Samstag, 2. Juli 2022

Henry David Thoreau und das Leben in den Wäldern

Henry Thoreau

Mit achtundzwanzig Jahren zieht sich Henry David Thoreau an den Walden-See in den einsamen Wäldern von Massachusetts zurück, um fern aller Zivilisation ein Leben im Einklang mit der Natur zur erproben. Der Bericht seines radikalen Selbstexperiments ist zum Klassiker und Kultbuch des alternativen Lebens geworden.

Nach seinem Studium war Henry David Thoreau kurze Zeit Privatsekretär bei dem amerikanischen Philosophen Ralph Waldo Emerson. Danach sagte er der Zivilisation ade und führte als Naturmensch ein Leben einsam in den Wäldern.


Der Dichter schildert, wie er sich mit Fischfang, Getreide- und Gemüseanbau selbst versorgt, und erteilt Ratschläge, wie es gelingt, die Bedürfnisse auf ein Minimum zu reduzieren. So erhält der Leser tatsächlich recht handfeste Tipps zur Bewältigung des kargen Alltags. Das generationenübergreifende Kultbuch vieler Wandervögel und Strickpulloverträger hat aber auch eine gewichtige philosophisch-religiöse Seite: Thoreau beschreibt, wie er in der Waldeinsamkeit zu einem erweiterten Verständnis seiner selbst und der ihn umgebenden Natur gelangt.

So fällt es dem Naturmenschen mit der Zeit immer leichter, auf den gewohnten Luxus zu verzichten und sich den bescheidenen Verhältnissen anzupassen. Auch wenn man es ihm nicht gleichtun möchte und man auf die Annehmlichkeiten des modernen Lebens nur ungern verzichtet: Walden ist nichts weniger als ein Ratgeber für ein besseres Leben.

Walden oder Leben in den Wäldern
Walden oder Leben in den Wäldern


"Der Weise bleibt zu Hause, das Reisen ist des Narren Paradies", schrieb der Philosoph Ralph Waldo Emerson und überließ seinem Freund Henry David Thoreau großzügig ein Grundstück, auf dem dieser sesshaft wurde und die Bibel der Sesshaftigkeit schrieb: "Walden oder Leben in den Wäldern". Emerson selbst reiste unverdrossen weiterhin.

„Eine landläufige, wenn auch unbewusste Verzweiflung steckt

auch in dem, was man Spiel und Vergnügen nennt."



Am 4. Juli 1845, dem Unabhängigkeitstag, bezog Thoreau seine selbsterbaute Blockhütte "Walden Hut" bei Concord am Walden-See, auf einem Grundstück Emersons. Hier lebte er etwa zwei Jahre zwar allein und selbständig, aber nicht abgeschieden.

Thoreau zog in den Wald, weil er den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, dem wirklichen Leben näherzutreten, vom Leben selbst zu lernen, was es zu lehren hat, damit man nicht zur Stunde seines Todes erkennen muss, dass man nicht gelebt hat. Dabei geht es ihm nicht um die Entsagung an sich, außer sie ist unumgänglich; Thoreau wollte sich auf die Essenz des Lebens konzentrieren und alles ausschließen, was nicht Leben ist.

Dort pflanzt er Bohnen, er vermisste den See vor seiner Hütte, er besuchte seine Nachbarn in anderen Hütten und erzählte deren Geschichte, er hörte dem Regen zu, beobachtete den Schneesturm, schilderte den Besuch eines Eichhörnchens, er fischte, und er schrieb „Walden".

Thoreau ist ein radikaler Kultur- und Zivilisationskritiker. Er ist einer der vielen, die der Frage vom richtigen Leben nachgehen.

Literatur:

Walden. Ein Leben mit der Natur
Walden. Ein Leben mit der Natur
von Henry D. Thoreau

Mittwoch, 29. Juni 2022

»Der Sandmann« E.T.A. Hoffmann


»Der Sandmann« ist eine Erzählung in der Tradition des Kunstmärchens der Schwarzen Romantik von E.T.A. Hoffmann, die ursprünglich in der Sammlung »Nachtstücke« erschienen ist und erstmals 1816 veröffentlicht wurde. Sie erschien ohne bestimmte Autorenangabe in Berlin. »Der Sandmann« von E.T.A. Hoffmann gehört zu den bedeutendsten Werken der Romantik, ist ein Paradebeispiel für das spätromantische Kunstmärchen und für den Gruselroman.

Als Hoffmann in den Jahren 1816 / 17 den zweibändigen Zyklus »Nachtstücke« publizierte, in dem unter anderem auch sein heute wohl berühmtestes Werk »Der Sandmann« enthalten ist, hatte er seinen Ruf als besonderer spätromantischer Dichter bereits inne.

Im Zentrum der psychologisch ausgefeilten Erzählung von E.T.A. Hoffmann steht der Physikstudent Nathanael. Besonders interessant an diesem Werk ist der mehrteilige Aufbau des Werkes. Hoffmann beginnt die Erzählung mit einem Briefwechsel. Nathanael schreibt an den Bruder seiner Verlobten Clara, ein Mann namens Lothar. Wie später deutlich wird sind die Eltern von Clara und Lothar früh gestorben, sie kamen zu Nathanael und seiner Schwester, als deren Vater wiederum ebenfalls bereits gestorben war. Clara und Nathanael sind zwar über mehrere Ecken miteinander verwandt, doch – wie das Leben es damals vorgesehen hatte – steht einer Liebe nichts im Wege. Die beiden nähern sich an und blieben sich treu. Während Nathanael im anonym bleibenden Ort G. studiert, reist er nach Absenden seines zweiten Briefes an Lothar nach S., wo die Geschwister nach wie vor in dem Haus wohnen, in dem sei gemeinsam aufgewachsen sind.

Hier ist allerdings der Inhalt der Briefe von Relevanz. Nathanael meldet sich nach einer etwas längeren Schreibpause wieder in seiner Heimat, schreibt den Brief, der zentral für das Handlungsgeschehen werden soll allerdings nicht an Clara sondern an deren Bruder Lothar. Darin berichtet er von einer Begegnung, die er unlängst mit einem sogenannten Wetterglashändler hatte, der ihn an einen Mann erinnerte, der zu früheren Zeiten oft bei seinen Eltern zu Gast war. Die Rede ist vom Advokaten Coppelius, den er eng mit seinem Kindheitstrauma vom Sandmann verbindet, das ihm die Mutter einst erzählte, wenn er abends immer zu einer genauen Uhrzeit ins Bett gemusst hatte. Während ihm die Mutter die Geschichte vom Sandmann richtig und kindgerecht erzählt, bekommt er sie von der Amme der damals noch viel jüngeren Schwester deutlich grausamer vermittelt: Der Sandmann ist nicht etwa eine Gestalt, die den Kindern die Augen mit Sand zustreut bis sie zusammenkleben, sondern eine Gestalt, die den Kindern die Augen ausreißt. Geplagt von diesem Trauma denkt Nathanael stets an den Sandmann, wenn er Schritte auf dem Flur hört, wo er im Bett liegen muss. Eines Tages versucht er herauszubekommen, wie diese Gestalt ist, die er unumgänglich für den Sandmann hält, die immer abends ins Haus kommt und zum Zimmer des Vaters Eintritt verlangt. Er stielt sich eines Nachts in das Büro und wartet, bis der Sandmann in das Zimmer kommt. Als er dann aber den Advokaten Coppelius sieht, der mit dem Vater chemische Experimente durchführt, lockert sich seine Angst nicht etwa sondern projiziert sich auf den Advokaten selbst. Der Vater kommt schließlich bei den Experimenten auf recht grausame Weise zu Tode, und Nathanael sieht nach wie vor die Schuld bei Coppelius.

Als er also von dem Krämer vor seiner Tür, der später den Namen Coppola erhält, an dieses Kindheitstrauma erinnert wird, schreibt er seine Sorgen an Lothar und adressiert den Brief in seiner Rage allerdings an Clara. So kommt es, dass diese ihm antwortet und sich einerseits besorgt über die Lage ihres Verlobten äußert, ihm andererseits sein Trauma und seine Fantasie auch auszureden versucht. Nathanael reist nach S., wo er in der Anwesenheit Claras immer mehr in Düsternis versinkt, anfängt über ihre Augen zu philosophieren und dann schließlich immer weiter abdriftet in seinen Gedanken, was dazu führt, dass ihn Clara mehr und mehr nicht versteht und abweist, was er ihr wiederum zum Vorwurf macht. Als er sie als ein lebloses Automat bezeichnet, bricht diese zusammen und Lothar, der von der seelischen Verfassung seiner Schwester in Kenntnis gesetzt wird, fordert Nathanael zum Duell heraus. Dies kann verhindert werden und Nathanael schwört Clara ewige Liebe – dennoch ist zu erkennen, dass dies nicht lange währt. Als er nach G. zurückkehrt, wird er von seinem Physikprofessor Spalanzani zu einem Fest in dessen Haus eingeladen, in dem er zum ersten Mal nach Jahren seine schweigsame, schwierige Tochter Olimpia vorstellen möchte. Anfangs erscheint diese Nathanael bei der ersten Begegnung noch leblos, später dann aber ist er gefesselt von ihrer Aura und scheint trotz ihrer wenig kommunikativen, steifen Art dennoch eine rege Konversation mit ihr zu führen: bedingt durch die Ausstrahlung ihrer Augen.

Durch einen Zufall fällt auf, dass Olimpia kein wirklicher Mensch, sondern eben ein Automat - also eine Art Roboter ist -, die der Professor selbst gebaut hat und als lebenden Menschen verkaufen wollte. Spalanzani verliert seine Stelle und Nathanael wird in die Psychiatrie eingeliefert, weil er im Anblick der herausspringenden Augen Olimpias wahnsinnig geworden ist. Als er aus dieser entlassen wird, möchte er Clara heiraten und mit ihr aufs Land ziehen. Bei einem letzten Besuch auf dem Turm, von dem aus sie über die Stadt blicken wollen, gerät Nathanael erneut in Rage, als er Coppelius am Fuße des Turmes erblickt und stürzt sich hinunter.

Diese durchaus tragische und komplexe Geschichte wird auf etwa 40 Seiten erzählt. Hoffmann wählt, nachdem er die drei Briefe an den Anfang seiner Erzählung gesetzt hat, den auktorialen Erzählstil, mit dem er auf die Handlung blickt und den Leser direkt ansprechend das Geschehen vermittelt, vor- oder zurückgreift und die entsprechenden Verhaltensauffälligkeiten teils auch beurteilt. Hoffmann scheint dieser Erzählstil zu liegen, er verwendete ihn auch in anderen Werken, besonders sei der Goldne Topf genannt, der hier in dieser Rezension noch einige Male auftauchen wird. Zentraler Anlass für diese Erzählung soll die Auseinandersetzung mit psychisch Kranken gewesen sein, die im 19. Jahrhundert, in der die Erzählung in nur etwa vier Tagen entstanden sein soll, eine grundlegende Änderung erfuhr. Sogenannte „Irre“ galten nicht mehr als unheilbar, ihre Lage war zudem nicht vollkommen grundlos.

Hoffmann scheint mit seinem Sandmann hier eine Art psychologische Studie vollzogen zu haben, in der er sowohl den Krankheitsverlauf, den falschen Umgang der Mitmenschen aber auch die Ursachen einer solchen Krankheit und eines solchen Wahnsinns zu benennen versucht. Der frühe Tod des Vaters, die Gruselgeschichten, die man kleinen Kindern erzählt hat, um sie zu manipulieren. Die Erzählung ist an einigen Stellen wirklich spannend und wirklich gruselig, und nein, ich denke nicht, dass dies etwas ist, was dem Niveau einer Erzählung Abbruch tut, auch wenn man diese Aspekte der Erzählung heute wie damals eher belächelt hat.

Wider Erwarten war die Erzählung am Anfang auch sehr schlüssig und greifbar, verliert sich dann aber als sie das zweite, meines Erachtens überflüssige Standbein mit Olimpia aufmacht. Natürlich ziert diese zweite Handlungsebene die ansonsten etwas knapp geratene Erzählung enorm, doch verwirrt sie auch an einigen Stellen, weil die ganze Existenz eines solchen „Automaten“ für den heutigen Leser vielleicht einfach zu fantastisch sein mag. Hier wird man, während man den ersten Teil in seinen Wirren gut mit der Erkrankung Nathanaels begründen kann, dazu gezwungen, die reale Ebene zu verlassen und sich auf die Fantasie und Fiktion Hoffmanns einzulassen.

Es mag also nicht verwundern, dass man in der Literaturkritik den Werken Hoffmanns nach zwei eher verrissenen Werken nicht mehr sehr offen gegenüberstand. Deswegen sind die Zeitzeugnisse, die es zum Ersterscheinen des Sandmanns gibt, vergleichsweise dürftig.

Seine vorhergegangenen Werke, einmal einen weiteren Sammelband unter dem Titel »Fantasiestücke in Callots Manier«, aber auch »Der goldene Topf« wurden von der Literaturkritik viel beachtet aber zeitgenössisch meist nicht gelobt. Heute gehört es zu den bedeutendsten Werken der Romantik, ist ein Paradebeispiel für das spätromantische Kunstmärchen und für den Gruselroman.

Dass der Autor natürlich nicht nur auf diese ästhetischen Komponenten anspielte, sondern in seinen Werken auch noch stets ein tieferer Sinn zu finden ist, wenn man nach ihm sucht, ergibt sich aus der intensiven Auseinandersetzung der Literaturwissenschaft mit diesem Werk.

»Der goldene Topf« erschien erstmals 1814, wurde dann fünf Jahre später noch einmal überarbeitet, doch sind die Grundelemente, die sich in dieser späteren Erzählung Hoffmanns spiegeln mit Sicherheit auch in der Urfassung zu erkennen. Der Student Anselmus und der Archivarius Lindhorst funktionieren in ihrer Paraderolle mit denselben Faktoren. Auch Anselmus steht verwirrt und verlassen im Leben, auch er wird für „toll“ oder dumm erklärt, weil er an die magische Parallelwelt glaubt. Wenn sich sein Schicksal auch anders entwickelt, scheinen mir die beiden Figuren letzten Endes doch auch recht ähnlich.

Auch der Konflikt, zwischen zwei Frauen zu stehen (Nathanael zwischen Clara und Olimpia, Anselmus wischen Veronika und Serpentina) wird nicht nur ähnlich erzählt sondern letzten Endes auch ähnlich aufgelöst. Diese und viele weitere Parallelen lassen mir das Frühwerk E.T.A. Hoffmanns nicht etwa einfallslos aber doch vergleichsweise durchschaubar erscheinen. Wenn er auch erzählerisch einige Kniffe verwendete, sind die Werke als solche nicht so wirklich voneinander zu trennen und entwickeln sich nur in wirklich eigenartigen Texten wie den »Lebensansichten des Katers Murr« oder dem »Fräulein von Scuderi« inhaltlich in eine andere Richtung.

E.T.A. Hoffmann schreibt, und das steht außer Frage, romantik-kritische Texte – vielleicht ist auch das der zentrale Aspekt, warum uns seine Bücher heute so gefallen und warum sie so wenig kitschig und aus der Zeit gefallen scheinen. Die Lektüre des Sandmanns lohnt sich auf jeden Fall, ganz abgesehen davon, dass er mittlerweile hoch oben auf den Listen der Bücher steht, die man im Laufe seines Lebens gelesen haben sollte. Er ist an manchen Stellen besser zu verstehen als andere, ausgefallenere Werke Hoffmanns, ist aber meines Erachtens auch nicht fehlerfrei. Vielleicht ist er aber gerade deshalb für die Literaturwissenschaft so unheimlich reizvoll.

Literatur:

Der Sandmann
Der Sandmann
von E.T.A. Hoffmann

Sonntag, 26. Juni 2022

Alfred Döblin 65. Todestag

Alfred Döblin

Alfred Döblin starb vor 65 Jahren am 26. Juni 1957 in Emmendingen. Alfred Döblin war ein deutscher Arzt, Psychiater und Schriftsteller. 1938 emigrierte er als einer der Letzten aus Deutschland.

Sein episches Werk umfasst mehrere Romane, Novellen und Erzählungen, daneben verfasste er unter dem Pseudonym »Linke Poot« satirische Essays und Polemiken. Als führender Expressionist und Wegbereiter der literarischen Moderne in Deutschland integrierte Döblin früh das Hörspiel und Drehbuch in seinem Werk.

Er schrieb Erzählungen und Aufsätze, fand aber keinen Verleger. Im Ersten Weltkrieg war er Kasernenarzt. Der S. Fischer Verlag brachte seine ersten Romane heraus, nicht gerade Bestseller, aber langsam begann Döblin, in der Welt der Literatur ein Begriff zu werden.
Da war er Anfang 40 und Berlin, das Berlin der 20er Jahre, die Großstadt, das war, so sagte er, "das Benzin, mit dem sein Motor läuft".


Er war Mitbegründer der expressionistischen Zeitschrift "Der Sturm" (1910) und legte mit seinem 1913 erschienenen Erzählband "Die Ermordung der Butterblume" erste eigene expressionistische Texte vor.

1920 veröffentlichte er den historischen Roman »Wallenstein«. Weiterhin setzte Döblin als avantgardistischer Romantheoretiker mit den Schriften »An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programm, Bemerkungen zum Roman« und »Der Bau des epischen Werks« zahlreiche Impulse in der erzählenden Prosa frei.

1929 erschien sein bekanntestes Werk »Berlin Alexanderplatz«. Seine Erzähltechnik, die zwischen registrierender, neuer Sachlichkeit und Eindrücken der modernen Großstadt schwankt, brachte Döblin Vergleiche mit James Joyce ein.

„Wenn ein Roman nicht wie ein Regenwurm in zehn Stücke geschnitten werden kann und jeder Teil bewegt sich selbst, dann taugt er nicht.“

Sein weitaus am stärksten rezipierter Roman ist »Berlin Alexanderplatz«. Die Geschichte des Transportarbeiters Franz Biberkopf, der, aus der Strafanstalt Berlin-Tegel entlassen, als ehrlicher Mann ins Leben zurückfinden möchte, ist der erste deutsche Großstadtroman von literarischem Rang.


Alfred Döblin stammte aus einer Familie assimilierter Juden. In seinem zehnten Lebensjahr trennte sich der Vater von seiner Frau und ließ die Familie mittellos zurück. Das plötzliche Verschwinden des Vaters traumatisierte den Jungen nachhaltig. Bereits in seinem letzten Schuljahr verfasste Döblin mehrere Erzählungen und einen Kurzroman. Nach dem Abitur studierte er Medizin und wurde 1905 promoviert. Ein Jahr darauf eröffnete er eine kassenärztliche Praxis und heiratete die Medizinstudentin Erna Reiss.


Die Metropole Berlin wurde Döblins eigentliche Heimat. Er schloss sich dem Sturmkreis um Herwarth Walden an. Döblin wurde mit seinem Erzählband »Die Ermordung einer Butterblume und andere Erzählungen« sowie den Romanen »Die drei Sprünge des Wang-lun« und »Berge, Meere und Giganten« zu einem der führenden Exponenten der expressionistischen Literatur. Im Ersten Weltkrieg war er als Lazarettarzt an der Westfront stationiert. In der Weimarer Republik wurde der streitbare Döblin einer der führenden Intellektuellen des linksbürgerlichen Spektrums.

1933 musste der Jude und Sozialist Döblin aus Deutschland flüchten, kehrte nach Ende des Zweiten Weltkrieges zurück, um Deutschland 1953 erneut resigniert zu verlassen. Große Teile seines literarischen Schaffens, darunter die »Amazonas-Trilogie«, die »Novembertetralogie« und der letzte Roman »Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende« werden der Exil-Literatur zugeordnet.

Alfred Döblin ist der große „Unbekannte“ der Literaturgeschichte Deutschlands, der sich nie aus Thomas Manns Schatten befreien konnte. Er war ein Mensch, der als Arzt und Künstler, als Jude und Katholik, als Patriot und Sozialist in die Tragödien des 20. Jahrhunderts hineingezogen wurde.

Alfred Döblin wurde am 10. August 1878 in Stettin geboren.




Samstag, 25. Juni 2022

»Der Sommer« von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben


Der Sommer, der Sommer,
Das ist die schönste Zeit:
Wir ziehen in die Wälder
Und durch die Au'n und Felder
Voll Lust und Fröhlichkeit.

Der Sommer, der Sommer,
Der schenkt uns Freuden viel:
Wir jagen dann und springen
Nach bunten Schmetterlingen
Und spielen manches Spiel.

Der Sommer, der Sommer,
Der schenkt uns manchen Fund:
Erdbeeren wir uns suchen
Im Schatten hoher Buchen
Und laben Herz und Mund.

Der Sommer, der Sommer,
Der heißt uns lustig sein:
Wir winden Blumenkränze
Und halten Reigentänze
Beim Abendsonnenschein.

»Der Sommer« von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben



Der Sommer

»Die Verwandlung« von Franz Kafka



»Die Verwandlung« ist eine im Jahr 1912 entstandene Erzählung von Franz Kafka. Die Geschichte handelt von Gregor Samsa, dessen plötzliche Verwandlung in ein Ungeziefer die Kommunikation seines sozialen Umfelds mit ihm immer mehr hemmt, bis er von seiner Familie für untragbar gehalten wird und schließlich zugrunde geht. Der Roman wurde zumeist als absurde Allegorie oder als kafkaeske Parabel gelesen.

"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte,
fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt."




Kafka schildert gleich zu Beginn dieses Romans die groteske Situation, in dem ein junger morgens in seinem Bett als Käfer verwandelt aufwacht und schildert damit zugleich eine absurde Kafkaeske der Moderne.


Da erwacht also dieser Gregor, ein junger Handlungsreisender, der unter seinem Beruf und der Lieblosigkeit seiner Umwelt leidet, eines Morgens als riesiges Insekt. Zur Arbeit zu gehen, macht in seinem Zustand wenig Sinn. Schon taucht der erboste Prokurist auf und verlangt wütend eine Erklärung für Gregors Fernbleiben. Diese Szene, in der Gregor hinter verschlossener Tür sein Verhalten entschuldigt, seinen Käferkörper zur Tür quält und sich schließlich zu erkennen gibt, ist so haarsträubend kafkaesk, daß spätestens jetzt dieser Begriff jedem einleuchten dürfte. Gregors Familie ist angewidert, läßt den Sohn aber bei sich wohnen, bis schließlich -- nun, Sie werden es erfahren.

Keine Erklärung, nur dieser Hilfeschrei! Solche Radikalität war neu in der Literatur. Deutungen gab es viele. Gregor, wie Kafka, ein schwacher Mensch, der Tag für Tag mitansehen muß, wie diese Welt mit Schwachen umgeht, droht daran zugrundezugehen und vollzieht Die Verwandlung. Das ist seine "Rettung".

„Ohne jetzt mehr nachzudenken, womit man Gregor einen besonderen Gefallen machen könnte, schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens und mittags ins Geschäft lief, mit dem Fuß irgendeine beliebige Speise in Gregors Zimmer hinein, um sie am Abend, gleichgültig dagegen, ob die Speise vielleicht nur verkostet oder – der häufigste Fall – gänzlich unberührt war, mit einem Schwenken des Besens hinauszukehren.“
»Die Verwandlung« - Franz Kafka

Wie kaum ein anderes Stück Literatur hat »Die Verwandlung« die Leser zugleich begeistert und verstört und zu verschiedensten Deutungen des vielschichtigen Textes angeregt. Kafkas Erzählung unterläuft und übertrifft jedoch jegliche Interpretationsschemata und ist über alle verkürzenden Zugänge zum Text erhaben.

Die Metamorphose des Prokuristen Gregor Samsa zum Käfer iste ein Kafkeske, welche von Kafka selbst nicht als beängstigendes Geschehen entworfen wurde. In einem Gespräch mit Gustav Janouch antwortete er angeblich auf dessen Vergleich mit der Devise »Zurück zur Natur«: »Doch heute geht man weiter. Man sagt es nicht nur - man tut es. Man kehrt zum Tier zurück. Das ist viel einfacher als das menschliche Dasein.«

In der düsteren Welt Kafkas sind das Menschliche, die Bindung an den Nachbarn, das Vertrauen auf die Gesellschaft verlorengegangen. Die Welt ist rätselhaft und undurchschaubar geworden und flösst dem Menschen Angst ein. Der Mensch sieht sich einer absurden Welt gegenüber und macht die Erfahrung des Absurden.

Bei Kafka wird der Mensch der Moderne häufig durch einen Blick der Selbstentfremdung dargestellt, das Vertrauen zu Nahestehenden ist erschüttert, und auch Einsamkeit ist ein großes Thema Kafkas.


Träume, Ängste, Komplexe, Zerstörerisches und Symbolhaftes spiegeln eine Grundhaltung in seinen Werken wider, in denen der Mensch als Fremder oder Ausgeschlossener immer wieder nach Sicherheit, Halt und Geborgenheit sucht.

Die beklemmende Welt der Kafka'schen Protagonisten, die im Bannkreis unsichtbarer, bedrohlicher Mächte leben, ist durch Verstörung und vitale Erschöpfung gekennzeichnet.


»Die Verwandlung« von Franz Kafka ist Kafkas Ausdruck seines Seelenlebens und eine Parabel auf den seelenlosen Zustand der Welt. Wie so oft trifft Kafka ins Schwarze. Eine beissende Gesellschaftskritik, die mittels einer skurrilen Idee zeigt wie Menschen sich in auswegslosen Situationen verhalten. Empathie, und deren Verblassen, Trotz, Scham, Widerstand und Verzweiflung werden gelungen thematisiert. Prägnant und angenehm kurz gehalten ist dieses Werk Pflichtlektüre.

Die Geschichte um Gregor Samsa macht sehr betroffen. Wie schnell ein geliebter Mensch einfach mal so im Stich gelassen wird da dieser sich in ein Insekt verwandelt hat. - Diese Lektüre muss man gelesen haben, um die Verwandlung zu verstehen.

Literatur:

Die Verwandlung


Die Verwandlung


Die Verwandlung


Die Verwandlung


Die Verwandlung


Die Verwandlung


»Nachtasyl« von Maxim Gorki


Das im Jahr 1902 verfasste und ein Jahr später in Deutschland uraufgeführte Drama »Nachtasyl« des russischen Schriftstellers Maxim Gorki gehört zu den bedeutendsten Theaterstücken jener Zeit. Der Autor führt in das Milieu des zaristischen Prekariats, einer Gesellchaftsschicht, in der sich Gorki persönlich auskannte und dessen Sprachrohr er mit diesem und weiteren Stücken werden sollte.

Gegenstand der Handlung ist eine illustre Gruppe von gescheiterten Figuren, die alle zusammen bei der Vermieterin Wassilissa und ihrem Mann Kostylew wohnen. Beide führen ihre Wirtschaft mit harter Hand und die Mieter haben sich in diesem Zustand eingerichtet. Bis eines Tages der lebenserfahrene und -frohe Wanderer Luka auftaucht und erst beiläufig, später gezielt die Situation und ihre Umstände hinterfragt. Durch diesen externen Impuls aufgerüttelt, wandeln sich einige Bewohner von folgsamen Schafen zu mündigen Bürgern, die schließlich gegen ihre Vermieter aufbegehren. Das Stück endet tragisch und hinterlässt beim Leser den Eindruck einer gewissen Unvollkommenheit. Doch eben hier liegt Gorkis' Verdienst. Es wird kein Königsweg aufgezeigt, der die Menschen aus ihrer Unterdrückung befreit.

Vielmehr liefert »Nachtasyl« Denkanstöße zum Umgang miteinander und steht damit im Lichte eines kollektiven Humanismus. Denn nicht die Regierung ist entscheidend, oder der Staat, sondern immer nur der Mensch. Auf der Basis dieser Erkenntnis stehend ist das Stück auch mehr als hundert Jahre nach seiner Erscheinung noch aktuell und sollte daher unbedingt empfohlen und gelesen werden.

"Der Putz ist weg, nur der nackte Mensch ist geblieben."

Mit seinem grandiosen und ebenso beklemmenden wie aufrüttelnden Drama »Nachtasyl« schuf der russische Dichter Maxim Gorki ein zeitloses Werk von weltliterarischem Rang und einen Klassiker der russischen (sowjetischen) Literatur. Nach seiner Uraufführung 1902 entfaltete es eine ungeheure Wirkung: Denn hier gehört die Bühne nicht mehr den Begüterten, Privilegierten, sondern den Gedemütigten, den am Leben Gescheiterten. Ihr Platz ist das Nachtasyl, ein Elendsquartier, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Und doch führt ihr Ringen um Selbstwert und Würde, ihr Träumen und Hoffen, die Macht des menschlichen Überlebenswillens auf ergreifende Weise vor Augen.

In Russland wurde der umstrittene Nationaldichter nach dem Zusammenbruch des Kommunismus für viele von der vergötterten Leitfigur der Sowjetzeit zur Unperson. In Maxim Gorkis widersprüchlichem Leben ist jedoch bis heute vieles ungeklärt.

Literatur:


Nachtasyl
von Maxim Gorki


Weblink:

Von der Leitfigur zur Unperson - 75. Todestag des Dramatikers und Erzählers Maxim Gorki - dradio.de

Besondere Ästhetik in Kafkas Romanen


Kafkas Romane sind vordergründig nicht politisch, aber durch die Atmosphäre, die Ästhetik und die Darstellung des Absurden ist die Literatur Kafkas im literarischen Sinn politisch. Auch durch die Darstellung der Anonymität, der Entfremdung ist die Literatur Kafkas im literarischen Sinn politisch.



Aber wie kein Zweiter ist ein Schriftsteller durch seinen Beruf als Versicherungsangestellter in so direkter Weise mit dem Grundwiderspruch der modernen Gesellschaft, mit sozialer Not und Ausbeutung, mit den Arbeitern wie mit den Unternehmern, konfrontiert worden wie Kafka. Auf seinen zahlreichen Inspektionsreisen lernte er die Welt, die Lebensverhältnisse und die soziale Not der Menschen kennen.

Karlsbrücke in Prag


In der düsteren Welt Kafkas sind das Menschliche, die Bindung an den Nachbarn, das Vertrauen auf die Gesellschaft verlorengegangen. Die Welt ist rätselhaft und undurchschaubar geworden und flösst dem Menschen Angst ein. Der Mensch sieht sich einer absurden Welt gegenüber und macht die Erfahrung des Absurden.

Bei Kafka wird der Mensch der Moderne häufig durch einen Blick der Selbstentfremdung dargestellt, das Vertrauen zu Nahestehenden ist erschüttert, und auch Einsamkeit ist ein großes Thema Kafkas.



Kafka schildert gleich zu Beginn dieses Romans die groteske Situation, in dem ein junger morgens in seinem Bett als Käfer verwandelt aufwacht und schildert damit zugleich eine absurde Kafkaeske der Moderne.


Träume, Ängste, Komplexe, Zerstörerisches und Symbolhaftes spiegeln eine Grundhaltung in seinen Werken wider, in denen der Mensch als Fremder oder Ausgeschlossener immer wieder nach Sicherheit, Halt und Geborgenheit sucht.

Die beklemmende Welt der Kafka'schen Protagonisten, die im Bannkreis unsichtbarer, bedrohlicher Mächte leben, ist durch Verstörung und vitale Erschöpfung gekennzeichnet.