Das im Jahr 1902 verfasste und ein Jahr später in Deutschland uraufgeführte Drama »Nachtasyl« des russischen Schriftstellers Maxim Gorki gehört zu den bedeutendsten Theaterstücken jener Zeit. Der Autor führt in das Milieu des zaristischen Prekariats, einer Gesellchaftsschicht, in der sich Gorki persönlich auskannte und dessen Sprachrohr er mit diesem und weiteren Stücken werden sollte.
Gegenstand der Handlung ist eine illustre Gruppe von gescheiterten Figuren, die alle zusammen bei der Vermieterin Wassilissa und ihrem Mann Kostylew wohnen. Beide führen ihre Wirtschaft mit harter Hand und die Mieter haben sich in diesem Zustand eingerichtet. Bis eines Tages der lebenserfahrene und -frohe Wanderer Luka auftaucht und erst beiläufig, später gezielt die Situation und ihre Umstände hinterfragt. Durch diesen externen Impuls aufgerüttelt, wandeln sich einige Bewohner von folgsamen Schafen zu mündigen Bürgern, die schließlich gegen ihre Vermieter aufbegehren. Das Stück endet tragisch und hinterlässt beim Leser den Eindruck einer gewissen Unvollkommenheit. Doch eben hier liegt Gorkis' Verdienst. Es wird kein Königsweg aufgezeigt, der die Menschen aus ihrer Unterdrückung befreit.
Vielmehr liefert »Nachtasyl« Denkanstöße zum Umgang miteinander und steht damit im Lichte eines kollektiven Humanismus. Denn nicht die Regierung ist entscheidend, oder der Staat, sondern immer nur der Mensch. Auf der Basis dieser Erkenntnis stehend ist das Stück auch mehr als hundert Jahre nach seiner Erscheinung noch aktuell und sollte daher unbedingt empfohlen und gelesen werden.
Mit seinem grandiosen und ebenso beklemmenden wie aufrüttelnden Drama »Nachtasyl« schuf der russische Dichter Maxim Gorki ein zeitloses Werk von weltliterarischem Rang und einen Klassiker der russischen (sowjetischen) Literatur. Nach seiner Uraufführung 1902 entfaltete es eine ungeheure Wirkung: Denn hier gehört die Bühne nicht mehr den Begüterten, Privilegierten, sondern den Gedemütigten, den am Leben Gescheiterten. Ihr Platz ist das Nachtasyl, ein Elendsquartier, aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Und doch führt ihr Ringen um Selbstwert und Würde, ihr Träumen und Hoffen, die Macht des menschlichen Überlebenswillens auf ergreifende Weise vor Augen.
In Russland wurde der umstrittene Nationaldichter nach dem Zusammenbruch des Kommunismus für viele von der vergötterten Leitfigur der Sowjetzeit zur Unperson. In Maxim Gorkis widersprüchlichem Leben ist jedoch bis heute vieles ungeklärt.
Literatur:
Nachtasyl von Maxim Gorki
Weblink:
Von der Leitfigur zur Unperson - 75. Todestag des Dramatikers und Erzählers Maxim Gorki - dradio.de