Samstag, 9. September 2023

»Beale Street Blues« von James Baldwin



»Beale Street Blues« von James Baldwin - benannt nach der Beale Street, einem oft besungenen und verfilmten Vergnügungsviertel von New Orleans. Der Roman ist eine »Harlem Love Story« - eine junge Liebe gegen die Willkür einer weißen Justiz.

Der Roman erzählt die Geschichte von Tish und Fonny, 19 und 22, und ihrem Kampf gegen die Willkür. Tish ist 19 Jahre alt und schwanger. Der Vater ihres Kindes, Fonny, selbst erst 22, sitzt im Gefängnis. Unschuldig. Einfach, weil er schwarz ist und sich mit einem weißen Polizisten angelegt hat, der ihm nun ein Verbrechen in die Schuhe geschoben hat. Eine Tat, die zwei junge Liebende trennt, eine Familie zerstört, die andere nahe an die Grenze des Machbaren schubst. Doch dabei offenbart sich nur, wie gefangen alle in ihrem eigenen Leben sind. Und dass es daraus kein Entkommen gibt …

James Baldwin hat »If Beale Street Could Talk«, so der Originaltitel, 1973 in Südfrankreich geschrieben, nachdem er miterlebt hat, wie einer seiner Freunde unschuldig eines Mordes verdächtigt wurde und sechs Jahre im Gefängnis saß, bis die Anklage fallen gelassen wurde. Etwas, das zu der damaligen Zeit nicht selten war, wenn man die „falsche“ Hautfarbe hatte. Vorschnell gefällte Urteile, Rasismus, Diskriminierung von Frauen, Gewalt gegen Frauen passen auch in die heutige Zeit.

Beale Street

All das ist Teil von »Beale Street Blues«. Eine Sozialstudie der damaligen Zeit, die unangenehm an die heutige erinnert. Rassismus an jeder Ecke, sogar innerhalb der eigenen Familie. Hellhäutigere Schwestern, die ihren Bruder verachten, weil er dunkler als sie ist. Männer, die ihre Frauen züchtigen, wenn ihnen etwas nicht passt, sogar vor den Nachbarn, die das achselzuckend hinnehmen. Der Hass einer Mutter auf ihr ungeborenes Enkelkind, weil dessen Mutter nicht die richtige Wahl für den Sohn ist. Der geschmähte Polizist, der vor aller Augen blamiert wird und deshalb auf Rache sinnt.

»Beale Street Blues« von James Baldwin ist kein einfacher Roman, denn dieser wird nicht geradlinig erzählt, er bricht Erzählstrukturen, hat durchaus langatmige Stellen und an und für sich erzählt er gar wenig. Ein Spannungsbogen ist so gut wie nicht vorhanden, denn dieser Roman will nicht unterhalten – er will etwas zeigen. Die Welt einer Gruppe von Menschen, die von anderen als weniger wichtig eingestuft wurden. Menschen, die um ihre Position im Leben kämpfen und dies auch innerhalb ihrer Gruppe. Menschen, für die Familie und Freunde alles sind. Menschen, die sich in ihrer Zugehörigkeit teilweise eingesperrt fühlen.

James Baldwin hat ein fast poetisches Werk geliefert, in einfacher Sprache gehalten, aber fast zu ruhig, um ein wirklicher Weckruf zu sein. Es ist ein Buch, das an manchen Stellen wehtut, während es einen an anderen fast kalt lässt, weil die Verbindung zu den Charakteren nicht tief genug ist. Es hätte eine durchaus einschlagendere Wirkung haben können als nur ein ruhig erzählte, traurige Lovestory. Und dennoch ist dieses Buch so aktuell, dass es einfach nur erschreckend ist – und das 50 Jahre, nachdem es geschrieben wurde.

Weblink:

Beale Street Blues von James Baldwin | dtv - www.dtv.de

Video:

Beale Street Blues James Baldwin


Samstag, 26. August 2023

Literatur ist nicht die Realität


Literatur ist nicht die Realität, aber ohne Literatur ist auch die Realität nichts.

Bücher sind nicht die Realität, aber ohne Bücher ist auch die Realität nichts.

Romane sind nicht die Realität, aber ohne Romane ist auch die Realität nichts.


„Die Literatur kann es sein, die der

Gesellschaft ihre noch ungelösten Aufgaben stellt.“


Wolfgang Hilbig


Die Welt sieht heute aus wie eine Fantasiewelt.

Für viele Schriftsteller sieht die Welt heute aus wie eine Fantasiewelt.

"Die Gegenwart scheint mir irreal. Das ist ein Gefühl, das viele gaben. Wir können nicht mehr sagen, was real ist und was irreal. Oder surreal. Die Welt sieht heute aus wie eine Fantasiewelt."

Haruki Murakami





Samstag, 19. August 2023

»Franz Sternbalds Wanderungen« von Ludwig Tieck



»Franz Sternbalds Wanderungen« ist ein 1798 veröffentlichter Künstler- und Bildungsroman von Ludwig Tieck. Der Roman mit dem Untertitel »Eine altdeutsche Geschichte« spielt in der Zeit Albrecht Dürers, an die auch Wackenroders »Herzensergießungen« erinnert hatten. Im Bild des Sebastian, des befreundeten Malerkollegen, den Franz Sternbald in Nürnberg zurückläßt, wird an den verstorbenen Freund erinnert. Der Name verwaist zudem auf den heiligen Märtyrer.

Franz Sternbald, ein fiktiver Schüler Albrecht Dürers (1471-1528), verlässt seinen Meister, um sich auf Wanderschaft als Künstler zu vervollkommnen. Sein Weg führt ihn zunächst in die Niederlande zu Lucas van Leyden (um 1489-1533). Von Antwerpen aus zieht er mit dem jungen Reisekameraden Rudolf Florestan nach Italien, wo er Raffael (1483-1520) zu treffen hofft. Am Süden faszinieren ihn die überall blühende Kunst, der ästhetische Reiz des Katholizismus und die mediterrane Lebensfreude, die sein Wanderkamerad verkörpert.

Darüber hinaus sucht Sternbald nach seiner Jugendliebe Marie. Das Zusammentreffen mit einer Jagdgesellschaft - spätestens hier zeigt sich der Einfluss von »Wilhelm Meisters Lehrjahre« - führt Franz auf die Spur jener jungen Frau, die er bei einem Unfall gerettet hatte und die ihm auf mysteriöse Weise vertraut erschienen war. Er wird verstrickt in die Schicksale der Gräfin Adelheid und ihres Geliebten Rodrigo, sogar in die Entführung einer Novizin aus einem Kloster. In Rom findet er schliesslich Marie, womit die Geschichte abbricht.

Franz Sternbalds Wanderungen
Franz Sternbalds Wanderungen

Der Maler Franz Sternbald verlässt Nürnberg, wo er seinen viel geliebten Meister Albrecht Dürer und seinen Freund Sebastian zurücklässt. Ziel seiner Wanderung ist Italien, Zweck seiner Wanderung ist sich als Maler zu optimieren. Franz besucht zuerst sein Elternhaus, dort findet er seinen sterbenden Vater, der ihm sagt, er sei nicht sein Sohn. Der Vater stirbt, bevor er Franz darüber aufklären kann. Mit dieser Unwissenheit und der Neugierde des Lesers reist Franz weiter.

Der Besuch seiner Heimat rief Franz eine Kindheitserinnerung wach; er schenkte einem Mädchen einen selbst gepflückten Blumenstrauß und war betört von dem lieblich blonden Mädchen. Franz will sie finden, er hat keinen Anhaltspunkt, doch manchmal scheint das Schicksal ihm gefällig zu sein.

Seine Reise führt nach Holland, zu dem Maler Lukas von Leyden, nach Antwerpen, Straßburg, Florenz und Rom. In Italien lernt der junge Mann neben der Kunst Raffaels auch Erotik und Sinnenblust kennen. Franz findet Weggefährten und macht Bekanntschaften, die nicht immer ohne Wirkung auf ihn bleiben. In Rom erschließt sich der sonst kindliche, nachdenkliche und schüchterne Franz einem freudigen Leben.

Die Erzählung tritt immer wieder auf der Stelle, die Handlung rückt in den Hintergrund, ist nur Beiwerk zu Sternbalds vielen traurigen und sentimentalen Gedanken, ist Lückenfüller für Ansichten und lange Gespräche über Kunst und Künstler. Bis auf ein paar wenige Bilder, die zu Franz Sternbalds Lebensunterhalt beitragen, malt Franz seine Bilder in Gedanken und diese muss der Leser ausführlichst aushalten.

Der Romantik geschuldet ist die alte Sprache und der Schreibstil, es liest sich etwas stockend, es kommt kein Lesefluss auf. Das Werk enthält viele Gesänge/Gedichte, tragen nichts zur Handlung bei, helfen aber dem sentimentalen romantischen Charakter.

Weblink:

Ludwig Tieck Biografie

Literatur:

Franz Sternbalds Wanderungen
Franz Sternbalds Wanderungen
von Ludwig Tieck

Franz Sternbalds Wanderungen
Franz Sternbalds Wanderungen
von Ludwig Tieck

Samstag, 22. Juli 2023

Berühmte Abenteuer-Schriftsteller (E)


Berühmte Abenteuer-Schriftsteller, die auch auf ein intensives Leben zurückkblicken konnten und aus eigenem Erleben spannend und für alle Leserschichten unterhaltsam geschrieben haben, gibt es nicht allzu viele.

Dazu gehören zweifelsohne die Amerikaner Mark Twain, Herman Melville und Jack London, der Engländer Joseph Conrad, der Schotte Robert Louis Stevenson und die beiden Franzosen Jules Verne und mit Abstrichen Victor Hugo.

Ein besonderes Kuriosum an abenteuerlicher Phantasie stellt der Sachse Karl May dar, der im Knast all seine Geschichten von Winnetou und Old Shatterhand frei erfunden hat, ohne das Land seiner Abenteuerhelden jemals vorher betreten zu haben.

Also Cowboy-Hut ab vor Karl May und ein guter Schuß aus der Feuerbüchse!

Samstag, 15. Juli 2023

Maxim Gorkis Bild im Wandel der Zeit

Maxim Gorki

75 Jahre nach seinem Tod erscheint der russische Schriftsteller Maxim Gorki als umstrittene Figur voller Widersprüche. Dabei verkörpert Maxim Gorkis widersprüchliche Gestalt durch seine Annäherung an den Kommunismus sowohl die religiös aufgeladene kommunistische Menschheitsutopie des 20. Jahrhunderts wie auch die schreckliche historische Realisierung dieser Utopie.

In seiner Entwicklung verkörpert Gorki eine ganze historische Epoche: Vom weltberühmten, aus den Niederungen des russischen Volkes aufgestiegenen proletarischen Genie, dem "Sturmvogel der Revolution", dann radikalen Kritiker des leninschen Oktober-Umsturzes avancierte er schließlich zum Begründer des Sozialistischen Realismus und Verherrlicher der Stalinzeit.

In Russland wurde der umstrittene Nationaldichter nach dem Zusammenbruch des Kommunismus für viele von der vergötterten Leitfigur der Sowjetzeit zur Unperson. In Maxim Gorkis widersprüchlichem Leben ist jedoch bis heute vieles ungeklärt.


Weblink:

Von der Leitfigur zur Unperson - 75. Todestag des Dramatikers und Erzählers Maxim Gorki - dradio.de

Freitag, 7. Juli 2023

»Dem Ziel entgegen« von Hermann Hesse

Hermann Hesse

»Immer bin ich ohne Ziel gegangen,
wollte nie zu einer Rast gelangen,
meine Wege schienen ohne Ende.

Endlich sah ich, daß ich nur im Kreise
wanderte, und wurde müd der Reise.
Jener Tag war meines lebens Wende.

Zögernd geh ich nun dem Ziel entgegen,
denn ich weiß: Auf allen meinen Wegen
steht der Tod und bietet mir die Hände.«


»Dem Ziel entgegen« von Hermann Hesse (1877 - 1962)


Montag, 26. Juni 2023

»Des Teufels Wörterbuch« von Ambrose Bierce - Rezension

Des Teufels Wörterbuch
Des Teufels Wörterbuch

Wer »Des Teufels Wörterbuch« zur Hand nimmt, darf kein gewöhnliches Wörterbuch erwarten. Vielmehr definiert der geistreiche Zyniker und glänzende Stilist Ambrose Bierce (1842-1914) zahlreiche Begriffe und Redewendungen auf ganz eigene Weise - pointiert und mit beißendem Spott. »Des Teufels Wörterbuch« von Ambrose Bierce ist ein Sarkasmus-Konzentrat, eine Sammlung gepfefferter Sottisen, gewissermaßen der Parademarsch nackter Kaiser; angewandter Pessimismus ohne Larmoyanz.

Es ist eine Lust zu lästern. Bierce verbindet Menschen- und Selbstkritik mit der schieren Lust am Sprachspiel. Aus dieser Verbindung hervorgegangen ist das Flaggschiff des Genres, obwohl es weitere lesenswerte Definitionssammlungen dieser Art gibt, etwa »Raoul Tranchirers vielseitiger großer Ratschläger«, oder auch verschiedene gewitzte Internet-Webseiten (z.B. »The Philosophical Lexicon«).

Dabei schont Bierce auch sich selber bzw. sein eigenes Werk nicht, wenn er die Hölle definiert als die "Residenz toter Lexikographen", wenn er unter fröhlichem Gekecker das Adjektiv "schimpflich" mit "Charakter und Gewohnheiten eines Rivalen" illustriert, und wenn er mithilfe von "Philosophie, dem Beobachter aufgezwungen durch die entmutige Übermacht des Optimisten mit seiner gräßlichen Hoffnung und seinem abstoßenden Lächeln" Pessimismus erläutert.

Neben solch allemal zitierfähigen Bonmots enthält der Band auch längere Satiren auf zeitlose Unsitten, getarnt als Wortdefinition: Unter Stichworten wie z.B. "Regalien", "Ungläubige(r)" oder "Saufen" zetert Bierce los, dass es eine Lust ist zu lesen.

Ursprünglich aus einer Zeitungsrubrik entstanden, ist »Des Teufels Wörterbuch« ein Lesevergnügen der etwas anderen Art, das den kleinen Hunger nach Esprit bei allen Gelegenheiten stillt. Freilich ist diese Ausgabe von Gisbart Haefs' feiner Übersetzung nur eine Auswahl aus dem englischen Original; Haefs stellte nach den Kriterien "Übersetzbarkeit und Verständlichkeit" zusammen, was zusammengehört: Auf der englischen Sprache beruhende Wortspiele (z.B. "die" als Singular von "dice", mit anschließendem Parforceritt durch hehre Bildungsgüter) müssen verständlicherweise draußen bleiben.

Wer Bierce vorwirft, seine lexikalischen Glossen und Satiren seien intolerant und entbehrten jeglichen Bemühens um Objektivität, dem möchte man eine Definition entgegensetzen, die Bierce vergessen haben muss: "Toleranz: Mangel an einer Tugend, den man anderen vorwirft, wenn sie anderer Meinung sind".


Hier ein paar Beispiele aus seinem zynischen Fundus:

Amnestie - Großmut des Staats jenen Übeltätern gegenüber, deren Bestrafung zu kostspielig wäre.

Armee - Unproduktive Klasse, die eine Nation verteidigt, indem sie alles verschlingt, was einen Feind zur Invasion reizen könnte.

Diagnose - Ärztliche Kunst; besteht darin, den Gesundheitszustand der Börse eines Patienten festzustellen, um zu wissen, wie krank man ihn machen darf.

Freiheit - Eines der kostbarsten Güter der Einbildung.

Hass - Gefühl; angebracht, wenn ein anderer sich als überlegen erweist.

Hölle - Residenz toter Lexikographen.

Irrsinn - Jene Gottesgabe, deren schöpferische und beherrschende Kraft den Geist des Menschen inspiriert, seine Handlungen lenkt und sein Leben schmückt.

Katastrophe - Überdeutliche und unmissverständliche Erinnerung daran, dass die Gegebenheiten dieses Lebens sich unserem Eingreifen entziehen. Es gibt zwei Formen von Katastrophen: uns zustoßendes Unheil sowie anderen zustoßendes Glück.

Toleranz - Mangel an einer Tugend, den man anderen vorwirft, wenn sie anderer Meinung sind

Übernatürlich, adj. - Das Wiederauftauchen eines verliehenen Regenschirms.

Uhr - Maschine von hohem moralischen Wert für den Menschen, da sie seine Sorge um die Zukunft beschwichtigt, indem sie ihn daran erinnert, welche Menge Zeit ihm noch bleibt.

Widerlich, adj. - Eigenart fremder Meinungen.

Ambroce Bierces humorvolle Sammlung von unverschämt wahren Worten gehört zur letztgenannten Art, erweist sich als intellektuelle Notwehr gegen die Selbstverdummung - mittels der Lachmuskeln. Jede seiner Definitionen, von denen in diesem Bändchen bloß eine kleine Auswahl vorliegt, ist ein Kunstwerk in sich - ein Aphorismus, ein Apercu, mit der Gemeinplätze, heilige Kühe und gesellschaftliche Manierismen abgeschossen werden wie mit einem Sniper-Gewehr.

Hämischer, sarkastischer und politisch unkorrekter als Ambrose Bierce hat wohl kaum jemand die Welt beschrieben. In gewitzten Stichworten von A wie «Abendland» bis Z wie »Zyniker« erklärt er den Lauf der Dinge, gesehen durch die Brille eines abgebrühten Pessimisten. In dieser Schmuckausgabe mit schwarzem Samtbezug und roter Folienprägung lauern viele Stunden teuflisch guter Unterhaltung.

Jedenfalls findet man hier viele Anregungen für den Fall, dass einem ein intellektueller Smalltalk auf den Nerven herumtrampelt, dass man gern mal wieder mit vorgeblichem eigenen Esprit brillierte, oder dass man nach einer attraktiven Alternative zum Scharade-Spielen sucht.

Literatur:

Des Teufels Wörterbuch
Des Teufels Wörterbuch
von Ambrose Bierce

Aus dem Wörterbuch des Teufels
Aus dem Wörterbuch des Teufels
von Ambrose Bierce

Aus dem Wörterbuch des Teufels
Aus dem Wörterbuch des Teufels
von Ambrose Bierce

Des Teufels Wörterbuch
Des Teufels Wörterbuch (Tb.)
von Ambrose Bierce