Mittwoch, 29. Juni 2022

»Der Sandmann« E.T.A. Hoffmann


»Der Sandmann« ist eine Erzählung in der Tradition des Kunstmärchens der Schwarzen Romantik von E.T.A. Hoffmann, die ursprünglich in der Sammlung »Nachtstücke« erschienen ist und erstmals 1816 veröffentlicht wurde. Sie erschien ohne bestimmte Autorenangabe in Berlin. »Der Sandmann« von E.T.A. Hoffmann gehört zu den bedeutendsten Werken der Romantik, ist ein Paradebeispiel für das spätromantische Kunstmärchen und für den Gruselroman.

Als Hoffmann in den Jahren 1816 / 17 den zweibändigen Zyklus »Nachtstücke« publizierte, in dem unter anderem auch sein heute wohl berühmtestes Werk »Der Sandmann« enthalten ist, hatte er seinen Ruf als besonderer spätromantischer Dichter bereits inne.

Im Zentrum der psychologisch ausgefeilten Erzählung von E.T.A. Hoffmann steht der Physikstudent Nathanael. Besonders interessant an diesem Werk ist der mehrteilige Aufbau des Werkes. Hoffmann beginnt die Erzählung mit einem Briefwechsel. Nathanael schreibt an den Bruder seiner Verlobten Clara, ein Mann namens Lothar. Wie später deutlich wird sind die Eltern von Clara und Lothar früh gestorben, sie kamen zu Nathanael und seiner Schwester, als deren Vater wiederum ebenfalls bereits gestorben war. Clara und Nathanael sind zwar über mehrere Ecken miteinander verwandt, doch – wie das Leben es damals vorgesehen hatte – steht einer Liebe nichts im Wege. Die beiden nähern sich an und blieben sich treu. Während Nathanael im anonym bleibenden Ort G. studiert, reist er nach Absenden seines zweiten Briefes an Lothar nach S., wo die Geschwister nach wie vor in dem Haus wohnen, in dem sei gemeinsam aufgewachsen sind.

Hier ist allerdings der Inhalt der Briefe von Relevanz. Nathanael meldet sich nach einer etwas längeren Schreibpause wieder in seiner Heimat, schreibt den Brief, der zentral für das Handlungsgeschehen werden soll allerdings nicht an Clara sondern an deren Bruder Lothar. Darin berichtet er von einer Begegnung, die er unlängst mit einem sogenannten Wetterglashändler hatte, der ihn an einen Mann erinnerte, der zu früheren Zeiten oft bei seinen Eltern zu Gast war. Die Rede ist vom Advokaten Coppelius, den er eng mit seinem Kindheitstrauma vom Sandmann verbindet, das ihm die Mutter einst erzählte, wenn er abends immer zu einer genauen Uhrzeit ins Bett gemusst hatte. Während ihm die Mutter die Geschichte vom Sandmann richtig und kindgerecht erzählt, bekommt er sie von der Amme der damals noch viel jüngeren Schwester deutlich grausamer vermittelt: Der Sandmann ist nicht etwa eine Gestalt, die den Kindern die Augen mit Sand zustreut bis sie zusammenkleben, sondern eine Gestalt, die den Kindern die Augen ausreißt. Geplagt von diesem Trauma denkt Nathanael stets an den Sandmann, wenn er Schritte auf dem Flur hört, wo er im Bett liegen muss. Eines Tages versucht er herauszubekommen, wie diese Gestalt ist, die er unumgänglich für den Sandmann hält, die immer abends ins Haus kommt und zum Zimmer des Vaters Eintritt verlangt. Er stielt sich eines Nachts in das Büro und wartet, bis der Sandmann in das Zimmer kommt. Als er dann aber den Advokaten Coppelius sieht, der mit dem Vater chemische Experimente durchführt, lockert sich seine Angst nicht etwa sondern projiziert sich auf den Advokaten selbst. Der Vater kommt schließlich bei den Experimenten auf recht grausame Weise zu Tode, und Nathanael sieht nach wie vor die Schuld bei Coppelius.

Als er also von dem Krämer vor seiner Tür, der später den Namen Coppola erhält, an dieses Kindheitstrauma erinnert wird, schreibt er seine Sorgen an Lothar und adressiert den Brief in seiner Rage allerdings an Clara. So kommt es, dass diese ihm antwortet und sich einerseits besorgt über die Lage ihres Verlobten äußert, ihm andererseits sein Trauma und seine Fantasie auch auszureden versucht. Nathanael reist nach S., wo er in der Anwesenheit Claras immer mehr in Düsternis versinkt, anfängt über ihre Augen zu philosophieren und dann schließlich immer weiter abdriftet in seinen Gedanken, was dazu führt, dass ihn Clara mehr und mehr nicht versteht und abweist, was er ihr wiederum zum Vorwurf macht. Als er sie als ein lebloses Automat bezeichnet, bricht diese zusammen und Lothar, der von der seelischen Verfassung seiner Schwester in Kenntnis gesetzt wird, fordert Nathanael zum Duell heraus. Dies kann verhindert werden und Nathanael schwört Clara ewige Liebe – dennoch ist zu erkennen, dass dies nicht lange währt. Als er nach G. zurückkehrt, wird er von seinem Physikprofessor Spalanzani zu einem Fest in dessen Haus eingeladen, in dem er zum ersten Mal nach Jahren seine schweigsame, schwierige Tochter Olimpia vorstellen möchte. Anfangs erscheint diese Nathanael bei der ersten Begegnung noch leblos, später dann aber ist er gefesselt von ihrer Aura und scheint trotz ihrer wenig kommunikativen, steifen Art dennoch eine rege Konversation mit ihr zu führen: bedingt durch die Ausstrahlung ihrer Augen.

Durch einen Zufall fällt auf, dass Olimpia kein wirklicher Mensch, sondern eben ein Automat - also eine Art Roboter ist -, die der Professor selbst gebaut hat und als lebenden Menschen verkaufen wollte. Spalanzani verliert seine Stelle und Nathanael wird in die Psychiatrie eingeliefert, weil er im Anblick der herausspringenden Augen Olimpias wahnsinnig geworden ist. Als er aus dieser entlassen wird, möchte er Clara heiraten und mit ihr aufs Land ziehen. Bei einem letzten Besuch auf dem Turm, von dem aus sie über die Stadt blicken wollen, gerät Nathanael erneut in Rage, als er Coppelius am Fuße des Turmes erblickt und stürzt sich hinunter.

Diese durchaus tragische und komplexe Geschichte wird auf etwa 40 Seiten erzählt. Hoffmann wählt, nachdem er die drei Briefe an den Anfang seiner Erzählung gesetzt hat, den auktorialen Erzählstil, mit dem er auf die Handlung blickt und den Leser direkt ansprechend das Geschehen vermittelt, vor- oder zurückgreift und die entsprechenden Verhaltensauffälligkeiten teils auch beurteilt. Hoffmann scheint dieser Erzählstil zu liegen, er verwendete ihn auch in anderen Werken, besonders sei der Goldne Topf genannt, der hier in dieser Rezension noch einige Male auftauchen wird. Zentraler Anlass für diese Erzählung soll die Auseinandersetzung mit psychisch Kranken gewesen sein, die im 19. Jahrhundert, in der die Erzählung in nur etwa vier Tagen entstanden sein soll, eine grundlegende Änderung erfuhr. Sogenannte „Irre“ galten nicht mehr als unheilbar, ihre Lage war zudem nicht vollkommen grundlos.

Hoffmann scheint mit seinem Sandmann hier eine Art psychologische Studie vollzogen zu haben, in der er sowohl den Krankheitsverlauf, den falschen Umgang der Mitmenschen aber auch die Ursachen einer solchen Krankheit und eines solchen Wahnsinns zu benennen versucht. Der frühe Tod des Vaters, die Gruselgeschichten, die man kleinen Kindern erzählt hat, um sie zu manipulieren. Die Erzählung ist an einigen Stellen wirklich spannend und wirklich gruselig, und nein, ich denke nicht, dass dies etwas ist, was dem Niveau einer Erzählung Abbruch tut, auch wenn man diese Aspekte der Erzählung heute wie damals eher belächelt hat.

Wider Erwarten war die Erzählung am Anfang auch sehr schlüssig und greifbar, verliert sich dann aber als sie das zweite, meines Erachtens überflüssige Standbein mit Olimpia aufmacht. Natürlich ziert diese zweite Handlungsebene die ansonsten etwas knapp geratene Erzählung enorm, doch verwirrt sie auch an einigen Stellen, weil die ganze Existenz eines solchen „Automaten“ für den heutigen Leser vielleicht einfach zu fantastisch sein mag. Hier wird man, während man den ersten Teil in seinen Wirren gut mit der Erkrankung Nathanaels begründen kann, dazu gezwungen, die reale Ebene zu verlassen und sich auf die Fantasie und Fiktion Hoffmanns einzulassen.

Es mag also nicht verwundern, dass man in der Literaturkritik den Werken Hoffmanns nach zwei eher verrissenen Werken nicht mehr sehr offen gegenüberstand. Deswegen sind die Zeitzeugnisse, die es zum Ersterscheinen des Sandmanns gibt, vergleichsweise dürftig.

Seine vorhergegangenen Werke, einmal einen weiteren Sammelband unter dem Titel »Fantasiestücke in Callots Manier«, aber auch »Der goldene Topf« wurden von der Literaturkritik viel beachtet aber zeitgenössisch meist nicht gelobt. Heute gehört es zu den bedeutendsten Werken der Romantik, ist ein Paradebeispiel für das spätromantische Kunstmärchen und für den Gruselroman.

Dass der Autor natürlich nicht nur auf diese ästhetischen Komponenten anspielte, sondern in seinen Werken auch noch stets ein tieferer Sinn zu finden ist, wenn man nach ihm sucht, ergibt sich aus der intensiven Auseinandersetzung der Literaturwissenschaft mit diesem Werk.

»Der goldene Topf« erschien erstmals 1814, wurde dann fünf Jahre später noch einmal überarbeitet, doch sind die Grundelemente, die sich in dieser späteren Erzählung Hoffmanns spiegeln mit Sicherheit auch in der Urfassung zu erkennen. Der Student Anselmus und der Archivarius Lindhorst funktionieren in ihrer Paraderolle mit denselben Faktoren. Auch Anselmus steht verwirrt und verlassen im Leben, auch er wird für „toll“ oder dumm erklärt, weil er an die magische Parallelwelt glaubt. Wenn sich sein Schicksal auch anders entwickelt, scheinen mir die beiden Figuren letzten Endes doch auch recht ähnlich.

Auch der Konflikt, zwischen zwei Frauen zu stehen (Nathanael zwischen Clara und Olimpia, Anselmus wischen Veronika und Serpentina) wird nicht nur ähnlich erzählt sondern letzten Endes auch ähnlich aufgelöst. Diese und viele weitere Parallelen lassen mir das Frühwerk E.T.A. Hoffmanns nicht etwa einfallslos aber doch vergleichsweise durchschaubar erscheinen. Wenn er auch erzählerisch einige Kniffe verwendete, sind die Werke als solche nicht so wirklich voneinander zu trennen und entwickeln sich nur in wirklich eigenartigen Texten wie den »Lebensansichten des Katers Murr« oder dem »Fräulein von Scuderi« inhaltlich in eine andere Richtung.

E.T.A. Hoffmann schreibt, und das steht außer Frage, romantik-kritische Texte – vielleicht ist auch das der zentrale Aspekt, warum uns seine Bücher heute so gefallen und warum sie so wenig kitschig und aus der Zeit gefallen scheinen. Die Lektüre des Sandmanns lohnt sich auf jeden Fall, ganz abgesehen davon, dass er mittlerweile hoch oben auf den Listen der Bücher steht, die man im Laufe seines Lebens gelesen haben sollte. Er ist an manchen Stellen besser zu verstehen als andere, ausgefallenere Werke Hoffmanns, ist aber meines Erachtens auch nicht fehlerfrei. Vielleicht ist er aber gerade deshalb für die Literaturwissenschaft so unheimlich reizvoll.

Literatur:

Der Sandmann
Der Sandmann
von E.T.A. Hoffmann

Sonntag, 26. Juni 2022

Alfred Döblin 65. Todestag

Alfred Döblin

Alfred Döblin starb vor 65 Jahren am 26. Juni 1957 in Emmendingen. Alfred Döblin war ein deutscher Arzt, Psychiater und Schriftsteller. 1938 emigrierte er als einer der Letzten aus Deutschland.

Sein episches Werk umfasst mehrere Romane, Novellen und Erzählungen, daneben verfasste er unter dem Pseudonym »Linke Poot« satirische Essays und Polemiken. Als führender Expressionist und Wegbereiter der literarischen Moderne in Deutschland integrierte Döblin früh das Hörspiel und Drehbuch in seinem Werk.

Er schrieb Erzählungen und Aufsätze, fand aber keinen Verleger. Im Ersten Weltkrieg war er Kasernenarzt. Der S. Fischer Verlag brachte seine ersten Romane heraus, nicht gerade Bestseller, aber langsam begann Döblin, in der Welt der Literatur ein Begriff zu werden.
Da war er Anfang 40 und Berlin, das Berlin der 20er Jahre, die Großstadt, das war, so sagte er, "das Benzin, mit dem sein Motor läuft".


Er war Mitbegründer der expressionistischen Zeitschrift "Der Sturm" (1910) und legte mit seinem 1913 erschienenen Erzählband "Die Ermordung der Butterblume" erste eigene expressionistische Texte vor.

1920 veröffentlichte er den historischen Roman »Wallenstein«. Weiterhin setzte Döblin als avantgardistischer Romantheoretiker mit den Schriften »An Romanautoren und ihre Kritiker. Berliner Programm, Bemerkungen zum Roman« und »Der Bau des epischen Werks« zahlreiche Impulse in der erzählenden Prosa frei.

1929 erschien sein bekanntestes Werk »Berlin Alexanderplatz«. Seine Erzähltechnik, die zwischen registrierender, neuer Sachlichkeit und Eindrücken der modernen Großstadt schwankt, brachte Döblin Vergleiche mit James Joyce ein.

„Wenn ein Roman nicht wie ein Regenwurm in zehn Stücke geschnitten werden kann und jeder Teil bewegt sich selbst, dann taugt er nicht.“

Sein weitaus am stärksten rezipierter Roman ist »Berlin Alexanderplatz«. Die Geschichte des Transportarbeiters Franz Biberkopf, der, aus der Strafanstalt Berlin-Tegel entlassen, als ehrlicher Mann ins Leben zurückfinden möchte, ist der erste deutsche Großstadtroman von literarischem Rang.


Alfred Döblin stammte aus einer Familie assimilierter Juden. In seinem zehnten Lebensjahr trennte sich der Vater von seiner Frau und ließ die Familie mittellos zurück. Das plötzliche Verschwinden des Vaters traumatisierte den Jungen nachhaltig. Bereits in seinem letzten Schuljahr verfasste Döblin mehrere Erzählungen und einen Kurzroman. Nach dem Abitur studierte er Medizin und wurde 1905 promoviert. Ein Jahr darauf eröffnete er eine kassenärztliche Praxis und heiratete die Medizinstudentin Erna Reiss.


Die Metropole Berlin wurde Döblins eigentliche Heimat. Er schloss sich dem Sturmkreis um Herwarth Walden an. Döblin wurde mit seinem Erzählband »Die Ermordung einer Butterblume und andere Erzählungen« sowie den Romanen »Die drei Sprünge des Wang-lun« und »Berge, Meere und Giganten« zu einem der führenden Exponenten der expressionistischen Literatur. Im Ersten Weltkrieg war er als Lazarettarzt an der Westfront stationiert. In der Weimarer Republik wurde der streitbare Döblin einer der führenden Intellektuellen des linksbürgerlichen Spektrums.

1933 musste der Jude und Sozialist Döblin aus Deutschland flüchten, kehrte nach Ende des Zweiten Weltkrieges zurück, um Deutschland 1953 erneut resigniert zu verlassen. Große Teile seines literarischen Schaffens, darunter die »Amazonas-Trilogie«, die »Novembertetralogie« und der letzte Roman »Hamlet oder Die lange Nacht nimmt ein Ende« werden der Exil-Literatur zugeordnet.

Alfred Döblin ist der große „Unbekannte“ der Literaturgeschichte Deutschlands, der sich nie aus Thomas Manns Schatten befreien konnte. Er war ein Mensch, der als Arzt und Künstler, als Jude und Katholik, als Patriot und Sozialist in die Tragödien des 20. Jahrhunderts hineingezogen wurde.

Alfred Döblin wurde am 10. August 1878 in Stettin geboren.




Samstag, 25. Juni 2022

»Der Sommer« von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben


Der Sommer, der Sommer,
Das ist die schönste Zeit:
Wir ziehen in die Wälder
Und durch die Au'n und Felder
Voll Lust und Fröhlichkeit.

Der Sommer, der Sommer,
Der schenkt uns Freuden viel:
Wir jagen dann und springen
Nach bunten Schmetterlingen
Und spielen manches Spiel.

Der Sommer, der Sommer,
Der schenkt uns manchen Fund:
Erdbeeren wir uns suchen
Im Schatten hoher Buchen
Und laben Herz und Mund.

Der Sommer, der Sommer,
Der heißt uns lustig sein:
Wir winden Blumenkränze
Und halten Reigentänze
Beim Abendsonnenschein.

»Der Sommer« von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben



Der Sommer

»Die Verwandlung« von Franz Kafka



»Die Verwandlung« ist eine im Jahr 1912 entstandene Erzählung von Franz Kafka. Die Geschichte handelt von Gregor Samsa, dessen plötzliche Verwandlung in ein Ungeziefer die Kommunikation seines sozialen Umfelds mit ihm immer mehr hemmt, bis er von seiner Familie für untragbar gehalten wird und schließlich zugrunde geht. Der Roman wurde zumeist als absurde Allegorie oder als kafkaeske Parabel gelesen.

"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte,
fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt."




Kafka schildert gleich zu Beginn dieses Romans die groteske Situation, in dem ein junger morgens in seinem Bett als Käfer verwandelt aufwacht und schildert damit zugleich eine absurde Kafkaeske der Moderne.


Da erwacht also dieser Gregor, ein junger Handlungsreisender, der unter seinem Beruf und der Lieblosigkeit seiner Umwelt leidet, eines Morgens als riesiges Insekt. Zur Arbeit zu gehen, macht in seinem Zustand wenig Sinn. Schon taucht der erboste Prokurist auf und verlangt wütend eine Erklärung für Gregors Fernbleiben. Diese Szene, in der Gregor hinter verschlossener Tür sein Verhalten entschuldigt, seinen Käferkörper zur Tür quält und sich schließlich zu erkennen gibt, ist so haarsträubend kafkaesk, daß spätestens jetzt dieser Begriff jedem einleuchten dürfte. Gregors Familie ist angewidert, läßt den Sohn aber bei sich wohnen, bis schließlich -- nun, Sie werden es erfahren.

Keine Erklärung, nur dieser Hilfeschrei! Solche Radikalität war neu in der Literatur. Deutungen gab es viele. Gregor, wie Kafka, ein schwacher Mensch, der Tag für Tag mitansehen muß, wie diese Welt mit Schwachen umgeht, droht daran zugrundezugehen und vollzieht Die Verwandlung. Das ist seine "Rettung".

„Ohne jetzt mehr nachzudenken, womit man Gregor einen besonderen Gefallen machen könnte, schob die Schwester eiligst, ehe sie morgens und mittags ins Geschäft lief, mit dem Fuß irgendeine beliebige Speise in Gregors Zimmer hinein, um sie am Abend, gleichgültig dagegen, ob die Speise vielleicht nur verkostet oder – der häufigste Fall – gänzlich unberührt war, mit einem Schwenken des Besens hinauszukehren.“
»Die Verwandlung« - Franz Kafka

Wie kaum ein anderes Stück Literatur hat »Die Verwandlung« die Leser zugleich begeistert und verstört und zu verschiedensten Deutungen des vielschichtigen Textes angeregt. Kafkas Erzählung unterläuft und übertrifft jedoch jegliche Interpretationsschemata und ist über alle verkürzenden Zugänge zum Text erhaben.

Die Metamorphose des Prokuristen Gregor Samsa zum Käfer iste ein Kafkeske, welche von Kafka selbst nicht als beängstigendes Geschehen entworfen wurde. In einem Gespräch mit Gustav Janouch antwortete er angeblich auf dessen Vergleich mit der Devise »Zurück zur Natur«: »Doch heute geht man weiter. Man sagt es nicht nur - man tut es. Man kehrt zum Tier zurück. Das ist viel einfacher als das menschliche Dasein.«

In der düsteren Welt Kafkas sind das Menschliche, die Bindung an den Nachbarn, das Vertrauen auf die Gesellschaft verlorengegangen. Die Welt ist rätselhaft und undurchschaubar geworden und flösst dem Menschen Angst ein. Der Mensch sieht sich einer absurden Welt gegenüber und macht die Erfahrung des Absurden.

Bei Kafka wird der Mensch der Moderne häufig durch einen Blick der Selbstentfremdung dargestellt, das Vertrauen zu Nahestehenden ist erschüttert, und auch Einsamkeit ist ein großes Thema Kafkas.


Träume, Ängste, Komplexe, Zerstörerisches und Symbolhaftes spiegeln eine Grundhaltung in seinen Werken wider, in denen der Mensch als Fremder oder Ausgeschlossener immer wieder nach Sicherheit, Halt und Geborgenheit sucht.

Die beklemmende Welt der Kafka'schen Protagonisten, die im Bannkreis unsichtbarer, bedrohlicher Mächte leben, ist durch Verstörung und vitale Erschöpfung gekennzeichnet.


»Die Verwandlung« von Franz Kafka ist Kafkas Ausdruck seines Seelenlebens und eine Parabel auf den seelenlosen Zustand der Welt. Wie so oft trifft Kafka ins Schwarze. Eine beissende Gesellschaftskritik, die mittels einer skurrilen Idee zeigt wie Menschen sich in auswegslosen Situationen verhalten. Empathie, und deren Verblassen, Trotz, Scham, Widerstand und Verzweiflung werden gelungen thematisiert. Prägnant und angenehm kurz gehalten ist dieses Werk Pflichtlektüre.

Die Geschichte um Gregor Samsa macht sehr betroffen. Wie schnell ein geliebter Mensch einfach mal so im Stich gelassen wird da dieser sich in ein Insekt verwandelt hat. - Diese Lektüre muss man gelesen haben, um die Verwandlung zu verstehen.

Literatur:

Die Verwandlung


Die Verwandlung


Die Verwandlung


Die Verwandlung


Die Verwandlung


Die Verwandlung


»Nachtasyl« von Maxim Gorki


Das im Jahr 1902 verfasste und ein Jahr später in Deutschland uraufgeführte Drama »Nachtasyl« des russischen Schriftstellers Maxim Gorki gehört zu den bedeutendsten Theaterstücken jener Zeit. Der Autor führt in das Milieu des zaristischen Prekariats, einer Gesellchaftsschicht, in der sich Gorki persönlich auskannte und dessen Sprachrohr er mit diesem und weiteren Stücken werden sollte.

Gegenstand der Handlung ist eine illustre Gruppe von gescheiterten Figuren, die alle zusammen bei der Vermieterin Wassilissa und ihrem Mann Kostylew wohnen. Beide führen ihre Wirtschaft mit harter Hand und die Mieter haben sich in diesem Zustand eingerichtet. Bis eines Tages der lebenserfahrene und -frohe Wanderer Luka auftaucht und erst beiläufig, später gezielt die Situation und ihre Umstände hinterfragt. Durch diesen externen Impuls aufgerüttelt, wandeln sich einige Bewohner von folgsamen Schafen zu mündigen Bürgern, die schließlich gegen ihre Vermieter aufbegehren. Das Stück endet tragisch und hinterlässt beim Leser den Eindruck einer gewissen Unvollkommenheit. Doch eben hier liegt Gorkis' Verdienst. Es wird kein Königsweg aufgezeigt, der die Menschen aus ihrer Unterdrückung befreit.

Vielmehr liefert »Nachtasyl« Denkanstöße zum Umgang miteinander und steht damit im Lichte eines kollektiven Humanismus. Denn nicht die Regierung ist entscheidend, oder der Staat, sondern immer nur der Mensch. Auf der Basis dieser Erkenntnis stehend ist das Stück auch mehr als hundert Jahre nach seiner Erscheinung noch aktuell und sollte daher unbedingt empfohlen und gelesen werden.

"Der Putz ist weg, nur der nackte Mensch ist geblieben."

Mit seinem grandiosen und ebenso beklemmenden wie aufrüttelnden Drama »Nachtasyl« schuf der russische Dichter Maxim Gorki ein zeitloses Werk von weltliterarischem Rang und einen Klassiker der russischen (sowjetischen) Literatur. Nach seiner Uraufführung 1902 entfaltete es eine ungeheure Wirkung: Denn hier gehört die Bühne nicht mehr den Begüterten, Privilegierten, sondern den Gedemütigten, den am Leben Gescheiterten. Ihr Platz ist das Nachtasyl, ein Elendsquartier, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Und doch führt ihr Ringen um Selbstwert und Würde, ihr Träumen und Hoffen, die Macht des menschlichen Überlebenswillens auf ergreifende Weise vor Augen.

In Russland wurde der umstrittene Nationaldichter nach dem Zusammenbruch des Kommunismus für viele von der vergötterten Leitfigur der Sowjetzeit zur Unperson. In Maxim Gorkis widersprüchlichem Leben ist jedoch bis heute vieles ungeklärt.

Literatur:


Nachtasyl
von Maxim Gorki


Weblink:

Von der Leitfigur zur Unperson - 75. Todestag des Dramatikers und Erzählers Maxim Gorki - dradio.de

Besondere Ästhetik in Kafkas Romanen


Kafkas Romane sind vordergründig nicht politisch, aber durch die Atmosphäre, die Ästhetik und die Darstellung des Absurden ist die Literatur Kafkas im literarischen Sinn politisch. Auch durch die Darstellung der Anonymität, der Entfremdung ist die Literatur Kafkas im literarischen Sinn politisch.



Aber wie kein Zweiter ist ein Schriftsteller durch seinen Beruf als Versicherungsangestellter in so direkter Weise mit dem Grundwiderspruch der modernen Gesellschaft, mit sozialer Not und Ausbeutung, mit den Arbeitern wie mit den Unternehmern, konfrontiert worden wie Kafka. Auf seinen zahlreichen Inspektionsreisen lernte er die Welt, die Lebensverhältnisse und die soziale Not der Menschen kennen.

Karlsbrücke in Prag


In der düsteren Welt Kafkas sind das Menschliche, die Bindung an den Nachbarn, das Vertrauen auf die Gesellschaft verlorengegangen. Die Welt ist rätselhaft und undurchschaubar geworden und flösst dem Menschen Angst ein. Der Mensch sieht sich einer absurden Welt gegenüber und macht die Erfahrung des Absurden.

Bei Kafka wird der Mensch der Moderne häufig durch einen Blick der Selbstentfremdung dargestellt, das Vertrauen zu Nahestehenden ist erschüttert, und auch Einsamkeit ist ein großes Thema Kafkas.



Kafka schildert gleich zu Beginn dieses Romans die groteske Situation, in dem ein junger morgens in seinem Bett als Käfer verwandelt aufwacht und schildert damit zugleich eine absurde Kafkaeske der Moderne.


Träume, Ängste, Komplexe, Zerstörerisches und Symbolhaftes spiegeln eine Grundhaltung in seinen Werken wider, in denen der Mensch als Fremder oder Ausgeschlossener immer wieder nach Sicherheit, Halt und Geborgenheit sucht.

Die beklemmende Welt der Kafka'schen Protagonisten, die im Bannkreis unsichtbarer, bedrohlicher Mächte leben, ist durch Verstörung und vitale Erschöpfung gekennzeichnet.

Georg Christoph Lichtenberg, der Bücherfreund

Georg Christoph Lichtenberg war bekanntlich ein grosser Bücherfreund.

"Es gibt eine gewisse Art von Büchern, und wir haben in Deutschland eine große Menge, die nicht vom Lesen abschrecken, nicht plötzlich einschläfern, oder mürrisch machen, aber in Zeit von einer Stunde den Geist in eine gewisse Mattigkeit versetzen, die zu allen Zeiten einige Ähnlichkeit mit derjenigen hat, die man einige Stunden vor einem Gewitter verspürt. Legt man das Buch weg, so fühlt man sich zu nichts aufgelegt, fängt man an zu schreiben, so schreibt man eben so, selbst gute Schriften scheinen diese laue Geschmacklosigkeit anzunehmen, wenn man sie zu lesen anfängt. Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß gegen diesen traurigen Zustand nichts geschwinder hilft als eine Tasse Kaffee mit einer Pfeife Varinas."

Georg Christoph Lichtenberg

Freitag, 24. Juni 2022

E.T.A. Hoffmann 200. Todestag

E.T.A. Hoffmann

E.T.A. Hoffmann starb vor 200 Jahren am 24. Juni 1822 in Berlin. E.T.A. Hoffmann ist einer der großen deutschen Dichter der Romantik und gilt er als Meister des Unheimlichen in der Literatur. Mit seinen bizarr-phantstischen Erzählungen schuf er eine neue Erzählform, deren übersinnliche Motive und groteske Züge auf die ganze Weltliteratur wirkten - von von Edgar Allen Poe bis zu Oscar Wilde.

Nach dem Gymnasium in Königsberg studierte er von 1792 bis 1795 Jura. Als Referendar arbeitete er 1796 in Glogau und 1798 in Berlin. Ab 1800 arbeitete er als Assessor in Posen, wurde strafversetzt nach Plozk in Polen.

1807 ging er nach Berlin zurück und verdiente seinen Lebensunterhalt von nun an als Musiker, Zeichner und Literat. Von 1808 bis 1813 war er Kapellmeister, Komponist und Musikkritiker in Bamberg und erlebte mit den ersten phantastischen Erzählungen seinen Durchbruch als Schriftsteller. Ab 1814 lebte er wieder in Berlin und war führendes Mitglied der "Serapionsbrüder", eines literarischen Zirkels, dem u.a. auch Clemens Brentano, Adelbert von Chamisso und Friedrich de la Motte Fouqué angehörten.

Er wollte eigentlich Komponist werden und galt als musikalisches Wunderkind. Zur Literatur kam er eher auf Umwegen. und Der junge Hoffmann hatte mit einundzwanzig Jahren bereits zwei umfangreiche Romane in der Schublade liegen.

Etwa 1805 zog er nach Berlin, wo sich seine Begabung als Musiker, Zeichner und Schriftsteller vollends entwickeln konnte. Ab 1814 war er wieder am Kammergericht in Berlin angestellt.

E.T.A. Hoffmann

E.T.A. Hoffmann gilt als "Dichter der entwurzelten Geistigkeit" und ein außergewöhnlichen Autor an der Schwelle zur Moderne. E.T.A. Hoffmann war auch Theaterkomponist. Musiklehrer. Zeichner. Kammergerichtsrat. Sein wahres Talent zeigt sich aber in der Dichtung. Er wuchs auf in der Blüte der Romantik: "Wir konstruieren die Welt aus den Formen unseres Geistes".

E.T.A. Hoffmann: Das Leben eines skeptischen Phantasten


E.T.A. Hoffmann: Das Leben eines skeptischen Phantasten


»Die Wochentage bin ich Jurist und höchstens etwas Musiker. Sonntags am Tage wird gezeichnet und abends bin ich ein sehr witziger Autor bis spät in die Nacht.« Diese Sätze soll E.T.A. Hoffmann einmal selbst über sein bewegtes, facettenreiches Leben das von 1776 bis 1822 andauerte, gesagt haben.



Auch Hoffmann wendete sich ab vom Rationalismus, dem bürgerlichen Alltag, fand Zuflucht in Phantasie und Wunder, irgendwo zwischen märchenhafter Gothic Novel "Der goldene Topf" (1814) und bizarren Phantasmata wie "Die Elixiere des Teufels" (1815). Es ist das Unheimliche, mit der seine phantastische Literatur einen Nerv der Zeit getroffen hat.

Sie prägen seine Erzählungen, machen ihn zum bis heute bekanntesten und einflussreichsten deutschsprachigen Erzähler des Phantastischen. "Grusel-Romancier" nennen ihn die Kritiker, "Klassiker der Schauerliteratur" die Fans.

Bekannt wurde E.T.A. Hoffmann durch seine phantastischen Märchenerzählungen. In seiner wohl unheimlichsten Erzählung, "Der Sandmann" aus Nachtstücke (1817) lässt Hoffmann die schöne, aber mechanische Olympia von einem Uhrwerk getrieben tanzen und singen - es ist eine der ersten Robotergeschichten der Science Fiction.

Der Jurist, Komponist und Dichter brachte es zu den größten Erfolgen und fragte sich, auf dem Höhepunkt seines Ruhmes angekommen, trotzdem, ob das wirklich alles gewesen sein sollte. Denn Hoffmann bemerkt bald, dass die Bewunderung, "die man ihm zollte, so dünn und kraftlos ist, wie der Tee, der bei diesen Geselligkeiten gereicht zu werden pflegt", schreibt Rüdiger Safranski in seiner eindrucksvollen Biographie, für die er dementsprechend auch den Untertitel »Das Leben eines skeptischen Phantasten« gewählt hat.

E.T.A. Hoffmann war ein skeptischer Phantast. Kaum ein anderer deutschsprachiger Autor vor Freud läßt so tief in die Abgründe des bürgerlichen Seelenlebens blicken. Seine Zeitgenossen nannten ihn "Gespenster Hoffmann". Das Fantastische, das seine Texte durchdringt, lag den Lesern im 19. Jahrhundert fern. Erst nach seinem Tod fanden Hoffmanns Bücher ein wachsendes Publikum sowie Musiker und Schriftsteller, die sich auf seine Motive bezogen.

Bei den etablierten Literaten fand die phantastische Literatur Hoffmanns jedoch wenig Anerkennung und der Autor wurde von ihnen als "Gespenter Hoffmann" abgetan.

Hoffmanns Liebe zur Gesangsschülerin Julia Mark mündete in der Leidenschaft beider in einer Katastrophe.

E.T.A. Hoffmann wurde am 24. Januar 1776 in Königsberg als Sohn eines Advokates geboren.


Biografie:

E.T.A. Hoffmann: Das Leben eines skeptischen Phantasten
E.T.A. Hoffmann: Das Leben eines skeptischen Phantasten
von Rüdiger Safranski


Literatur:

E.T.A. Hoffmann, Die Elixiere des Teufels. Lebensansichten des Katers Murr
E.T.A. Hoffmann, Die Elixiere des Teufels. Lebensansichten des Katers Murr
von E.T.A. Hoffmann

Das Fräulein von Scuderi
Das Fräulein von Scuderi
von E.T.A. Hoffmann

Der Sandmann
Der Sandmann
von E.T.A. Hoffmann

Der Sandmann
Der Sandmann
von E.T.A. Hoffmann

Sonntag, 19. Juni 2022

Salman Rushdie 75. Geburtstag

Salman Rushdie

Salman Rushdie wurde vor 75 Jahren am 19. Juni 1947 in Bombay geboren. Salman Rushdie ist ein britisch-indischer Schriftsteller, der zu den bedeutendsten Vertretern der zeitgenössischen Literatur gehört. Seine Erzählungen reichert er mit Elementen aus der Märchenwelt an. Dieses Vermischen von Mythos und Fantasie mit dem realen Leben wird als "Magischer Realismus" bezeichnet. Rushdie gilt als das indische Pendant zu Gabriel García Márquez.

Der Schriftsteller schrieb mit Vernunft und Phantasie gegen religiöse Hetze. Mit seinem Roman »Mitternachtskinder« wurde er weltberühmt. Mit seinem 1988 erschienenen Roman »Die satanischen Verse« hatte er sich den Zorn vieler Muslime zugezogen, die sich in ihrem religiösen Empfinden verletzt fühlten.

Salman Rushdie

Im Februar 1989 verkündete der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini einen Mordaufruf ("Fatwa"), mit einer "Belohnung" von einer Million Dollar. Er beschuldigte den Schriftsteller, den Islam beleidigt zu haben. Anfang der 1990er Jahre tauchte Rushdie, der seit 1961 in England lebte, unter und führt seitdem ein Leben im Untergrund.




"Man wacht jeden Tag in einer anderen Welt auf."

Salman Rushdie

Neun Jahre verbarg sich Rushdie an ständig wechselnden Orten und trat in der Öffentlichkeit nur unter extremen Sicherheitsvorkehrungen oder als Überraschungsgast auf. Erst ab 2006 konnte er nach Jahren unfreilliger Emigration wieder ein "normales" Schriftstellerleben führen.

Seine Bücher erhielten renommierte internationale Auszeichnungen, u.a. den Booker Prize, und sind in zahlreiche Sprachen übersetzt. 1996 wurde ihm der Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Gesamtwerk zuerkannt. 2008 schlug ihn die Queen zum Ritter.

Weblink:

Mit Vernunft und Fantasie gegen religiöse Hetze: Salman Rushdie - www.dw.de


Literatur:

Die satanischen Verse
Die satanischen Verse
von Salman Rushdie

Mitternachtskinder
Mitternachtskinder
von Salman Rushdie


Blog-Artikel:

Magischer Realismus in der Literatur

»Die satanischen Verse« vor 25 Jahren erschienen


Samstag, 18. Juni 2022

»Medea« von Euripides


Als Euripides im Jahr 431 v. Chr. seine Tragödie »Medea« schuf, bediente er sich eines Stoffs aus dem griechischen Mythos. Die Medea-Sage gehört seit der Antike zu den bekanntesten Stoffen der Weltliteratur. Die Handlung spielt in Theben.

Medea ist die zauberkundige Tochter des Königs Aietes von Kolchis an der Ostküste des Schwarzen Meeres. Dorthin fahren im Auftrag des Königs Pelias von Iolkos die Argonauten, eine Schar von Helden unter der Führung von Pelias’ Neffen Iason. Sie sollen das von Aietes gehütete Goldene Vlies erbeuten und nach Iolkos bringen. Aus Liebe verhilft Medea Iason zu dem Vlies und flieht mit den Argonauten. Sie heiratet Iason.

Nachdem Medea ihrem Geliebten Iason, dem sie bei der Jagd nach dem Goldenen Vlies mit ihren Zauberkräften zur Seite stand, nachgefolgt ist, begeht Iason aber den fatalen Ehebruch. Die gekränkte Ehefrau rast vor Wut und überlegt, wie sie sich an Iason rächen kann. Mit kühlem Kopf plant sie den Mord an seiner jungen Braut und an deren Vater König Kreon und schreckt selbst vor der Tötung ihrer eigenen Söhne nicht zurück.


Das Stück von Euripides ist eine Tragödie über eine Frau, deren Mann sie für eine andere verlässt, obwohl sie für ihn viel getan hat und die Mutter seiner zwei Söhne ist. Das Stück enthält nicht, wie manch andere antike Werke viele endlose Monologe, sondern besteht überwiegend aus kurzen, dynamischen Dialogen. Die Einheit von Ort und Zeit zusammen mit den Reflektionen und Erklärungen des Chors machen es gut verständlich.

Euripides zeichnet in seinem Stück, das vom Athener Publikum alles andere als begeistert aufgenommen wurde, das Psychogramm einer verletzten Frau, die dem klassischen weiblichen Rollenbild widerspricht. Medea verweigert den Kompromiß, von der eine Demokratie demokratische Gesellschaft lebt. Die Verweigerung führt in die Tragödie.

Statt ihr Leid passiv zu erdulden, rächt Medea sich auf grausame Weise und nimmt sogar eigenen Schmerz in Kauf. Sie erkennt das Unglück, das ihre Tat auslöst, doch ihre Leidenschaft ist stärker als jede rationale Überlegung. Die psychologische Vielschichtigkeit der Hauptfigur, ihre Intelligenz und Leidenschaft erklären, warum Medea seit jeher das Theaterpublikum fasziniert und viele Künstler zu eigenen Werken inspiriert hat.

Literatur:

Medea
Medea
von Euripides

Lew Kopelew 25. Todestag

Lew Kopelew

Lew Kopelew starb vor 20 Jahren am 18. Juni 1997 in Köln. Lew Kopelew war ein russischer Germanist, Schriftsteller und Humanist mit dem Werdegang eines Dissidenten. Er war ein Zeitzeuge des Jahrhunderts. Ab 1980 lebte er im unfreiwilligen Exil in Deutschland und wurde zu einer bedeutsamen Figur im bundesdeutschen Geistesleben. Der enge Freund Heinrich Bölls und Marion Gräfin Dönhoffs setzte sich unermüdlich für Verständnis und Aussöhnung zwischen Ost und West ein.

Seit Mitte der sechziger Jahre setzte er sich zunehmend für Andersdenkende wie Andrej Sacharow und Alexander Solschenizyn sowie für den Prager Frühling ein. Hierdurch geriet er in immer stärkere Opposition zu dem sich wieder verhärtenden Regime. Er verlor immer mehr den Glauben an den Kommunismus und wurde, als er gegen den Einmarsch anderer kommunistischer Länder in die Tschechoslowakei und die brutale Zerschlagung aller Reformerfolge protestierte, mit Parteiausschluss, Schreibverbot und dem Verlust seiner Stelle am Institut für Kunstgeschichte bestraft. Damit endeten für ihn die letzten Hoffnungen, die er in den Kommunismus gesetzt hatte.

Kopelew wollte in den Westen reisen, aber er wollte auf keinen Fall seine Heimat aufgeben und ins Exil gehen. Eine Einladung von Heinrich Böll und Marion Gräfin Dönhoff zu einer Studienreise nach Deutschland, der ein langes diplomatisches Ringen um eine Rückkehr-Garantie vorausgegangen war, ließ Kopelew 1980 das Wagnis eingehen, mit seiner Frau ins Ausland zu reisen. Nachdem Kopelew sich zu Anfang des Jahres mit anderen Intellektuellen für Andrej Sacharow eingesetzt hatte, wurden ihm und seiner Frau überraschend im Oktober die Genehmigung zur Ausreise erteilt. Mitte November traf das Ehepaar in Köln ein.

Doch schon Anfang 1981 wurde die Auslandsreise zum Exil – man hatte das Ehepaar ausgebürgert. Nach einer Reise in die USA wurde Köln die neue Bleibe für das Ehepaar Kopelew-Orlowa. Raissa Orlowa hatte wesentlich größere Schwierigkeiten, sich in Deutschland einzugewöhnen, als ihr mit der deutschen Kultur aufs beste vertrauter Mann. Sie berichtet in einem Buch über das ihr nur langsam zur Gewohnheit werdende Leben in Deutschland. Kopelew wurde kurz nach Ankunft deutscher Staatsbürger.

Aufgrund der Perestroika Gorbatschows erhielt Kopelew 1989 die Erlaubnis, seine alte Heimatstadt Moskau zu seinem 77. Geburtstag zu besuchen. 1990 konnte er Russland ein zweites Mal besuchen. Er reiste durch das Land und besuchte alte Freunde, doch das Land war ihm inzwischen fremd geworden. Da seine Frau Raissa 1989 gestorben war, ging er schließlich wieder nach Köln zurück, um dort seine Arbeit zur Versöhnung der Völker fortzusetzen.

Am 18. Juni 1997 starb Lew Kopelew in Köln. Seine Urne wurde nach Moskau überführt, wo die Asche auf dem Donskoi-Friedhof neben seiner Frau Raissa Orlowa beigesetzt wurde.

Geboren wurde der Humanist und Weltbürger Lew Kopelew am 9. April 1912 in Kiew.

Literatur:

Lew Kopelew: Humanist und Weltbürger
Lew Kopelew: Humanist und Weltbürger
von Reinhard Meier


Aufbewahren für alle Zeit!
von Lew Kopelew und Heinrich Böll

»Selige Sehnsucht« Johann Wolfgang von Goethe

Johann Wolfgang von Goethe


Sagt es niemand, nur den Weisen, Weil die Menge gleich verhöhnet, Das Lebend'ge will ich preisen, Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung, Die dich zeugte, wo du zeugtest, Überfällt dich fremde Fühlung, Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen In der Finsternis Beschattung, Und dich reißet neu Verlangen Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig, Kommst geflogen und gebannt, Und zuletzt, des Lichts begierig, Bist du, Schmetterling, verbrannt.

Und solang du das nicht hast, Dieses: Stirb und werde! Bist du nur ein trüber Gast Auf der dunklen Erde.

»Selige Sehnsucht« Johann Wolfgang von Goethe

»Die Vermessung der Welt« von Daniel Kehlmann - in einzelnen Kapiteln

1. DIE REISE

Widerwillig macht sich der berühmte Mathematikprofessor Gauß 1828 mit seinem Sohn Eugen von Göttingen aus auf den Weg nach Berlin. Alexander von Humboldt hatte Gauß gedrängt, dort an einem Naturforscherkongress teilzunehmen. Die Reise wird für Gauß wie erwartet qualvoll. Er beleidigt Eugen und wirft dessen Buch über Turnkunst aus dem Fenster der Kutsche. Gauß besitzt keinen Pass und ein Gendarm will ihm die Einreise von Hannover nach Preußen verwehren. Dank eines unbekannten Mannes, der den Polizisten provoziert und ablenkt, können Vater und Sohn ihre Reise fortsetzen. In Berlin versucht Daguerre, einer der Erfinder der Fotografie, ein Foto von Humboldt und Gauß zu machen. Ein Polizist tritt dazwischen und das Bild misslingt.

2. DAS MEER

Das zweite Kapitel schildert, wie Alexander von Humboldt und sein älterer Bruder Wilhelm aufwachsen. Während Alexander zum Naturwissenschaftler erzogen wird, erhält sein Bruder Sprachenunterricht und ist das Lieblingskind aller. Als Alexander den Entschluss fasst, den Fluss Orinoko entlangzufahren und zu erforschen, wird er von Wilhelm verspottet. Alexander von Humboldt studiert in Frankfurt an der Oder und an der Bergbauakademie in Freiberg. Er wird an das Sterbebett seiner Mutter gerufen und beschließt nach ihrem Tod, in die Neue Welt zu reisen. In Paris begegnet er zufällig dem Naturwissenschaftler Bonpland und macht ihn zu seinem Reisegefährten. In Spanien besteigen sie ein Schiff und kommen zunächst nach Teneriffa, wo Humboldt gerührt einen uralten Baum umarmt. Auf der Weiterfahrt bricht auf dem Schiff ein gefährliches Fieber aus. Die gesamte Besatzung und auch Bonpland erkranken. Nur Humboldt ignoriert das Virus und bleibt gesund. Er seziert unterdessen Quallen und nimmt Messdaten von Luftdruck und Wassertiefe.

3. DER LEHRER

Gauß stammt aus einfachen Verhältnissen. Schon als Kind vollzieht er überragende Gedankengänge und entwickelt sich vom begabten Grundschüler zum genialen Mathematiker. Alle anderen Menschen sind seiner Meinung nach nur zu bequem zum Denken. Ein Stipendium des Herzogs von Braunschweig ermöglicht Gauß ein Universitätsstudium. Als einer der ersten Ballonfahrer nach Braunschweig kommt, erbittet Gauß sich erfolgreich einen Platz im Korb. Während der Fahrt beobachtet er begeistert den Sternenhimmel.

4. DIE HÖHLE
Die Expedition führt Humboldt und Bonpland zunächst nach Neuandalusien (heute Venezuela). Sie überreden einige Indianer, sie durch eine als »Totenreich« verschrieene Höhle zu führen. Je weiter sie hineingehen, desto weniger Indianer folgen ihnen, bis sie schließlich ganz allein sind. Als Humboldt seine Mutter halluziniert, verlassen sie die Höhle. Jetzt will Humboldt mit Hilfe einer Sonnenfinsternis ihren genauen Standort messen und den sagenumwobenen Kanal zwischen dem Orinoko und dem Amazonas finden. Humboldt schreibt einen begeisterten Brief an seinen Bruder und einen weiteren an Immanuel Kant. Durch den Angriff eines Eingeborenen wird Bonpland verletzt, die Messinstrumente zu Humboldts Erleichterung jedoch nicht beschädigt.

5. Die Zahlen

Im Alter von 19 Jahren löst Gauß eines der ältesten mathematischen Probleme, ein 17-Eck nur mit Lineal und Zirkel zu konstruieren. Er schließt sein Studium summa cum laude ab und veröffentlicht als Zwanzigjähriger bereits sein Lebenswerk, ein Buch über die Grundlagen der Arithmetik. Seinen Unterhalt verdient er als Landvermesser. Das Mädchen Johanna lehnt den Heiratsantrag des kauzigen Wissenschaftlers ab. Nach einem deprimierenden Besuch bei dem von ihm verehrten Immanuel Kant in Königsberg, macht Gauß Johanna einen zweiten Antrag. Im Fall einer erneuten Absage will Gauß sich mit Curare vergiften, das auf Umwegen in seine Hände gelangt ist. Humboldt hatte es aus Südamerika nach Berlin gesandt. Johanna nimmt den Antrag jedoch an.

6. DER FLUSS

Humboldt und Bonpland reisen wochenlang durch den Urwald, um den legendären Kanal zu kartieren. Die Tour ist strapaziös, Moskitoschwärme und Krokodile sind allgegenwärtig und mehrfach geraten die Wissenschaftler in Lebensgefahr. Unterwegs finden sie Aufnahme in Missionsstationen. Von einem Curaremeister lernen sie alles über Herstellung und Wirkung des Giftes. Nach dem Erreichen des Kanalendes will Humboldt kein Risiko mehr eingehen und die Aufzeichnungen über die Expedition, Präparate und Herbarien so schnell wie möglich nach Europa senden. Der einsetzende Dauerregen hindert sie jedoch zunächst an der Weiterreise. Hilflos sehen sie von einer kleinen Insel aus zu, wie ihr Boot mitsamt den Ruderern fortgeschwemmt wird.

7. DIE STERNE

Gauß heiratet Johanna und zieht mit ihr nach Göttingen. Er will Direktor der dort geplanten Sternwarte werden. Unterdessen überziehen die vorrückenden Truppen Napoleons das Land mit Krieg. Das Observatorium wird nicht gebaut und Gauß stattdessen verpflichtet, Studenten zu unterrichten. In seiner Weltabgewandtheit versäumt Gauß die Geburt seines ersten Sohnes. Im Alter von dreißig ist Gauß kränklich und leidet unter Konzentrationsschwäche. Er meint, dass er nicht alt werde. Johanna stirbt bei der Geburt ihres dritten Kindes. Gauß erwägt, wieder zu heiraten, damit die Kinder versorgt seien.

8. Der Berg

Bonpland und Humboldt besteigen den Chimborazo, der damals als höchster Berg der Welt gilt. Infolge des Sauerstoffmangels in der Höhe werden sie von Wahnvorstellungen gequält. Sie brechen ab, ohne den Gipfel erreicht zu haben. Sie erwägen, der Welt trotzdem zu erzählen, sie hätten den Berg bestiegen. Wieder unten schreiben sie nach Europa, sie seien von allen Menschen am höchsten gelangt.

9. DER GARTEN

Gauß hat Johannas Freundin Minna geheiratet. Er kann sie nicht ausstehen und ist nur ungern zu Hause. Deshalb arbeitet er wieder als Landvermesser. Sein Sohn Eugen hilft ihm dabei, doch Gauß ärgert sich über dessen beschränkten Verstand. Als er auf das Land des Grafen von der Ohe zur Ohe kommt, stehen seiner Vermessungsarbeit ein Schuppen und einige Bäume im Weg. Im Gespräch mit dem Grafen stellt sich heraus, dass dieser genau weiß, wer Gauß ist. Der Graf überlässt ihm kostenlos Schuppen und Bäume und Gauß wundert sich über seine eigene Berühmtheit.

10. Die Hauptstadt

Humboldt und Bonpland gelangen nach Acapulco (damals Neuspanien, heute Mexico). Humboldt ist voller Elan, während man dem rasch alternden Bonpland die Strapazen der Reise ansieht. Inzwischen begleiten internationale Zeitungsreporter die Expedition und die Wissenschaftler sind zu Gast beim Vizekönig. Humboldt will jetzt einen Atlas von Neuspanien erstellen. Er vermisst und erforscht das Land, darunter Silberminen und das Erbe der Azteken. In der prähistorischen Stadt Teotihuacan entdeckt er einen riesigen Kalender. Auf dem Vulkan Jorullo seilt er sich in den Krater ab und behauptet anschließend, den Neptunismus widerlegt zu haben. Mit Kisten voller Gesteins- und Pflanzenproben sowie Käfigen mit exotischen Tieren treten Humboldt und Bonpland die Heimreise nach Europa an. Unterwegs werden sie im nordamerikanischen Philadelphia von Präsident Jefferson empfangen, dem sie Bericht über das neu erforschte Gebiet erstatten sollen. Humboldt will fortan in Paris leben.

11. DER SOHN

Nach Humboldts Rückkehr treffen er und Gauß in Berlin aufeinander. Sie sitzen bei Tisch und unterhalten sich über ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse und Theorien. Nach schwierigen Jahren in Paris ist Humboldt jetzt Kammerherr des preußischen Königs Friedrich Wilhelms. Im Gegensatz zu Napoleon schätzt dieser Humboldts Forschungen. Gauß beleidigt wiederholt seinen ebenfalls anwesenden Sohn Eugen, der schließlich gekränkt den Raum verlässt. Humboldt erzählt, dass Bonpland sich nach der Reise im bürgerlichen Leben nicht mehr zurechtgefunden habe, nach Südamerika zurückgekehrt sei und in Paraguay unter Hausarrest stehe.

12. DER VATER

Nach den Beleidigungen durch seinen Vater zieht Eugen verdrossen durch Berlin. Durch Zufall begegnet er Studenten, die ihn zu einer geheimen politischen Veranstaltung mitnehmen. Eugen erkennt in dem Redner den Mann wieder, der ihn und seinen Vater am Vortag an der Grenzstation davor bewahrt hat, festgenommen zu werden. Das Treffen ist von den »Jungen Patrioten« organisiert, die polizeilich verfolgt werden. Als die Gendarmerie eintrifft, wird Eugen mit allen anderen Beteiligten verhaftet.

13. DER ÄTHER

In Berlin hält Humboldt vor einem illustren Publikum einen Vortrag über seine Erkenntnisse der Welt und des Kosmos. Auch Gauß ist anwesend. Beim Verlassen des Saals hält Humboldt ihn auf und stellt ihn zahllosen Berühmtheiten vor, darunter auch seinem Bruder Wilhelm von Humboldt. Die vielen Menschen sind eine Qual für Gauß und endlich gelingt es ihm, zu entkommen. Er irrt durch die Straßen Berlins und findet zu Humboldts Haus zurück. Als Humboldt ebenfalls eintrifft, kommt es zu einem disput darüber, was Wissenschaft eigentlich sei. unterbrochen werden die beiden von der nNchricht, dass eugen verhaftet worden sei.

14. DIE GEISTER

Gauß und Humboldt brechen auf, um sich bei dem Gendarmeriekommandanten Vogt für Eugen einzusetzen. Sie treffen ihn bei einer spiritistischen Sitzung an. Humboldt bittet Vogt um die Freilassung von Eugen. Vogt zögert und Gauß unterstellt ihm Bestechlichkeit. Es kommt zum Streit; Humboldt und Gauß machen sich unverrichteter Dinge auf den Heimweg. Unterwegs sprechen sie über ihre jeweiligen Zukunftspläne.

15. DIE STEPPE

Humboldt reist zu Forschungszwecken nach Russland. Der Zar finanziert das Unternehmen, legt aber zugleich die Reiseroute fest und stellt Humboldt unter Aufsicht. Der alternde Wissenschaftler wird zwar überall im Land als Berühmtheit gefeiert, von seinen Begleitern jedoch belächelt. Man lässt ihm keine Zeit für die Forschung und es gelingt ihm nicht, seine Untersuchungen des Magnetismus sinnvoll durchzuführen. Unterdessen stellt Gauß, mit dem

Unternehmen, legt aber zugleich die Reiseroute fest und stellt Humboldt unter Aufsicht. Der alternde Wissenschaftler wird zwar überall im Land als Berühmtheit gefeiert, von seinen Begleitern jedoch belächelt. Man lässt ihm keine Zeit für die Forschung und es gelingt ihm nicht, seine Untersuchungen des Magnetismus sinnvoll durchzuführen. Unterdessen stellt Gauß, mit dem Humboldt in regem Briefkontakt steht, eigene Versuche zum Magnetismus an. Später verlegt Gauß sich auf Sterbestatistiken. Gegen Ende der Reise gerät das Schiff mit Humboldt und seinen Begleitern im Kaspischen Meer in dichten Nebel. Humboldt erhält Gelegenheit, seine Fähigkeiten als Navigator unter Beweis zu stellen.

16. DER BAUM

Seit seiner Verhaftung befindet Eugen sich in der Gewalt der Geheimpolizei. Humboldt kann ihm eine Ausreisemöglichkeit nach Übersee verschaffen. Anders als Gauß und Humboldt zeigt Eugen kein Interesse für das Neue, das ihm unterwegs begegnet. Der Baum in Teneriffa, den Humboldt umarmt hatte, lässt ihn kalt. Er fühlt sich vom Vater verlassen und hat Heimweh. Der Kapitän seines Schiffes besitzt einen Chronometer und verkündet, die Zeit der großen Navigatoren sei vorbei. Während der Überfahrt nach Amerika lernt Eugen einen Iren kennen. Die beiden schmieden Pläne für eine gemeinsame Firma.


In prägnanten Szenen und mit knappen Sätzen skizziert Daniel Kehlmann das Leben der Zeitgenossen Gauß und Humboldt. Die beiden Wissenschaftler kannten sich flüchtig. Beide wollten die Welt vermessen, der eine im Königreich Hannover, der andere im südamerikanischen Urwald, beide wollten den Erdmagnetismus verstehen und den Kosmos erklären. Ihre Herangehensweise war jedoch denkbar verschieden: Während Humboldt im Geist von Goethe die Natur als ein großes Ganzes versteht und nach greifbaren Zusammenhängen sucht, tüftelt Gauß im Verborgenen und findet Erklärungen in abstrakten mathematischen Formeln. Es ist dem Autor gelungen, die Fülle des biografischen Materials zu reduzieren und einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen. Dass er sich dabei nicht strikt an historisch belegbare Fakten hält, entspricht dem Genre des Romans.

An Fantasy-Literatur scheiden sich die Geister

Es gibt so etwas wie Gesetze für die phantastische literarische Produktion:
Der Traum des Novalis von einer Verbindung von Mythos und Fabel, die als das Grundprinzip aller, auch der seichtesten Fantasy-Literatur gelten darf.

Ein weiteres Gesetz für phantastische literarische Produktion: je solider die Phantasie-Erfindung im Boden der historischen und psychologischen Realität verwurzelt ist, desto blühender wird sie wirken. Das Faszinierendste, was es gibt, ist Leben und Leben kann nicht erfunden werden.

An der Fantasy-Literatur scheiden sich die Geister der Leser. Gerade die Freunde der großen Mythen, des Mahabaratha und der Artus-Sagen, des Argonautenzuges und des heiligen Grals empfinden die Mythenmixturen der Fantasy-Romane oft als allzu unverbindlich und beliebig, die Entwicklungen vorhersehbar und die aus soviel Geschichtspartikeln konstruierte Geschichtslosigkeit spannungslos.

Es waren eine Art Fantasy-Romane, in die Endlosschleife einer Computer-Spiel-Ästhetik gewundene Gralsritter-Derivate, die den unschätzbaren Don Quixote den Verstand kosteten. Der Roman ist ein wahres Königtum des phantasievollen Einfallsreichtums.

In neuerer Zeit verbindet sich in solchen Erzählungen gern ein Prinz-Eisenherz-Mittelalter mit ort- und zeitloser Raumschiff-Science-Fiction, die Wunderwaffen der Feen komplettieren futuristisch technoide Auslöschungsmaschinen. Aber dieser Befund darf nicht davon ablenken, dass es gerade im Deutschen große und größte Literatur gibt, die sehr wohl mit den Kriterien der Fantasy-Literatur erfasst werden könnte.

Als Goethe im zweiten Teil des „Faust“ in einem überzeitlichen Griechenland Helena und Faust in ebender Kreuzritterburg Hochzeit halten ließ, die einst tatsächlich auf dem Boden des antiken Sparta errichtet worden war, da erfüllte er den Traum des Novalis von einer Verbindung von Mythos und Fabel, die als das Grundprinzip aller, auch der seichtesten Fantasy-Literatur gelten darf.

Ein weiteres Gesetz für phantastische literarische Produktion wird hier sichtbar: je solider die Phantasieerfindung im Boden der historischen und psychologischen Realität verwurzelt ist, desto blühender wird sie wirken. Das Faszinierendste, was es gibt, ist Leben und Leben kann nicht erfunden werden.

»Hamlet« von William Shakespeare

William Shakespeare

Shakespeares »Hamlet« gilt als Höhepunkt seines dramatischen Schaffens. Das 1600 / 1601 entstandene und 1602 uraufgeführte Werk ist ein zeitloses Drama umd Liebe, Rachsucht, Tod und Vergänglichkeit.

Dänemark nach dem Machtwechsel: Der alte König ist tot, die Todesumstände vage und die Witwe eilends wieder verheiratet – mit ihrem Schwager. Dessen Führungsqualitäten braucht das krisengeschüttelte Land. Denn äußere Feinde bedrohen es ebenso, wie es von innen heraus fault.

Zur Trauerfeier vom Studium aus England heimgekehrt, gerät Prinz Hamlet in den Strudel politischen Umbruchs und gleichzeitig in einen tiefen inneren Konflikt. Der Geist des Vaters bezichtigt seinen Nachfolger des Mordes und fordert Rache. Im Netz von Spitzeln, die der neue Herrscher um sich schart, scheint für Hamlet überall Gefahr zu lauern. Vonseiten alter Freunde wie von seiner geliebten Ophelia.

Alles nur Wahn? Fremd geworden im eigenen Land, entwurzelt, der eigenen Sinne nicht mehr sicher, wird Hamlet zum Beobachter seiner selbst und einer Gesellschaft, zu der er nicht mehr gehört. Kann er handeln – muss er gar? Und zu was führt eine mögliche Aktion? Hamlet tut lange gar nichts, um schließlich seine ganze aus den Fugen geratene Welt in den Abgrund zu reißen – auf dass eine bessere entstehe?

Kaum ein Stück, das den Menschen und die Welt tiefgreifender, schonungsloser erforscht. Der Rest ist Schweigen.

»Die Kartause von Parma« von Henri Stendhal


Der 1839 Roman »Die Kartause von Parma« von Henri Stendhal - eigentlich Marie-Henry Beyle (1783-1842) - gilt als einer der ersten Werke des literarischen Realismus enthält aber freilich noch sehr starke Elemente der älteren romantischen Literaturrichtung.

Die Handlung spielt im wesentlichen im Oberitalien nach 1814/15 wo gerade die alte politische Ordnung vor 1789 bzw. 1796 ein letztes Mal restauriert wurde und dreht sich um die Abenteuer des Helden Fabrizio del Dongo, einem jungen Adligen aus einem alten lombardischen Adelsgeschlecht, der aufgrund seiner napoleonischen Gesinnung (Teilnahme an Napoleons letzter Schlacht bei Waterloo) aus dem wieder österreichisch gewordenen Mailänder Territorium, arrangiert von seiner liebreizenden Tante der Duchessa Sanseverina, nach dem ebenfalls restaurierten Herzogtum Parma, das der Hauptschauplatz des Romans werden soll, überwechseln muss.

Dort herrscht der wieder ans Ruder gekommene Herzog Ernesto IV. aus dem Hause Farnese (das in Wirklichkeit bereits 1731 ausgestorbenen war und durch eine bourbonische und ab 1814/15 einen habsburgische Sekundogenitur ersetzt wurde) und sein Premierminister Graf Mosca nach dem absolutistischen Vorbild Ludwig XIV.

Schließlich wird Fabrizio infolge einer höfischen Intrige der Gegenpartei Graf Moscas und der Sanseverina und der Rachsucht des Herzogs, nachdem er einen Totschlag aus Notwehr begangen hat, wegen Mordes zu einer mehrjährigen Festungshaft verurteilt, die er nachdem er schließlich gefasst wird auch antreten muss. Ausgerechnet in der Zitadelle von Parma trifft der Frauenheld Fabrizio (obwohl er eine geistliche Laufbahn eingeschlagen hat!) auf seine erste wirkliche Liebe in Person Clelia, der Tochter des Festungskommandeurs Graf Conti.


Es ist die Zeit um die Schlacht bei Waterloo, als sich Fabrizio del Dongo, ein junger italienischer Adliger (verkleidet und in cognito) aufmacht, um seinem Idol, Napoleon irgendwo irgendwie zu begegnen.
Daß dies nicht ohne Gefahr für ihn geschehen kann, dafür bürgt die damalige Zeit, als nämlich Österreich anno dazumal noch emsig das Zügel in Norditalien führte und wie.

Unser junger Held erreicht aber seinen angestrebten Ort, kann fast als Mitspieler dieser gewaltigen Schlacht fungieren, verliebt sich mehrmals (auch in seine schöne Tante Gina, wie auch umgekehrt), kommt aus allem irgendwie ganz gut raus und beginnt nun in der Heimat Italien ein neues Leben als Cavalier der alten Schule einer langsam sterbenden Epoche, in der auch Casanova seine Zeit hatte. Er wird also, um es kurz zu machen, kirchlicher Würdenträger wie sein Uhrahn vorzeiten.

Wieder Liebe und Gegenliebe, wieder Tragisches, daß es nur so knistert und nebenher werden einem Intrigen, Politisches und dergleichen nahegebracht, daß es eine Wonne ist.

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Insgesamt ist der Roman ein typischer Vertreter der Literatur seiner Zeit und strotzt nur so von typischen romantisch-fantastischen Stilelementen wie schmachtender wahrer Liebe, amurösen Liebesintermezzi, höfischen Intrigen, nächtlichen Verschwörungen, Duellen, Giftkomplotten und Gefängnisausbrüchen, weist aber zugleich auch schon realistische Elemente im Handlungsverlauf, allen voran in der Schilderung der Teilnahme Fabrizios an der Schlacht von Waterloo die Tolstoi als Vorbild seiner Schlachtdarstellungen insbesondere in "Krieg und Frieden" als Vorbild gereichte.

Schlüsselemente seiner Handlung hat Stendhal aus tatsächlichen Vorkommnissen des Italiens des 15. und 16. Jahrhunderts geschickt in seinen Roman eingeflochten. Als Spiegelbild eines typischen kleinen Fürstenhofs nach 1815 würde ich den Roman freilich nicht sehen wollen, eher als überspitzte Karikatur auf die Fürstenherrlichkeit in Italien und auch im Deutschland früherer Jahrhunderte bis zur französischen Revolution, wenngleich es auch nach 1815 noch kleine Fürsten gab die glaubten die Narrenfreiheit innezuhaben.

Wer einen langen Atem hat und bei Regen oder Sonnenschein genug Zeit mitbringt, wird hier aufs Köstlichste unterhalten.
Dieses Werk ist ein ganz großer Roman mit Bildungspotential.


Literatur:

Die Kartause von Parma. Vollständige Ausgabe
Die Kartause von Parma
von Henri Stendhal

Donnerstag, 16. Juni 2022

»Der Abend« von Joseph von Eichendorff



Schweigt der Menschen laute Lust:
Rauscht die Erde wie in Träumen
Wunderbar mit allen Bäumen,
Was dem Herzen kaum bewusst,
Alte Zeiten, linde Trauer,
Ach, es schweifen leise Schauer
Wetterleuchtend durch die Brust.

»Der Abend« von Joseph von Eichendorff



Video:

"Der Abend" von Joseph Freiherr von Eichendorff - Youtube

Samstag, 11. Juni 2022

Ben Jonson 450. Geburtstag

Benjamin Jonson


Ben Jonson, eigentlich Benjamin Jonson - wurde am 11. Juni (unsicher) 1572 als Sohn eines protestantischen Geistlichen in London Westminster geboren. Ben Jonson war ein englischer Bühnenautor und Dichter. Neben William Shakespeare gilt Ben Jonson als der bedeutendste englische Dramatiker der Renaissance.

Jonson sah sich als gelehrten Dichter und war in der Weiterführung der Renaissance ein glühender Verehrer der antiken, besonders der römischen Literatur, ohne damit jedoch in irgendeiner Weise eine Weltfremdheit zu verbinden oder auf die Entwicklung eines eigenen literarischen Profils zu verzichten. Ausgehend von der römischen Komödie begründete er vor allem eine neue Form der satirischen Sittenkomödie, die bis in das 18. Jahrhundert bestehen blieb.

Jonson verstand sich nicht nur als Dramatiker, sondern stets auch als Lyriker, der seine Dichtung auf der Grundlage antiker Gattungen wie Epigramm, Epitaph, Epistel oder Ode gestaltete. Dabei lehnte er den Stil der metaphysischen Dichter mit oftmals gesuchten oder ausufernden Metaphern (conceits) ab und legte großen Wert auf eine Klarheit der Form und Schlichtheit des Ausdrucks. Dadurch trug er maßgeblich zu der Entstehung des Ideals eines schlichten Stils (plain style) bei.

Die frühe Schaffensphase Jonsons als Dramatiker war durch seine Erfindung der comedy of humours als einer besonderen Spielart der comedy of manners geprägt. Dabei griff er die auf der antiken sowie mittelalterlichen Humoralpathologie fußende Theorie von den verschiedenen Körpersäften und vier Temperamenten des Cholerikers, Sanguinikers, Melancholikers und Phlegmatikers auf. Seine besondere Errungenschaft war es, diese Lehre metaphorisch zu nutzen, um die Exzentrizitäten und Affektiertheiten der Menschen im gesellschaftlichen Leben darzustellen. Die einzelnen Episoden dieser Variante der Komödie dienen dabei vor allem der Offenlegung der einzelnen humours; das Ziel des gesamten Geschehens ist vornehmlich auf die Heilung der humours ausgerichtet, die im Wesentlichen nur Übertreibungen grundsätzlich wünschenswerter Eigenschaften verkörpern.

Ben Jonson starb am 6. August 1637 in London.