Samstag, 16. Juli 2016

Realismus in der Literatur verschwunden

Es ist ein zu beobachtendes Phänomen: der Realismus in der Literatur ist verschwunden. Einst eine gefeierte Gattung im Literaturbetrieb, führt er heute ein Dasein am Rande des Literaturbetriebes. Kaum ein Schriftsteller, der es wagt, einen Roman im Stile des Realismus zu schreiben verfassen.

Der Realismus war Mitte des 19. Jahrhunderts eine Strömung, die eine gesellschaftliche Thematik aufgriff und literarisch verarbeitete. Es ging aber nicht nur um die bloße Wiedergabe des Realität, sondern war zugleich auch ein Stilmittel: Realistische Literatur durfte nicht bloß eine Wiedergabe der Wirklichkeit sein, sondern musste mit literarischen Mitteln die Realität verarbeiten.

Der Realismus, der so große Autoren wie Hauptmann, Fontane, Balzac, Zola und Flaubert hervorgebracht hat, ist heute keine gefragte literarische Kategorie mehr. Es herrscht kein Interesse an Romanen, welche realistisch über die heutige Zeit schreiben würden und auch kein Interesse an einer „realistischen Darstellung“ der Verhältnisse.

Die Autoren, welche realistische Romane geschrieben haben, standen im offenen Widerspruch mit ihrer Zeit. Dies war ein charakeristisches und verbindendes Merkmal der Autoren. Sie haben geschrieben, um Sozialkritik zu üben und die beklagenwerten Lebensumstände zu kritisieren.

Gemäß dem Tucholskyschen Verdikt, nichts sei schwieriger, als sich im offenen Widerspruch zu seiner Zeit zu befinden und laut zu sagen "Nein", entwickelten sie eine provokante Wiederauferstehung der engagierten Literatur, auf der Folie, dass sich jede Literatur an dem Anspruch zu messen habe, was sie zur gesellschaftlichen Realität ihrer Zeit beizutragen hat.

Die Romane folgen einem Muster: Konflikte in der Gesellschaft wurden in die Familie oder einzelne Personen getragen, aus denen sich der literarische Stoff entwickelt. Oder Einzelne geraten in offenen Widerspruch oder existenzielle Konflikte mit der Gesellschaft.

Realistisch zu schreiben ist neben einer Frage des Könnens und des Beschreibens, eine Frage der Bildung und der sozialen Umstände, unter denen ein Autor lebt.

Die Anforderugen an die Literaten waren hoch:
Realistische Literatur durfte nicht bloß eine Wiedergabe der Wirklichkeit sein, sondern musste mit literarischen Mitteln die Realität verarbeiten. Um realistisch zu schreiben, bedarf es großer Auffassungsgabe, präzises Beobachten, Verstehen der politischen gesellschaftlichen Zusammenhänge, ein Übermaß an Phantasie und eine große Portion Mut - Eigenschaften, über die heute kaum noch ein Autor mitbringt.

"Es gibt Bücher, durch welche man alles erfährt

und doch zuletzt von der Sache nichts begreift."


Johann Wolfgang von Goethe

Eine Dilemmasituation: Welcher Autor könnte es heute wagen, durch Literatur offen oder verdeckt Sozialkritik zu üben und damit gleichzeitig auf literarischen Erfolg zu hoffen? - So kommt es, wie es kommen muss: die Gesellschaft verhindert die Entstehung von Gesellschaftsromanen. Dabei gibt es doch genug Themen, über die es zu schreiben lohnt! Ausbeutung, Niedriglohn, Armut.

Gesellschaftliche bzw. sozialkritische Themen sind auf dem recht eintönig gewordenen Literaturmarkt nicht gefragt. Die Autoren flüchten sich lieber in Phantasy- und Kriminalwelten und schreiben lieber Phantasy-Geschichten oder Krimis, um die Leser in ihren Bann zu ziehen und somit das Bedürfnis des Lesers zu decken.

Dabei täte mehr Realismus dem Büchermarkt gut. Mit dem Realismus ist auch die Erzählkunst verlorengegangen. Die heutigen Autoren beherrschen diese Erzählkunst des Realismus nicht mehr. Es herrscht eine gewisse gewollte literarische Eintönigkeit vor, die auch noch medial unterstützt wird.

Mit dem Verschwinden des Realismus einher geht auch der Niedergang des Gesellschaftsromans. Wer heute als Schriftstller ein Buch über die Gesellschaft schreibt, liegt bei der Thematisierung der Wirklichkeit meist (gewollt) daneben. - Also Vorhang auf für die Wirklichkeit!

Literatur:

Realismus - www.literaturwelt.com

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