Samstag, 18. April 2020

»Die große Reise« von Jorge Semprún

Die große Reise

In dem frühen Buch "Die große Reise" (1964) - französisch "Le Grand Voyage" - das die Geschichte seiner Deportation wiedergibt, schildert Jorge Semprun seine persönlichen Erlebnisse aus dem Jahr 1944, die er 16 Jahre danach niedergeschrieben hat.

Jorge Semprún greift in seinem Erinnerungsbuch bereits das Thema auf, das sein weiteres Werk bestimmen wird: die Erinnerung an seine Teilnahme am Widerstand gegen Faschismus und Stalinismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts. In dem Roman hat er bereits zu seinem Stil gefunden, der von Rückblenden, Überblendungen und Assoziationen geprägt ist.

Das Buch über die Geschichte seiner Deportation berichtet von der vier Tage und fünf Nächte dauernden Fahrt gefangener Widerstandskämpfer in einem überfüllten Viehwaggon. 120 Männer drängen sich in diesem Wagen, ohne Essen und Trinken, mit kaum ausreichender Luftversorgung. Die Fahrt in einem schneidend kalten Winter geht von Compiègne in das Konzentrationslager Buchenwald. Im Lauf des Buchs wird der Autor anmerken, dass die Deutschen in die gleichen Waggons 200 Juden pferchten. Der Bericht endet mit dem Erreichen des Lagers.

Der Autor ist 20, als er diese Reise antreten muss; Semprúns engster Gefährte während der »Reise« ist ein ein 16-Jähriger, der nur der »Junge aus Semur« genannt wird. Schon auf den ersten Seiten setzen die Rückblenden ein aus verschiedenen Perspektiven, einmal aus der des eingepferchten jungen Mannes, bald schon aus der des Schreibers.

Nach und nach erfährt der Leser aus dem Vor- und Zurückschweifen der Gedanken die Geschichte der Widerstandsgruppe, ihrer Zerschlagung und Festnahme. Am Ende des Buchs erfährt der Leser vom überraschenden Tod des Jungen; ebenfalls deutet der Erzähler bereits das Grauen des Lagers an.

Beginnend mit "Die große Reise" (1964), das die Geschichte von Semprúns Deportation wiedergibt, kreist das gesamte Werk des polyglotten Autors um die eigene Erinnerung, Episoden seines Lebens wiederholen sich als Bausteine seiner Erzählungen.

Das Erinnern schmerzte ihn, doch ebenso sehr fürchtete er das Vergessen: "In meinem Kopf lebt der wichtigste Geruch eines Konzentrationslagers" - der nach verbranntem menschlichem Fleisch. "Ich kann ihn nicht erklären. Und er wird mit mir verschwinden."

Die Sprache des Berichts ist nüchtern und kühl, manchmal schneidend kalt. Häufige Wiederholungen geben ihr ein insistierendes Drängen. Semprúns Erzählweise wird gern mit der Schnitttechnik eines Spielfilms verglichen.

In seinem Buch "Die große Reise" umfasst die eigentliche Erzählzeit den fünftägigen Eisenbahntransport ins Konzentrationslager Buchenwald im Januar 1944. Eingeschoben sind zahlreiche Erinnerungen, Überlegungen und Fantasien, die 1936 einsetzen und vor allem die Zeit des Widerstands ab 1940 umfassen.

Literatur:

Die große Reise
»Die große Reise«
von Jorge Semprún

Schriftstellerei und die Nähe zum Zeitgeschehen

Joseph Roth Ernst Jünger

Die meisten Autoren waren und sind gezwungen, ihrer Zeit hinterher zu schreiben. Die großen Romane zu wichtigen historischen Ereignissen und Prozessen werden selten unmittelbar in der Zeit geschrieben, in denen diese Umwälzungen anfangen, anlaufen, sich entfalten, sondern erst aus einer zeitlichen Distanz heraus zu einem späteren Zeitpunkt.

Radetzkymarsch

In Joseph Roths Meisterwerken »Hiob« und »Radetzkymarsch« schilderte er die untergehenden Welten des Ostjudentums und der Habsburger Monarchie: Welten, die er kritisiert und verlassen hatte – und denen er doch als verlorener Heimat nachtrauerte.

Es gab und gibt natürlich immer Ausnahmen, bsp. Lion Feuchtwanger, dem es gelang, manche seiner Bücher sehr nah zu den Ereignissen, die in ihnen beschrieben werden, zu schreiben und herauszubringen.

Frontstellung im Ersten Weltkrieg

Vor allem der Erste Weltkrieg erwischte die europäischen Schriftsteller, trotz aller Vorahnungen und Warnungen, mit voller Wucht. Die Saat des Krieges unter Stahlgewittern: Remarques berühmter Anti-Kriegsroman »Im Westen nichts Neues« erschien erst 1929, „Der Streit um den Sergeanten Grischa“ von Arnold Zweig erschien 1927. Am nächsten an der Wahrnehmung des Krieges war noch Ernst Jünger mit seinen furchtbaren »Stahlgewittern« (1920).

Auch in der restlichen europäischen Literatur war das ähnlich: »Reise ans Ende der Nacht« von Celiné erschien 1932, Hemingways »In einem anderen Land« 1929. Jaroslav Hašeks „Schwejk“, unvollendet geblieben, schrieb er erst nach dem Ersten Weltkreig in den Jahren 1920 bis 1923.

Aber nicht nur der Krieg selbst, auch seine Ankündigung, das in der Luft liegen eines neuen Zeitalters, ist in vielen Romanen der Epoche erst mit der Zeit eingeflossen, aufgearbeitet worden.

Literatur:

Novalis
Die Abenteuer des guten Soldaten Švejk im Weltkrieg
von Jaroslav Hašek

In Stahlgewittern
In Stahlgewittern
von Ernst Jünger

Radetzkymarsch
Radetzkymarsch
von Joseph Roth

Weblinks:

Ernst Jünger

Joseph Roth

Mittwoch, 15. April 2020

»Er ist's« von Eduard Mörike






Frühling lässt sein blaues Band
Wieder flattern durch die Lüfte;
Süße, wohlbekannte Düfte
Streifen ahnungsvoll das Land.
Veilchen träumen schon,
Wollen balde kommen.
Horch, von fern ein leiser Harfenton!
Frühling, ja du bist's!
Dich hab' ich vernommen!


»Er ist's« von Eduard Mörike (1828)



Frühlingsbücher, das man gelesen haben sollte:



Frühling: Ein Poesiealbum

von Günter Berg

Frühlingsgedichte
Frühlingsgedichte

von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell

Dienstag, 14. April 2020

Jean de la Fontaine 325. Todestag



Jean de la Fontaine starb vor 325 Jahren am 14. April 1695 in Paris.

Jean de la Fontaine war ein französischer Dichter und Erzähler. Der Schriftsteller gilt als der bedeutendste Verskünstler der französischen Klassik. Tierbeschreibungen, Naturschilderungen und satirische Gesellschaftsdarstellung sind die Themen seiner in zwölf Büchern zusammengefassten Fabeln.

Jean de La Fontaine fasste seine Fabeln und auch weitere im 17. Jahrhundert in Versform. Im Barock, also vom Ende des 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, erfreute sich diese Literaturgattung sonst keiner großen Beliebtheit: Sie entsprach in ihrer Schlichtheit nicht dem Zeitgeschmack, anders als in der Epoche der Aufklärung.

Mit Fabeln wie »Der Rabe und der Fuchs«, »Stadtratte und Landratte« oder »Der Hahn und der Fuchs« wurde Jean de La Fontaine berühmt. Die Motive aus der Antike und dem Orient haben dem Dichter geholfen, mit netten Tiergeschichten die feine Gesellschaft von Frankreich auf sehr feinsinnige Art zu kritisieren.

Jean de la Fontaine wurde am 8. Juli 1621 in Chateau-Thierry in der Champagne geboren.

Samstag, 11. April 2020

»Die Pest« von Albert Camus










Albert Camus

»Die Pest« ist ein im Juni 1947 entstandener Roman von Albert Camus mit existenzialistischen Bezügen. Albert Camus‘ erfolgreichster Roman «Die Pest», 1947 in Frankreich erschienen, gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. Der Roman wurde zumeist als politische Allegorie oder als existentialistische Parabel gelesen.

Camus sagte einmal über dieses Werk: "Die Pest, was ist das schon? Die Pest, das ist das Leben." Auch war die Pest für ihn ein Symbol für die "Verseuchung" Frankreichs durch den Nationalsozialismus.

Die Absurdität des Lebens selbst, des Lebens insgesamt war sein großes Thema, die "Schieflage", in welche der Mensch zum Leben geraten ist, der die Welt nicht (mehr) als Heimat empfinden kann.

Albert Camus seziert hellsichtig das menschliche Handeln im Angesicht der Katastrophe: Die algerische Stadt Oran wird von einer rätselhaften Erscheinung heimgesucht. Die Ratten kommen aus den Kanälen und verenden auf den Straßen. Kurze Zeit später sterben die ersten Menschen an einem heimtückischen Fieber. Schließlich erkennt man: Die Pest wütet in der Stadt. Erst nach einem scheinbar endlosen Jahr verschwindet die Seuche, und die Überlebenden feiern ihre Erlösung.

Die Begegnung mit Seuchen berührt die Urängste vor dem Unsichtbaren, Unreinen, Unheimlichen. Macht den Infizierten potenziell auch zum Aussätzigen.

In dieser Situation ist Albert Camus’ Roman »Die Pest« das Buch der Stunde. Der Roman erzählt, wie eine Stadt abgeschottet und unter Quarantäne gestellt wird und eine Seuche die Welt einer Stadt auf den Kopf stellt. Für den französischen Nobelpreisträger war die 1947 geschriebene Roman »Die Pest«, eine Allegorie auch der Zivilisationsbrüche der Moderne. Der „Schwarze Tod“ kommt als Virus zugleich von innen, aus den Einzelnen und der Gesellschaft. Er tritt auf „zum Unglück und zur Belehrung der Menschen“, denn er stellt ihre Mitmenschlichkeit auf die Probe.

»Eine Seuche ist kein Ding, das nach dem Maß des Menschen gemacht ist, darum sagen wir uns, die Seuche sei ...«

Camus zeigt dabei ohne apokalyptischen Grusel und voll nüchterner Rationalität, dass neben der Medizin weniger die gegenseitige Abschottung als vielmehr die gesellschaftliche Solidarität ein Mittel des Widerstands ist. Gegen Viren und Wirren, gegen sichtbare oder noch verborgene Schrecken. Das klingt hellsichtig, auch für heute.


In dem Roman verbreitet sich die Seuche im zeitlichen Ablauf in
mehreren Wellen über die Stadt, die von den Jahreszeiten abhängig sind.

Der „Schwarze Tod“ kommt als Virus zugleich von innen, aus den Einzelnen und der Gesellschaft. Er tritt auf „zum Unglück und zur Belehrung der Menschen“, denn er stellt ihre Mitmenschlichkeit auf die Probe.


Durch Rieux, dem Arzt und Hauptfigur im Roman, entdeckte Camus während der Erstellung des Romans eine neue Art des Humanismus, die Solidarität. Camus spannt den inhaltlichen Bogen vom Absurden über die Revolte bis hin zum Humanismus. Solidarität, Zusammenarbeit und eigenständiges Handeln sieht Camus in seiner Philosophie als höchste menschliche Werte.

Gabriel García über »Die Pest«

«Camus irrt sich nicht in seinem Roman. Das Drama sind nicht die, die durch die Hintertür zum Friedhof entwischen – und für die die Angst vor der Pest endlich vorbei war –, sondern die Lebenden, die in ihren stickigen Schlafzimmern Blut schwitzten, ohne der belagerten Stadt entfliehen zu können.»


Liteatur:

Die Pest


Die Pest von Albert Camus

Samstag, 4. April 2020

»Nacht mit Hamlet« von Vladimír Holan

»Nacht mit Hamlet«
»Nacht mit Hamlet«

»Nacht mit Hamlet« (»Noc s Hamletem«) ist ein 1969 entstandenes Werk des tschechoslowakischen Schriftstellers und Dichters Vladimír Holan.

"Huldigung an Shakespeare" nannte der "große alte Mann" der tschechischen Lyrik sein metaphysisch- esoterisches Hauptwerk. Die Zeilen "Kunst ist Klage/Etwas für manchen/Nichts für alle ..." könnten als Motto über diesem nächtlichen Dialog mit der zeitlosen Gestalt Shakespeares stehen.


»Sein Versepos 'Nacht mit Hamlet' ist in der Phase des tschechischen Poststalinismus entstanden und setzt sich im Gewand eines Dialogs des Dichters mit dem Dänen-Prinzen aus dem Shakespeare-Drama mit den Themen Macht, Verrat und Enttäuschung auseinander. Über seine eigene Position in dieser Konstellation läßt Holan keinen Zweifel aufkommen: 'Kunst als werk, damit du nicht hoffärtig wirst./Ich sage dir, kunst ist klage.'«

 Hans-Peter Riese, FAZ, Juni 2006


Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurde Vladimír Holan von den Kommunisten mit Publikationsverbot belegt. Seine große Enttäuschung schrieb er im Jahr 1969 in seinem Werk »Nacht mit Hamlet« nieder.


Literatur:

»Nacht mit Hamlet«
»Nacht mit Hamlet«
von Vladimír Holan

Dienstag, 31. März 2020

Vladimír Holan 40. Todestag

Vladimír Holan

Vladimír Holan starb vor 40 Jahren am 31. März 1980 in seiner Heimatstadt Prag. Der tschechoslowakische Schriftsteller und Dichter gilt als der "große alte Mann" der tschechischen Lyrik. Holan war einer der bedeutendsten tschechischen Lyriker des 20. Jahrhunderts.

Der Prager Dichter Vladimír Holan (1905-1980) hat bei den Tschechen den Status eines Kultautors. Noch heute findet man seine Gedichte als Graffiti auf den Mauern von Prag. Jaroslav Seifert nannte Holan „den Größten unter uns“, Václav Havel einen „großen poetischen Zauberer“. Die F.A.Z. urteilte: „Kein anderer Lyriker ... hat so musikalische Gedichte geschrieben wie Vladimír Holan.“ Holan ließ sich denn auch gern durch Musik inspirieren, seine Lieblingskomponisten waren Mozart und Janáček. Mozarts „Adagio h-moll“ hat ihn sogar unmittelbar zu einer lyrischen Phantasie angeregt, die als Melodram aufgeführt wird.

Seine dichterische Laufbahn im Zeichen der böhmischen Avantgardeströmung begann für Holan 1926. Die gesammelten Werke seiner Schaffenszeit umfassen vierzehn Bände, die auch in deutscher Sprache herausgegeben werden.

Seine hermetischen Gedichte der dreißiger Jahre brachten seine eigene, unverwechselbare Poetik zur Entfaltung und Holan gehörte damit zu den bedeutenden Vertretern des Poetismus. In der Zeit der Okkupation seines Landes wurde er zum Ankläger des Nationalismus und nach der Befreiung ein begeisterter Anhänger der Sowjetunion.

Holan erlitt das Schicksal vieler Schriftsteller nach der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1948: Anpassung, Konflikt mit der Partei, Publikationsverbot, Ausschluß aus der Partei.

Er wurde trotzdem von den Kommunisten mit Publikationsverbot belegt. Seine große Enttäuschung schrieb er in seinem Werk »Nacht mit Hamlet« nieder. Nach dem Prager Frühling wurden die Werke Holans auch international bekannt und wurden in mehrere Sprachen übersetzt.

Holans politische Lyrik macht nur einen Bruchteil seines Gesamtwerks aus, doch gerade dieser kann vielleicht am eindeutigsten zwischen der Symbolwelt holanscher Gedichte und der Realität vermitteln.

Vladimír Holan wurde am 16. September 1905 in Prag geboren.

Blog-Artikel:

»Nacht mit Hamlet« von Vladimír Holan - Literatenwelt


Literatur:

Gesammelte Werke / Lyrik VII: 1966-1967
Gesammelte Werke / Lyrik VII: 1966-1967
von Vladimír Holan


»Nacht mit Hamlet«
»Nacht mit Hamlet«
von Vladimír Holan


Werke in deutscher Übersetzung:

  • Nacht mit Hamlet. Übertragen von Reiner Kunze. Merlin, Gifkendorf 1969
    Rückkehr. Ausgewählte Gedichte. Wilhelm Schmitz, Wettenberg-Launsbach 1980
  • Die Kiefer. Herbst 3. Zwei Gedichte, in Bernhard Setzwein, Edith Ecker, Hgg.: Tschechische Gegenwartsliteratur. Heft 27–28 von Passauer Pegasus. Zeitschrift für Literatur. 14. Jg. Karl Krieg, Passau 1996 ISSN 0724-0708 S. 63f., Übers. Christa Rothmeier
  • Gesammelte Werke in 14 Bänden, Mutabene, Köln 2003; Wieder bzw. Fortsetzung bei Carl Winter Universitätsverlag, Heidelberg ab 2009