Donnerstag, 13. Januar 2022

»Die Räuber« 1782 in Mannheim uraufgeführt

Nationaltheater Mannheim

Am 13. Januar 1782 wurde am Mannheimer Nationaltheater das erste Schauspiel des erst 22-jährigen angehenden Dichters Friedrich Schiller »Die Räuber« uraufgeführt. Im Mittelpunkt des Schauspiels stehen die Ablehnung absolutistischer Macht und der Ruf nach Freiheit.

Eshatten sich 1.200 Zuschauer ins Schauspielhaus von Mannheim gedrängt, um "Die Räuber" zu erleben, das berüchtigte Stück, das sie vom Papier her schon kannten. Die Gesellschaft aus Nah und Fern freute sich auf einen entspannten Theaterabend. »Die Räuber« sollte gespielt werden, ein Stück des noch relativ unbekannten Friedrich Schiller.

Bei Nacht und Nebel hatte sich der Autor des Stückes ohne herzogliche Beurlaubung aus Stuttgart davongestohlen. Nun saß der 22-jährige Regimentsmedikus Johann Christoph Friedrich Schiller unerkannt in der dunklen Parterre-Loge der Mannheimer Nationalbühne. Doch dann geschah Unerhörtes im Theater: Damen gesetzteren Alters schwanden die Sinne, würdevolle Herren sprangen ob des Geschehens auf der Bühne auf und tun lautstark ihren Unmut kund. Dieses Schauspiel auf der Bühne zu erleben war Nichts für schwache Theaterseelen.

Die Räuber

Schillers allzu rebellische "Räuber" waren unerhört: eine dramatische Aufwallung wider die Obrigkeit. Mit biblischer Wucht lässt das Stück Urkonflikte menschlichen Seins aufleben: Kain und Abel, Vatermord, Liebe und Leid, Ehre und Gewissen, Pflicht und Verrat. Es polterte gegen Gottlosigkeit und war dennoch antiklerikal.

Das auführerische Stück zeigt Brandschatzung, Männerbund und Nonnenschändung. Derb und deftig ist die Sprache, tolldreist sind die Räuber in den böhmischen Wäldern, die sich gegen Obrigkeiten auflehnen und sich dennoch einer Autorität beugen: "Führ uns an, Hauptmann!", begehren sie im 2. Akt, "wir folgen dir in den Rachen des Todes."

Die Taten der Räuberbande, deren Hauptmann, Karl ist, führten der Gesellschaft ihre schlimmsten Albträume vor Augen: Brennende Städte, ermordete Frauen und Kinder und sogar vergewaltigte Nonnen! Ungeheheurlich! Da nutzte es auch wenig, dass gegen Ende des Stückes alles wieder so halbwegs in die gewohnten Bahnen der gottgewollten Ordnung zurückkehrte. Viele waren entweder gar nicht mehr im Theater oder einfach noch zu schockiert von dem eben Gesehenen.

»"Die Räuber«, eines der Gründungswerke der »Sturm und Drang«-Zeit, hat auch in den folgenden Jahrhunderten nichts von seiner Sprengkraft verloren. Im Vorfeld der Revolution von 1848 war es Lieblingslektüre vieler nach Freiheit strebender National- und Verfassungsstaatler. Und noch 120 Jahre später zitierten die rebellierenden Studenten die "Armee in [ihrer] Faust".

Literatur:

Die Räuber: Ein Schauspiel
Die Räuber: Ein Schauspiel
von Friedrich Schiller

Montag, 10. Januar 2022

Annette von Droste-Hülshoff 225. Geburtstag

Annette von Droste-Hülshoff

Annette von Droste-Hülshoffs Geburtstag jährt sich am 10. Januar zum 225. Mal. Sie wurde auf Burg Hülshoff bei Münster als Anna Elisabeth Franzisca Adolphina Wilhelmina Ludovica Freiin von Droste zu Hülshoff geboren. Annette von Droste-Hülshoff war eine deutsche Schriftstellerin und Komponistin. Sie gilt als eine der bedeutendsten deutschen Dichterinnen und Lyrikerinnen ihrer Zeit.

Annette von Droste-Hülshoff nahm ihre literarische Arbeit sehr ernst und war sich bewusst, große Kunst zu schaffen. Sie schuf zahlreiche Gedichte und Gedichtzyklen. Ihre Balladen wurden berühmt (»Der Knabe im Moor«), wie auch ihre Novelle »Die Judenbuche«.

Ein wichtiges Dokument tiefer Religiosität ist ihr Gedichtzyklus »Das geistliche Jahr«, in dem aber – typisch für die Zeit – auch die Zerrissenheit des Menschen zwischen aufgeklärtem Bewusstsein und religiöser Suche gestaltet wird. Die Ausführungen in diesem Werk werden heute als autobiographisch erachtet, da sie über 20 Jahre an dem gesamten Zyklus arbeitete.

Bedeutend für ihr literarisches Wirken waren ihre Reisen an den Bodensee, wo sie zunächst zusammen mit der Mutter ihre Schwester Jenny besuchte, die den Freiherrn Joseph von Laßberg geheiratet hatte, der sich mit mittelalterlicher Literatur beschäftigte.

Die Judenbuche

»Die Judenbuche« ist eine 1842 in der Zeitschrift »Morgenblatt für gebildete Leser« erschienene Novelle von Annette von Droste-Hülshoff. Ihr beanntestes Werk »Die Judenbuche«, eine Kriminalnovelle, gehört zur Weltliteratur. Abgründig-bedrohliche Metaphorik, verbunden mit detailgenauen Beobachtungen prägen ihre Gedichte. Der eruptive Ausbruch ihres lyrischen Schaffens stand in enger Beziehung zu der Liebe zu einem jüngeren Mann. Der Höhepunkt dieser Beziehung wird auch als Höhepunkt ihrer Lyrik angesehen.

Annette von Droste-Hülshoff starb schwerkrank im Alter von 51 Jahren am 24. Mai 1848 auf der Burg Meersburg in Meersburg am Bodensee.

Literatur:

Die Judenbuche
Die Judenbuche: Ein Sittengemälde aus dem gebirgichten Westfalen
von Annette von Droste-Hülshoff


Samstag, 25. Dezember 2021

»Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« von Rainer Maria Rilke

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge


Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

»Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge« ist der einzige Roman von Rainer Maria Rilke. Bei dem Künstlerportrait um die Jahrhundertwende handelt es sich um einen Tagebuchroman über die Krise der Existenz und die Krise der Kunst.

Der Roman beschreibt die fiktive Figur des dänischen Poeten, der einem aussterbenden Adelsgeschlecht angehört und als armer Dichter in Paris seinen Weg sucht. Es ist der einzige, den der Lyriker Rilke geschrieben hat, ganz unter dem Eindruck seines Aufenthaltes in der damals drittgrößten Stadt der Welt, sein Roman wurde 1910 veröffentlicht.

Aus dem ländlichen Dänemark kommt der 28-jährige Malte Laurids Brigge in das aufregende Paris der Jahrhundertwende, um dort als Dichter zu leben. Doch die Stadt seiner Träume wird für den empfindsamen jungen Mann zu einem Albtraum: Häßlich und abstoßend findet er sie, laut und schmutzig, lieblos und erdrückend. Die vielfältigen Eindrücke, die auf ihn einprasseln, hält er in seinem Tagebuch fest – und findet so zu einer ganz neuen ästhetischen Wahrnehmung …


Im ersten Teil der fragmentarischen, aus 71 Aufzeichnungen bestehenden Erzählung berichtet der 28jährige Malte als eine Art Tagebuchschreiber von seinen Pariser Erlebnissen und den schockierenden Eindrücken, der Moloch Großstadt steht jedenfalls in krassem Gegensatz zu seiner Kindheit in einer wohlbehüteten ländlichen Welt. Er schildert die Menschenmassen und das unsägliche Elend, das mit der Industrialisierung einhergeht. Verfall, Krankheit und Tod scheinen allgegenwärtig, ständig begegnen ihm nie gesehene Aussätzige, Krüppel, übelste Gerüche verfolgen ihn auf seinen Streifzügen, - in seinem Eckel ist ihm die Bibliothek einzige Zufluchtsstätte im Paris des Fin de Siècle.

Kaum zu glauben, aber hier ist die Rede von Paris, der schillernden Kulturmetropole des Fin de Siècle. Doch in Rilkes Roman ist nichts von ihrem Glanz zu spüren. Vielmehr begegnet einem ein Moloch, ein steinernes Meer der Anonymität – laut, grau, abschreckend. Mittendrin ein junger Däne ohne Geld, Spross eines alten Adelsgeschlechts, der in Paris versucht, sich als Dichter zu finden.

»Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge«, Rilkes Tagebuchroman über die Krise der Existenz und die Krise der Kunst, gilt – noch vor den Werken von Joyce, Proust oder Kafka – als erster großer Roman der literarischen Moderne. Ein tagebuchartiger Text ohne Handlung, ohne Chronologie wird zum Wegbereiter des modernen Erzählens. Mit Rilkes einzigem Roman wird die Identitätskrise zum Gegenstand von Literatur.

Literatur:

Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge
von Rainer Maria Rilke
Weblink:

Rainer Maria Rilke: ″Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge″ | 100 gute Bücher - ein literarisches Jahrhundert-Panorama deutschsprachiger Literatur

Freitag, 24. Dezember 2021

»Weihnachten« von Kurt Tucholsky


So steh ich nun vor deutschen Trümmern
und sing mir still mein Weihnachtslied.
Ich brauch mich nicht mehr drum zu kümmern,
was weit in aller Welt geschieht.
Die ist den andern. Uns die Klage.
Ich summe leis, ich merk es kaum,
die Weise meiner Jugendtage:
O Tannebaum!

Wenn ich so der Knecht Ruprecht wäre
und käm in dies Brimborium
- bei Deutschen fruchtet keine Lehre -
weiß Gott! ich kehrte wieder um.
Das letzte Brotkorn geht zur Neige.
Die Gasse gröhlt. Sie schlagen Schaum.
Ich hing sie gern in deine Zweige,
o Tannebaum!

Ich starre in die Knisterkerzen:
Wer ist an all dem Jammer schuld?
Wer warf uns so in Blut und Schmerzen?
uns Deutsche mir der Lammsgeduld?
Die leiden nicht. Die warten bieder.
Ich träume meinen alten Traum:
Schlag, Volk, den Kastendünkel nieder!
Glaub diesen Burschen nie, nie wieder!
Dann sing du frei die Weihnachtslieder:
O Tannebaum! O Tannebaum

»Weihnachten« von Kurt Tucholsky

Sonntag, 12. Dezember 2021

Madam Bovary von Gustave Flaubert

Madame Bovary

»Madame Bovary: Sitten der Provinz« von Gustave Flaubert ist das Hauptwerk des französischen Realisten Gustave Flaubert. Der Roman handelt von den Sitten in der Provinz und der Zerstörung des bürgerlichen Lebens durch seine Ideale. Der Roman erzählt vom Schicksal einer unglücklich verheirateten, ehebrechischen Frau, die aus den traditionellen Konventionen der Gesellschaft ausbrechen will und aufgrund ihrer Treulosigkeit scheitert.

Madame Bovary: Sitten der Provinz
Madame Bovary: Sitten der Provinz



Die junge, ein wenig verträumte Emma Rouault heiratet den biederen Landarzt Charles Bovary in der Hoffnung auf ein beschauliches Leben. Schon bald aber nimmt ihr die erdrückende Enge dieser Ehe die Luft zum Atmen. Erst flüchtet sie sich in die berauschende Scheinwelt der Literatur, dann gibt sie den Verheißungen nach, findet aber auch in ihren Abenteuern mit wechselnden Liebhabern nicht, was sie sucht. Ihr Leben gerät aus der Bahn. Der Roman führte nach seinem Erscheinen 1856 zum Skandal. Mitreißend und brisant ist er bis heute geblieben. (Flaubert, Gustave 1821 - 1880)

Madame Bovary, verheiratet mit dem Arzt Charles Bovary, bewohnt sie bis an ihr Lebensende die Einöde in Frankreichs Provinz. Sie träumt von dem magischen Ort Paris, ihren ritterlichen Romanhelden und sucht Befriedigung in der Liebe, die ihr ihr Mann nicht geben kann. Sie wird von den Männern viel umworben, sie ist ein Anziehungspunkt und eine Augenweide.

Madame Bovary

Bald beginnt sie Affären mit Léon und Rodolphe. Dabei fühlt sie sich wie beflügelt, frei und dennoch trägt sie Verantwortung für ihren Ruf, ihren Mann und ihr gemeinsames Kind. Letztendlich wird sie von Unmengen an Schulden heimgesucht und gibt sich dem Gift hin, um ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Flauberts Roman erregte viel Aufsehen, da er - so der Untertitel des Buchs - "ein Sittenbild der Provinz" aufweist, einen Maßstab an Moral und Werten, der für die damalige Gesellschaft maßgebend war und eingehalten werden musste, wenn man nicht verstoßen werden wollte. Doch Emma Bovary durchbricht diese Regeln, sie schafft ihr eigenes Leben, um vollauf befriedigt zu werden, um der Gesellschaft zu trotzen, um sich den eigenen Freuden hinzugeben.


»Madame Bovary« ist eine Revolution, ein klassisches Werk, das dennoch in der heutigen Zeit stets aktuell ist und die unermüdlichen Bedürfnisse der Menschheit wiederspiegelt, die, unter gegebenen Umständen zu Problemen führen und letztendlich ins Verderben.



Die Geschichte vom unglücklichen Schicksal der Emma Bovary löste Mitte des 19. Jahrhunderts einen Sturm aus. Flaubert hatte die zeitgenössische Bourgeoisie mitten ins Herz getroffen und eine der großartigsten Figuren der Weltliteratur geschaffen.

Sein Roman »Madame Bovary«‹ löste bei seinem Erscheinen 1857 einen literarischen Skandal aus, in dessen Folge Flaubert vor Gericht erscheinen musste. Der einzige Kontakt zur Außenwelt war ein reger Briefwechsel mit seiner Geliebten Louise Colet und zahlreichen Schriftstellerkollegen wie z.B. Ivan Turgenjew.

Dem Romancier Gustave Flaubert ist der eigentliche Durchbruch zum Realismus dem mit seinem Roman »Madame Bovary«, einer Alltagsgeschichte der Desillusionierung einer an romantischen Idealen orientierten Ehefrau in der Provinz, welche im Ehebruch und Selbstmord endet, im Jahre 1857 gelungen.


»Das neunzehnte Jahrhundert glänzt mit dem französischen Roman, wie das sechzehnte von italienischen Bildern und Palästen strahlt.Von 1850 bis 1880 sitzt Flaubert auf dem Lande, oft monatelang ohne Menschen, und schreibt seine sechs Bücher. Hier vollzieht sich die letzte Anstrengung, die repräsentative Kunstgattung der Zeit auf ihren Gipfel zu führen.«

Beginn von Heinrich Manns Essay aus dem Jahre 1905: »Gustave Flaubert und George Sand«; zitiert nach: Heinrich Mann: »Geist und Tat«, dtv 100, München 1963; S. 74

Für Maupassant, Zola, Proust, Heinrich Mann und andere wurde »Madame Bovary« zum absoluten Maßstab des eigenen Schaffens, für alle Späteren - auch für Kritiker wie Sartre - zu einem Bezugspunkt, an dem die Entwicklung des modernen Romans gemessen werden kann.

Als diese lang erwartet Neuübersetzung von »Madame Bovary« erschien, dem Hauptwerk des französischen Realisten Gustave Flaubert, bescheinigte ihr die Kritik, die »beste, die am meisten Flaubertsche« zu sein.

Weltliteratur, die man gelesen haben sollte:

Madame Bovary: Sitten der Provinz
Madame Bovary: Sitten der Provinz
von Gustave Flaubert



Freitag, 10. Dezember 2021

Hermann Hesse erhält für sein Gesamtwerk den Nobelpreis für Literatur


Hermann Hesse


Hermann Hesse wurde am 2. Juli 1877 als Sohn eines baltischen Missionars und Indologen im württembergischen Calw geboren. Hermann Hesse war ein bedeutender deutsch-schweizerischer Lyriker, Essayist, Erzähler und Kritiker des 20. Jahrhunderts. Er ist einer der bekanntesten deutschen Autoren des 20. Jahrhunderts.


Hermann Hesse wurde vor 75 Jahren am 10. Dezember 1946 der Nobelpreis für Literatur für sein Gesamtwerk verliehen.

Das Glasperlenspiel

Zu seinen bekanntesten Werken gehören »Peter Camenzind« (1903), »Unterm Rad« (1906), »Siddhartha« (1922), »Der Steppenwolf« (1927), »Das Glasperlenspiel« (1943).

Der Steppenwolf

Alle Werke Hesses sind sehr stark autobiografisch geprägt und schildern die Stationen, Episoden und Brüche
seines wechselvollen Lebens. Besonders offensichtlich ist sie in seinem Roman»Der Steppenwolf«, der geradezu exemplarisch für den "Roman der Lebenskrise" stehen kann.



Hermann Hesse gilt als deutschsprachiger Literat und Autor von Weltruf.

Sein Werk wird bestimmt von dem Gegensatz Geist und Leben und unterliegt in seinen späteren Werken starken Einflüssen durch die indische Philosophie. Seine stark autobiografisch geprägeten
Romanwerke beschreiben den Menschen im existenziellen Konflikt mit seiner Umwelt und einer Kultur im Umbruch.


Der Literatur-Nobelpreisträger des Jahres 1946 ist heute im Ausland der meist gelesene Autor deutscher Sprache des 20. Jahrhunderts, sein literarisches Werk findet ungebrochen Verbreitung auf der ganzen Welt.


Weblinks:

Hermann Hesse-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de

Hermann Hesse-Zitate - Zitate-Portal - www.die-zitate.de


Hermann Hesse-Blog:

Hermann Hesse-Blog - hermann-hesse-literatur.blogspot.de

Dienstag, 7. Dezember 2021

»Kassandra« von Christa Wolf


In dem Roman Kassandra greift Christa Wolf auf einen Mythos des abendländischen Patriarchats zurück, den Trojanischen Krieg. Während Kassandra, die Seherin, auf dem Beutewagen des Agamemnon sitzt, überdenkt sie noch einmal ihr Leben. Mit ihrem Ringen um Autonomie legt sie Zeugnis ab von weiblicher Erfahrung in der Geschichte.

Die trojanische Königstochter Kassandra ist eine Außenseiterin in einem Staat, der sich zu Beginn des Trojanischen Krieges in ein Patriarchat verwandelt, in dem die Frauen nichts mehr zu sagen haben, sondern von den Männern wie Objekte behandelt werden. Unmittelbar vor ihrem Tod erinnert Kassandra sich an die Geschehnisse, schildert sie aus ihrer Perspektive und denkt über ihre Entscheidungen nach.


Kassandra
Kassandra


Der Roman „Kassandra“ von Christa Wolf besteht aus nichts anderem als dem gewaltigen Inneren Monolog einer Intellektuellen, die in einer Männergesellschaft für ihre Eigenständigkeit kämpft und lieber stirbt, als sich fremden Regeln zu unterwerfen. Kassandra weiß aber auch – nicht zuletzt aufgrund des Scheiterns der Amazonenkönigin Penthesilea – dass es falsch wäre, ins andere Extrem zu verfallen und eine Gesellschaft ohne Männer anzustreben. Aus diesem Grund geht Kassandra nicht in der Solidargemeinschaft der Frauen auf, die sich in die Höhlen am Ufer des Skamandros in den Ida-Bergen zurückgezogen haben.


Diese Frauengestalt der Zeitwende vom Matriarchat zum Patriarchat […] zeichnet sich durch die Modernität ihres Bewusstseins aus, die immer wieder Parallelen zur heutigen Frauen- und Friedensbewegung ermöglicht. Seherin zu werden heißt für Kassandra nicht nur, den einzigen für Frauen damals denkbaren Beruf zu ergreifen, sondern stellt auch den Versuch dar, sich dem Zwang, von Männern zum Objekt gemacht zu werden, zu entziehen. Ihr „Ringen um Autonomie“ lässt sie mit der mörderischen Logik von Töten und Sterben in der Vatergesellschaft brechen […] Die Einsicht in die Notwendigkeit einer Überwindung des „hierarchisch-männlichen Realitätsprinzips“ ist Kassandras utopisches Vermächtnis […](Harenbergs Lexikon der Weltliteratur, Dortmund 1989, Band 3, Seite


Als »Kassandra« 1983 erschien, traf Christa Wolf den Nerv der Zeit in der damals heftig frauen- und friedensbewegten Gesellschaft der Bundesrepublik. Angesichts der atomaren Bedrohung und des Wettrüstens zwischen den Großmächten machte sich in Deutschland eine geradezu apokalyptische Stimmung breit.

Literatur:

Kassandra
Kassandra
von Christa Wolf