Dienstag, 7. Dezember 2021

»Kassandra« von Christa Wolf


In dem Roman Kassandra greift Christa Wolf auf einen Mythos des abendländischen Patriarchats zurück, den Trojanischen Krieg. Während Kassandra, die Seherin, auf dem Beutewagen des Agamemnon sitzt, überdenkt sie noch einmal ihr Leben. Mit ihrem Ringen um Autonomie legt sie Zeugnis ab von weiblicher Erfahrung in der Geschichte.

Die trojanische Königstochter Kassandra ist eine Außenseiterin in einem Staat, der sich zu Beginn des Trojanischen Krieges in ein Patriarchat verwandelt, in dem die Frauen nichts mehr zu sagen haben, sondern von den Männern wie Objekte behandelt werden. Unmittelbar vor ihrem Tod erinnert Kassandra sich an die Geschehnisse, schildert sie aus ihrer Perspektive und denkt über ihre Entscheidungen nach.


Kassandra
Kassandra


Der Roman „Kassandra“ von Christa Wolf besteht aus nichts anderem als dem gewaltigen Inneren Monolog einer Intellektuellen, die in einer Männergesellschaft für ihre Eigenständigkeit kämpft und lieber stirbt, als sich fremden Regeln zu unterwerfen. Kassandra weiß aber auch – nicht zuletzt aufgrund des Scheiterns der Amazonenkönigin Penthesilea – dass es falsch wäre, ins andere Extrem zu verfallen und eine Gesellschaft ohne Männer anzustreben. Aus diesem Grund geht Kassandra nicht in der Solidargemeinschaft der Frauen auf, die sich in die Höhlen am Ufer des Skamandros in den Ida-Bergen zurückgezogen haben.


Diese Frauengestalt der Zeitwende vom Matriarchat zum Patriarchat […] zeichnet sich durch die Modernität ihres Bewusstseins aus, die immer wieder Parallelen zur heutigen Frauen- und Friedensbewegung ermöglicht. Seherin zu werden heißt für Kassandra nicht nur, den einzigen für Frauen damals denkbaren Beruf zu ergreifen, sondern stellt auch den Versuch dar, sich dem Zwang, von Männern zum Objekt gemacht zu werden, zu entziehen. Ihr „Ringen um Autonomie“ lässt sie mit der mörderischen Logik von Töten und Sterben in der Vatergesellschaft brechen […] Die Einsicht in die Notwendigkeit einer Überwindung des „hierarchisch-männlichen Realitätsprinzips“ ist Kassandras utopisches Vermächtnis […](Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Dortmund 1989, Band 3, Seite


Als »Kassandra« 1983 erschien, traf Christa Wolf den Nerv der Zeit in der damals heftig frauen- und friedensbewegten Gesellschaft der Bundesrepublik. Angesichts der atomaren Bedrohung und des Wettrüstens zwischen den Großmächten machte sich in Deutschland eine geradezu apokalyptische Stimmung breit.

Literatur:

Kassandra
Kassandra
von Christa Wolf

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen