Im wütenden Braus der Gezeiten begraben, den Winter lang, dumpf wie ein Kinderverstand, so fuhr ich, und treibende Halbinseln haben nie stolzere Tohuwabohus gekannt. Es weihte der Sturm mein Erwachen im Meere, noch leichter als Korken betanzt' ich die Flut, die ewiglich wälzt der Ertrunkenen Heere, zehn Nächte nicht mißt' ich der Leuchtfeuer Glut! Noch süßer als Kindern ein Fallapfel, sogen sich grünliche Fluten mir tief in den Bauch; Erbrochnes und Weinflecke spülten die Wogen mir ab, und das Steuer verschleppten sie auch. Seitdem schwimm' ich frei im Gedichte der Wasser, durchspritzt mit Gestirnen und milchig durchweht, und fresse die blaugrüne Flut, wo manch blasser Ertrunkner als sinnendes Treibgut vergeht; wo, färbend die Bläue mit fiebrigen Feuern und langsamen Rhythmen, vom Taglicht verklärt, gewalt'ger als Räusche und voller als Leiern, die bittere Röte der Liebe gegärt! Ich kenne von Blitzen zerspaltene Himmel und Brandung und Strömung und wirbelnde Nacht, das schwelgende Frührot wie Taubengewimmel und sah, was der Mensch nur zu sehen gedacht. Sah fleckig die Sonne von mystischen Schrecken und lange Gerinnsel auf Wellen gebrannt, die fernhin ihr zitterndes Riffeln erstrecken, den Schauspielern griechischer Dramen verwandt. Grün träumt' ich die Nacht mit geblendetem Firne, den Kuß zu den Augen der Meere empor, den Kreislauf der Säfte, noch fremd dem Gehirne, und gelbblau erwachte der Phosphore Chor. Ich folgte durch Monde, wie kopfscheuen Kühen, der Dünung, die gegen die Felsriffe springt, obwohl doch der schimmernde Fuß der Marien die Schnauzen kurzatmiger Meere bezwingt. Ich stieß auf unglaublicher Halbinseln Hügel, wo Augen von Panthern mit Menschenhaut sahn aus Blumen! Und Regenbogen wie Zügel sich straffend zu Herden im Ozean. Sah gären gewaltige Sümpfe, als Reusen, wo modernd im Schilf ein Leviathan versinkt, sah Wasser bei Windstille stürzen und kreisen und Fernen, die reißend ein Abgrund verschlingt. O silberne Sonnen und Flut aus Perlmutter, Gluthimmel und Stranden in bräunlicher Bucht, wo manch Riesenschlange, den Wanzen ein Futter, aus krummem Geäst fällt, schwarz duftende Frucht! Gern hätt' ich sie Kindern gezeigt, diese Räume voll singender Fische, die golden zu sehn. Mein Driften sich wiegte auf Blumengeschäume, und Flügel verlieh mir unsagbar ein Wehn. Oft reckte, die Pole und Zonen erduldet und schluchzend mein Schlingern gemildert, die Flut, zu mir ihre Blüten, saugnäpfig gemuldet, und still hielt ich, wie eine Knieende tut. Schon fast eine Insel, so wippt' ich das Zanken und Koten blauäugiger Vögel daher, und quer durch mein schwächliches Tauwerk versanken Ertrunkene rücklings zum Schlafen ins Meer... Doch ob unterm Kraushaar der Buchten verschollen, vom Sturm vogelhoch in den Äther geschnellt – kein Hanseschiff hätte mehr auffischen wollen den Rumpf, der von Seewasser trunken zerfällt; ob dampfend, von blauroten Dünsten bestiegen, den Himmel als rötliche Wand ich durchfuhr, die, guten Poeten ein schmackhaft Vergnügen, trug Flechten aus Sonne und Schleim aus Azur; ob mondsichelfleckig, elektrisch umschimmert, wahnsinniges Holz, von Meerpferden umkreist, wenn Julmonde mit ihren Knüppeln zertrümmert die meerblauen Himmel, von Trichtern durchgleißt; ob zitternd der Behemoths brünstig Gestöhne auf Meilen ich roch und der Malströme Brei, ob schweifend in regloser Bläue – ich sehne Europas uralte Geländer herbei. Sah Sternarchipele! Hab' Inseln gefunden, wo fiebernde Himmel dem Wandrer geklafft; bist tief du im Schlaf dieser Nächte verschwunden, Million goldner Vögel, o künftige Kraft? Doch weint' ich zuviel! Alles Frührot ist trübe, nur Qual bringt der Mond, und die Sonne tut weh; zu rauschhafter Starre schwoll ätzend die Liebe. O bräche mein Kiel, o verschläng mich die See! Und wünscht' ich ein Heimatgewässer, es hieße: die schwarzkalte Pfütze vorm Haus, wo ein Kind im Abendduft traurig sein Schiff schwimmen ließe, so zart wie ein Falter im Maienwind. Nie kann ich, mit Sehnsucht getränkt von euch Wellen, den Baumwollefrachtern mehr rauben die Bahn, noch Flaggen und Wimpeln den Hochmut verstellen und nie den grimmäugigen Pontons mehr nahn.



Das trunkene Schiff








"Das trunkene Schiff"
von Arthur Rimbaud



Insel-Verlag,
20. April 2008,
11,80 EUR.

ISBN-13: 978-3458193006




Arthur Rimbauds »Le Bateau ivre« ist eines der bedeutendsten Langgedichte der Weltliteratur. Im »Trunkenen Schiff« wagte Rimbaud eine alle Grenzen sprengende Lebens-Fahrt, die ihn zu überwältigenden visionären Erfahrungen führte. Arthur Rimbaud hat hierin poetisch sein kühnes Programm eines Seher-Dichters realisiert.
Weblink: www.dastrunkeneschiff.de - französischer und deutscher Text