Fast 26 Jahre nach dem Tod des tschechischen Dichters erscheint jetzt der erste Gedichtband von Vladimir Holans »Gesammelte Werke«. Bis in das Jahr 2029 sollen laut Übersetzer und Herausgeber Urs Heftrich im Zwei-Jahres-Rhythmus dreizehn weitere Bände folgen.
Lyrik 1: 1932 – 1937
Vladimír Holans so genanntes kanonisches Frühwerk umfasst die Bände Das Wehen (Vanutí, 1932), Der Bogen (Oblouk, 1934) und Stein, kommst du… (Kameni, přicházíš…, 1937). Der Lyrikband Das Wehen (Vanutí) ist eigentlich Holans dritte Gedichtsammlung, jedoch die erste, die im Nachhinein vor der Selbstkritik des Dichters bestehen kann. Von den früheren beiden Lyrikbüchern Der schwärmerische Fächer (Blouznivý vějíř, 1926) und Triumph des Todes (Triumf smrti, 1930) distanziert er sich später. Mit seinem Frühwerk tritt Holan das Erbe der Symbolisten und ihrer Nachfolger an und verweigert sich dem Poetismus, in dessen Zeichen noch sein Debüt steht. Seine Verse sind nun nicht mehr leicht, optimistisch, erotisch und der zweckfreien Ästhetik gewidmet, sondern zeichnen sich durch Formstrenge, metaphysischen Ernst, Dunkelheit und Tragik aus. Damit entdeckt Holan die poésie pure wieder und knüpft an Dichter wie Stéphane Mallarmé, Rainer Maria Rilke und Paul Valéry an.
Die Lyrikbände Das Wehen (1932), Der Bogen und Stein, kommst Du sind als Band 1 der Gesammelten Werke Vladimir Holans (1905-1980) zusammengefasst. Bis ins Jahr 2029 sollen im Zwei-Jahres-Rhythmus dreizehn weitere Bände folgen, darunter acht weitere Lyrikbände, drei mit epischen Dichtungen und zwei Prosa-Bände.
Diese übersetzerische Mammutprojekt ist dem Heidelberger Slawisten Urs Heftrich zu verdanken, der zusammen mit dem tschechischen Bohemisten Michael Spirit erstmals vollständig in einer Fremdsprache das Gesamtwerk des Tschechen zugänglich macht.
Die erwähnten drei Lyrik-Bände, die als Band 1 erscheinen, waren nicht die ersten Veröffentlichungen Holans, doch sie bilden sein kanonisches Frühwerk und sind ebenfalls erstmals übersetzt worden. Diese späte Rezeption im Ausland liegt nicht an der Qualität der Verse – Holan gilt in seiner Heimat als einer der größten Dichter und hätte ebenso wie sein Freund und Weggefährte Jaroslav Seifert den Literaturnobelpreis verdient – sondern an den Schwierigkeiten einer Übertragung der Lyrik Holans, die als hermetisch, dunkel, tragisch und schwer verständlich gilt. Doch wie bereits der vorliegende erste Band beweist, zeigen seine Gedichte sehr viel mehr Facetten.
Jaroslav Seifert: „Weil sie vermutlich neugierig sind, wer von uns damals der beste Dichter war, will ich es Ihnen gleich verraten: Vladimír Holan, der schwarze Engel.“
Nach einer ersten Phase unter dem Einfluss des tschechischen Poetismus, einer Avantgardeströmung mit spielerischem und lebens- und lustbetontem Ansatz in den 20er Jahren, entdeckte Holan bald das Werk von Mallarmé, Rilke und Valery und entwickelte auf dieser Grundlage einen eigenen Stil, der ihn zum führenden Vertreter der „poésie pure“, der reinen Dichtung machte: Er experimentierte im klassizistischen Gewand mit Sprachdeformationen, erfand grammatikalische Eigenwilligkeiten, gedankliche Paradoxien, Neologismen, frönte dem freien Spiel der Klänge.
Inhaltlich umkreiste er das dichterische Schaffen an sich, die Frage nach der Inspiration, die Beziehung zwischen realer und transzendenter künstlerischer Welt. Das Gedicht „Abend“:
"Wir dauern durch das Glänzen von Phantomen! Gierig und erschreckt!
So haben wir am Tanze teil, wo schon Pfeile zielen
um uns das Gift der Zärtlichkeit ins matte Fühlen
zu jagen, das den Rausch erweckt."
Früh und geradezu radikal entschied sich Holan für seine Dichter-Berufung: Ein Jura-Studium brach er nach dem ersten Semester ab. Der Plan, durch eine Beamtentätigkeit beim Prager Allgemeinen Pensionsinstitut mehr Zeit und Ruhe für seine Gedichte zu finden, scheiterte. Holan ließ sich, gerade mal 30 Jahre alt, frühpensionieren, um nur noch zu schreiben.
Unter dem Eindruck der politischen Entwicklungen verließ Holan seinen lyrischen Elfenbeinturm. Er reagierte in der zweiten Hälfte der 30er Jahre auf den spanischen Bürgerkrieg und die Bedrohung der Tschechoslowakei durch den Nationalsozialismus.
„An die spanischen Arbeiter“:
"Mit euch vereint, mit euch auch attackiert
will ich sie donnern hören, die Antennen
wer euch für Früchte hielt, der spürt
den harten Kern, der lernt euch kennen"
Holans Verse werden formal einfacher, verständlicher und klarer, doch sie bedienen sich immer noch einer ganz eigenen Bildsprache. In dem Gedicht „Europa 1936“ heißt es zum Beispiel:
"So wie ein Kind bei seiner Scheibe weißen Brots
die Rinde bis zum Schluss bewahrt
so wird die Zeit, gerüstet, auch vom Mond abbeißen.
Stück für Stück. Die Sichel blieb noch aufgespart."
Die Befreiung durch die Rote Armee begrüßte Holan mit großer Begeisterung – auch in seinen Versen – doch unvorsichtige Bemerkungen über die Befreier in seinem nun schon erzkommunistischen Heimatland des Jahres 1949 brachten ihm eine Denunziation und ein jahrlanges Publikationsverbot ein. Bis 1955 durfte er kein einziges Buch veröffentlichen, bis 1963 wurden allenfalls bibliophile Drucke geduldet. Die materielle Not wurde von einer künstlerischen Isolation begleitet.
Doch gerade in diesen „grausamsten Jahren“ seines Lebens schrieb er sein Lebenswerk „Nacht mit Hamlet“ und „Toskana“, beides 1000 Verse umfassende Gesänge, in denen er Gericht hielt über sein Leben und sein Jahrhundert.
1969 wurde Holan für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen. Eine der traurigsten Paradoxien im Leben des verfemten Dichters ist, dass ihm das Regime bei seinem Tod 1980 ein Staatsbegräbnis ausrichtete.
Vladimír Holan: Gesammelte Werke, Band 1
Das lyrische Frühwerk (1932-1937):
Die Gedichtsammlungen „Das Wehen“, „Der Bogen“, und „Stein, kommst Du...“
Mutabene Verlag