Mittwoch, 7. September 2011

»Tagebücher 1982-2001« von Fritz J. Raddatz

Als der ehemalige "DIE ZEIT"-Feuilletonist Fritz J. Raddatz, der 1985 seinen Posten wegen eines falschen Goethe-Zitates räumen musste, hat er seine Tagebücher veröffentlicht, die fast ausschließlich von dieser Kränkung und dem Versuch, diese Wunde zu lecken, handeln.

Die Tagebücher 1982-2001 dokumentieren in einer Rückschau den Kulturbetrieb der alten Bundesrepublik als eine Welt, die an eine Vorhölle erinnert. Es ist das eindrucksvoll erschütternde Dokument eines erstarrten Kulturbetriebes.

Tagebücher 1982-2001

Ein Buch wie dieses hat es noch nicht gegeben. In diesem Bildungsroman verarbeitet er seine Erfahrungen im deutschen Literaturbetrieb. Von Rudolf Augstein bis Marion Dönhoff, von Günter Grass bis Hans Magnus Enzensberger zeigt es die deutschen Intellektuellen, ja überhaupt die ganze bundesrepublikanische Gesellschaft, wie sie so hellsichtig nie beschrieben worden ist: wahrgenommen mit dem Sensorium eines Hochempfindsamen, subjektiv und treffend, anteilnehmend, scharfzüngig. Das Buch, das von der Kritik immer erhofft, von den Schriftstellern aber nie geschrieben worden ist - der große Gesellschaftsroman der Bundesrepublik, das Balzac'sche Porträt unserer Zeit -, hier ist es. Und vermutlich war niemand so geeignet, es zu schreiben, wie Fritz J. Raddatz.

Die Tagebücher 1982-2001 sind ein dunkler Roman aus dem Herzen der alten BRD, voll von Schmähungen, Lob und Freundschaft. Ein böses Sittengemälde und Medienpanorama aus jenen Jahren, als Geist und Macht noch alliiert waren und ein Streit zwischen Federn zur Staatsaffäre werden konnte. Ein Hamburger Sittengemälde in dieser gellenden Epoche. Und das Leidensbuch eines Mannes, der immer wieder Angst hat, an Deutschland krank oder verrückt zu werden.
»Nur wer unter Schriftstellern gelebt hat, weiß was Hass ist.«
Emile Zola
Raddatz erzählt von den Dramen der verbandelten, verfeindeten, ineinander verbissenen Hamburger Medien-Granden. Diese Dramen machen einen wesentlichen Teil der Tagebücher aus. Eine hermetisch, fast höfisch geprägte Welt tritt einem da entgegen, geprägt von Eifersucht, Egoismus, Intrigen. Da werden Briefe gewechselt, da werden die Messer in den Salons gewetzt, da redet man schlecht übereinander und stößt schließlich doch mit Champagner an.

Wie ein roter Faden zieht sich Raddatzs Verhältnis zur Wochenzeitschrift "Die ZEIT" durch das ganze Buch. Der einstige Feuilletonchef der "Zeit" musste 1985 seinen Posten wegen eines falschen Goethe-Zitates räumen. Der Großmeister und Neuerfinder des Feuilletons sinniert über die Gründe seines Falls. In der Kulturszene galt Raddatz wegen seines aufwendigen Lebensstils und seiesn Hangs zur Eitelkeit schon länger als Störenfried. Er war ein Störenfried im deutschen Kulturschrebergarten.

Am 12. Oktober 1985 bricht der "Skandal" los, über den Raddatz schließlich seinen Posten als Feuilletonchef der "Zeit" verliert: Er hatte Goethe in die Epoche der Eisenbahn versetzt. Ein kleiner - eigentlich banaler - Fehler mit großer Wirkung für Raddatz berufliche Karriere. Das war die Gelegenheit, den Störenfried mit seinem "Pörschlein", wie er sein Auto nannte, loszuwerden. "Gespenstisch, meine Vorahnungen", notiert er und sieht sich bestätigt, dass Nachkriegsdeutschland regiert wird vom "alltäglichen Faschismus".

"Seine Eitelkeit hat uns Qualitäten beschert, aber ihn auch dazu verlockt, bis an den Rand zu gehen und darüber hinaus", sagt Theo Sommer von der "Zeit", wo Raddatz 1977 als Feuilletonchef begann - und einen leidenschaftlichen, streitbaren, aufklärerischen, emphatischen, subjektiv geprägten Kulturteil prägte, neben dem die Streber- und Stipendiatenfeuilletons von heute noch papierener wirken.


Tagebücher 1982-2001



Fritz J. Raddatz: Tagebücher 1982-2001«

Rowohlt Verlag, September 2010.
944 Seiten, 34,95 EUR
ISBN-13: 978-389-805781-7

Mark Twain in politisch korrekter Auflage

Mark Twain

Gut 100 Jahre nach dem Tode Mark Twains erscheinen nun seine beiden bekanntesten Bücher in den USA jetzt in einer überarbeiteten und "politisch korrekten" Version.

Die neue Auflage der Abenteuer von Tom Sawyer und Huckleberry Finn werde um zwei "schädliche Beiworte" bereinigt sein, teilte der Verlag NewSouth Books mit. Welche Worte das seien, ging aus der Erklärung nicht hervor.

Es ist aber bekannt, dass die Worte "Nigger" und "Injun", die als Schimpfwörter für Schwarze und für Indianer gelten, nicht mehr in den Büchern vorkommen. Statt des Wortes "Nigger" soll jetzt das Wort "Sklave" im Text stehen, statt der "Injun" das Wort "Indianer".

Stellt sich Frage, warum der Verlag erst jetzt auf die Idee gekommen ist, die Bücher zu überarbeiten, um sie von ihren "Schimpfwörtern" zu befreien.
"Es ist idiotisch, sieben oder acht Monate an einem Roman zu schreiben,
wenn man in jedem Buchladen für zwei Dollar einen kaufen kann."

Weblnks:

Mark Twain-Biografie

Mark Twain-Zitate

Mark Twain - Lesen und hören. - www.twain-lesen.de

Mark Twain - Alle Artikel, Hintergründe und Fakten

Montag, 29. August 2011

Petros Markaris, der zeitgenössische Kriminalautor

Petros Markaris gilt als Vertreter der neuen griechischen Literatur nach westeuropäischem Stil. Sein Vater ist Armenier, seine Mutter Griechin, sein Abitur machte er auf einem österreichischen Realgymnasium in Istanbul, um dann nach Wien und auch für ein Jahr nach Stuttgart zu gehen.

Markaris studierte Volkswirtschaft, bevor er zu schreiben begann. Er hat Theaterstücke, eine Fernsehserie sowie zwei Kriminalromane geschrieben und deutsche Dramen ins Griechische übersetzt, etwa Goethes »Faust« und Brechts »Mutter Courage«. Zudem ist er Co-Autor des international vielfach ausgezeichneten Filmemachers Theo Angelopoulos.

Insbesondere seine Werke um den exzentrisch-verbrummelten Kommissar Kostas Charitos machten den Griechen populär. Mit dem Schreiben von Kriminalromanen begann er erst Mitte der neunziger Jahre. Mit seinen beiden ersten Kriminalromanen »Hellas Channel« und »Nachtfalter« hat Petros Markaris die zeitgenössische Kriminal-Literatur bereichert.

Für Markaris ist ein Kriminalroman gleich ein Gesellschaftsroman. Ihn interessiert die »Globalisierung der kriminellen Tätigkeit, die parallel zur wirtschaftlichen Globalisierung läuft«.

Weblink:

Petros Markaris - www.krimi-couch.de

Samstag, 27. August 2011

»Faule Kredite« - Petros Markaris' Buch zur Griechenland-Krise

Das Buch zur Griechenland-Krise ist - wie sollte es anders sein - natürlich ein Krimi mit einem dazu passenden Titel: »Faule Kredite« heißt der neueste Thriller vom bekanntesten Krimiautor Griechenlands Petros Markaris.

Für Krimi-Autoren ist Griechenland zur Zeit das Paradies, sagt Petros Markaris, für alle anderen die Hölle. In »Faule Kredite« betrachtet Petros Markaris die griechische Krise wie einen komplexen Kriminalfall.



Sein Roman »Faule Kredite« ist der sechste Band einer Reihe um den Athener Kommissar Kostas Charitos. Charitos bekommt in dem Roman zur Finanzkrise viel zu tun: Er muss gleich vier spektakuläre Morde aufklären, denn drei Bankiers und der Boss eines Inkassounternehmens werden enthauptet aufgefunden. Eine Serie geköpfter Männer, alle aus dem Dunstkreis der Finanzwelt, hält die Polizei der Hauptstadt mit Kostas Charitos an der Spitze der Ermittler in Atem.

Für einen Verlag ist ein Roman zu einem Ereignis natürlich ein Glücksfall.
Und schon wächst aus der Krise schenll ein Geschäft: Das druckfrische Buch des griechischen Krimi-Autors wurde in Italien schon zweimal nachgedruckt. Die deutsche Ausgabe ist am 5. Juli 2011 erschienen. Ursprünglich geplant war der September.




Faule Kredite








"Faule Kredite"
Ein Fall für Costas Charitos
von Petros Markaris



diogenes,
gebundene Ausgabe,
22,90 EUR.
ISBN-13: 978-3-257-06793-2





Donnerstag, 25. August 2011

»Das Gartenfest« von Václav Havel

Václav Havel

Vaclav Havel ist ein Vertreter des absurden Theaters und seine Erzählwerke stehen in dessen Tradition. Bestimmendes Grundthema in Havels dramatischem wie essayistischem Werk – als Ursache der Absurdität – war die Entfremdung des heutigen Menschen von der von ihm genannten Lebenswelt, einer Idealvorstellung der Menschen auf Erden.

Diese werde dadurch hervorgerufen, dass in der aufgeklärten Fortschritts-Gesellschaft die Wissenschaft die Position der obersten Instanz, die zuvor dem unbekannten Höheren - Gott oder ähnlichem - vorbehalten war, eingenommen hat.

1960 kam der junge Autor am Prager »Theater am Geländer« unter. Angestellt wurde er als Bühnenarbeiter. Doch Havel gelang es, die Schere zwischen zugewiesener sozialer Rolle und selbst bestimmter Identität zu schließen: Er setzte sich als Dramaturg und Hausautor des Theaters durch. Sein erstes abendfüllendes Stück war »Das Gartenfest«. Es geht darin, wie könnte es anders sein, um einen Menschen, der seine Identität verliert - gefangen im Mechanismus der Phrase.

Was kann es denn anderes sein als eine Parodie, wenn Vaclav Havel die Phrasen von Parteifunktionären zum Inhalt eines Theaterspiels macht. Václav Havels als »Spiel« bezeichnetes Drama »Das Gartenfest« ist eine Satire auf die vom Staat geforderte Phraseologie, die sich als Sprache verselbständigt, alles überwuchert und die Menschen zu blossen Erfüllungsgehilfen einer totalitären Ideologie abstempelt.

Im Mittelpunkt eines undurchschaubaren Machtkampfes zweier verfeindeter Funktionärs-Gruppierungen steht ein junger Mann namens Hugo Pludek. Er wird eines Tages mit einer "außergewöhnlichen Aufgabe" betraut, nämlich "auf den Trümmern des ehemaligen Amtes für Auflösung und des ehemaligen Eröffnungsdienstes ein neues, großes Amt aufzubauen: Die Zentralkommission für Eröffnung und Auflösung".




Auf einem Gartenfest sind die Funktionäre des Amts für Eröffnung und des Amts für Auflösung vertreten, einer dem andern misstrauend. Der junge Hugo fügt sich schnell in diese Gesellschaft ein und entwickelt sein Projekt eines Amts für Eröffnungs-Auflösungs-Eröffnung, das alle in Unkenntnis ihres eigentlichen Zweckes überschwänglich loben, weil es niemand so richtig durchschaut. Obwohl niemand so richtig weiß, was das sein soll, und wer dann wen schulen soll, aber der Plan wird gut geheißen. Schnell wird der mit Opportunisten konfrontiert, die sich allesamt als nonkormistisch empfinden und ihr Arrangement mit dem tyrannischen Staat mittels selbsttrügerischer Leerformeln verteidigen.

Václav Havel zeigt in seinem Drama auf, wie die vom Staat geforderte Sprache den Menschen durchdringt, wie diese Durchdringung der Sprache sich verselbständigt und dann schliesslich zur leeren Phraseologie wird, die keiner mehr durchschaut. Es zeigt die Entfremdung des heutigen Menschen von der sogenannten Lebenswelt deutlich auf.



Weblink:

Hintertürchen und so weiter - www.nachtkritik.de



Gartenfest
von Vaclav Havel

Mittwoch, 24. August 2011

José Luis Sampedro - Leitfigur des spanischen Frühlings

Der 94-jährige Schriftsteller José Luis Sampedro wird gerade zur Leitfigur des spanischen Frühlings und fordert seine Landsleute via Facebook auf, sich der Diktatur des Finanzsystems zu entziehen. Er wird damit zum neuen Vorbild der 30-jährigen.

Der Schriftsteller José Luis Sampedro, der das Vorwort zu Stephané Hessel „Empört Euch!“ schrieb, prognostiziert in Interviews einen anhaltenden Widerstand, der die politische Kultur im Sinne der „Indignados“ verändert wird.

Die Proteste drücken eine tiefe Unzufriedenheit mit der politischen Führungsschicht aus, von der sich viele weder gehört noch repräsentiert fühlen. Kritisiert wird die gesamte „politische Klasse“ in Regierung und Opposition, aber auch geschlossene Machtzirkel in Bürokratie und Gewerkschaften. Die Aktivisten fordern die Reform des institutionellen Systems und eine „wirklich demokratische“ Kultur.

Der hochbetagte Schriftsteller José Luis Sampedro spricht vom verrotteten Fundament der Demokratie, über das immer nur neue Teppiche geworfen würden, um das Elend zu kaschieren.

Dienstag, 23. August 2011

Jorge Semprun Schreiben oder Leben

Jorge Semprún, geboren 1923 in Madrid, floh während des Spanischen Bürgerkrieges mit seiner Familie vor den Franco-Faschisten ins Exil.

Im Zweiten Weltkrieg kämpfte er für die Resistance und wurde im Januar 1944 in einem Viehwaggon nach Buchenwald deportiert. Im KZ Buchenwald beteiligte er sich am lagerinternen, von den Kommunisten aufgebauten Widerstand.

Die Deportation und die Gefangenschaft verarbeitete er später in den Romanen »Die große Reise« (1963) und »Was für ein schöner Sonntag« (1980). Seine Bücher, die um das Lager kreisen, sind Weltliteratur. Semprun hat sich auch durch das Schreiben befreit.

Sein literarisches Werk (meist in französischer Sprache geschrieben) ist gekennzeichnet vom Anschreiben gegen das Vergessen. Schreiben oder Leben, diese Entscheidung hat Jorge Semprún lange mit sich herumgetragen, ehe er das Buch »Die Zeit der Stille« 1994 veröffentlichte, das von einem Überlebenden des KZ Buchenwald und dessen qualvoller Rückkehr ins Leben erzählt.