Mittwoch, 25. März 2020

Walt Whitman und das Verständnis seiner Dichtkunst

Walt Whitman

Walt Whitman gilt als einer der Begründer der modernen amerikanischen Dichtung und daher als einer der einflussreichsten amerikanischen Lyriker des 19. Jahrhunderts. Er arbeitete als Dorfschullehrer, Zimmermann, Schriftsetzer, Drucker, Journalist, Häusermakler, Sekretär im Innenministerium und freiwilliger Lazaretthelfer während des Sezessionskriegs. Er gilt als Begründer der modernen amerikanischen Dichtung. Sein berühmtestes Werk ist sein Lebenswerk »Leaves of Grass« (»Grashalme«). Der merikanische Dichter Walt Whitman wird seit 1855 für seine »Grashalme«, sein lyrisches Hauptwerk, gefeiert.

Walt Whitman ist ein Vertreter der naturnahen Lyrik. Seine Lyrik ist sehr volksverbunden und macht die Bedeutung der Masse, der Demokratie und der Natur deutlich und verherrlicht diese. In Gedichten wie »Gesang von mir selbst« wird eine Verherrlichung des Ichs als seelisch-sinnliche Ganzheit deutlich, die den demokratischen Mensch verkörpert. Andererseits ist er Dichtern wie Shakespeare, Macpherson, Homer, der Bibelsprache und orientalischer Literatur und Philosophie verpflichtet.


"Ein schönes Werk von innen heraus zu bilden, es zu sättigen mit unseren eigensten Kräften,
dazu bedarf's vor allem Ruhe und einer Existenz, die uns erlaubt, die Stimmung abzuwarten."

Eduard Mörike (1804-1875)

Für Walt Whitman (1819-1892) ist sein Amerika das Reich der Zukunft, der nicht fertigen, aber zusammenwachsenden Volksgemeinschaft. Als wenn er vom Goethe-Wort bestärkt werde, "Amerika, Du hast es besser" ist es dennoch der Blick auf Zukunft nicht allein, denn auch Whitman setzt auf Traditionen. Und zwar auf die ureigenen des Menschen: die Natur und das Selbst. So wie Blaise Pascal die Ungereimtheit des Menschen als ernsten Anlass zur Demütigung sah, so bekannte er doch, dass eben das Verhältnis des Menschen zur Natur wichtig sei und noch wichtiger sei zu erkennen, in welchem Verhältnis der Mensch zur Natur stehe (vgl. Pensées, 313).

Whitman, inspiriert von den Schriften Ralph W. Emerson (1803-1882), bekennt sich zu diesen zwei großen Festen: das Ich und das Selbst in der Natur. "Ich singe das Selbst, den Einzelmenschen", so der erste Vers dieser zerbrechlichen Grashalme, dem folgend "Das Leben, unermesslich in Leidenschaft, Puls und Kraft, [...] Ich singe den modernen Menschen." Whitman steht für Aufbruch, steht für Gemeinsamkeit ("Ich höre Amerika singen, die vielerlei Lieder höre ich") aller Völker in einem Schmelztiegel, aller Berufe in einem Land, aller gebunden zu einem "kraftvollen Rundgesang".

Grasblätter Gesamtausgabe
Grasblätter Gesamtausgabe

Auf die Zukunft hin gerichtet, "Nicht das Heute kann zeugen für mich, noch Antwort geben, wozu ich da bin, [...] Ihr aber, [...] Erhebt euch! Denn ihr müsst zeugen für mich." Und diesen Lesern, Hörern widmet er all seine Gesänge. Und doch ist es ein Gesang von ihm selbst (Gesang von mir selbst). "Ich feiere mich selbst und singe mich selbst" aber er ist nur Vorbild für einen kraftvollen Individualismus, wie ihn Amerika seitdem predigt. "Und was ich mir anmaße, sollst du dir anmaßen, [...] Natur ohne Zwang mit ursprünglicher Kraft". "Niemals war mehr Anfang als jetzt, Nie mehr Jugend und Alter als jetzt, [...] Immer der zeugende Drang der Welt. [...] Immer ein weben von Identität, ein Sich-Sondern,"

Wenn, wie Harold Bloom den Grund fürs Lesen ausmachte, das Lesen der Stärkung des Selbst dient, dann ist Whitman ein unverzichtbarer Dichter. Er verkörpert neben Emerson und Emily Dickinson die amerikanische Religion des uneingeschränkten Selbstvertrauen. Emersons Leitsatz: "Suche Dich nicht außerhalb Deiner selbst", heißt nicht mehr, als sich selbst zu trauen. Whitmans "Gesang von mir selbst" ist die perfekte Traute, das eigene Ich in die Welt zu setzen. Whitmans Gesänge sind somit zum Mit-Hören und Mit-Wissen, sie sind um zu erkennen, wie das Ich wirkt in dieser Welt. Die englische Sprache gebiert es dreifach: Me, myself and I und bei Whitman spürt man das "wirkliche Ich", "Ich selbst" und die Seele. "Ich glaube an dich, meine Seele; mein anderes Teil soll sich nicht erniedern vor dir, Noch du dich vor ihm".

Ein italienischer Philosoph des späten 17. Jh., Giambattista Vico, konstatierte, wir können nur erkennen, was wir selbst gemacht haben. Whitman redet gern vom Selbst und vom Ich, da scheint er sich auszukennen; seine Seele scheint noch ein Rätsel, wie es auch die amerikanische Seele an sich ist, die vielleicht sich nur dort entfaltet, wo der Mensch allein ist. Und dort wird auch Whitman stark, der seine Seele als Element der Natur besingt: "Könnt ich nicht jetzt und immerdar aus mir selber den Sonnenaufgang entsenden, [...] Wir fanden uns selber, o meine Seele, in der Stille und Kühle der Morgendämmerung". Hier bewegt Whitman sein Innerstes, sein Ich und Selbst vereint mit der Seele im Wir.

"Was ist Gras?" fragt ein Kind und Whitman findet keine Antwort, er weiß nicht mehr als ein Kind. Aus dieser Frage entstehen wunderbare Assoziationsreihen, die das Gras als frisches Grün zum "hoffnungsgrünen Stoff" machen und Whitman sich anlehnt an die Emersonsche Neuheit, den transzendentalen Zustrom von frischer spiritueller Energie, für Whitman all dieses im Wir, in der symbolischen Umarmung des vermuteten Selbst in mir mit der unbekannten Seele. "Grashalme", ein Tagwerk der Sterne, zu deuten als die Kürze eines individuellen Lebens, mit dem Bild aus Jesaja (Js 40,1-10) und Petrus (1Petr 1,24-25), dass alles Fleisch wie Gras ist, verletzend kurz in seinem Bestand. Diese Worte jedoch sind ewig, ist die a priori Unterstellung von Whitman gegenüber seinem Werk in biblischer Analogie (LK 21,33).

Eine Welt, die immer amerikanischer wird, muss auch Whitman lesen, nicht um Amerika, sondern um Veränderung zu verstehen. Wenn Whitman noch auf die ungelösten Rätsel des amerikanischen Bewusstseins hinweist, dann muss man seinen Ausgangspunkt nochmals finden, so wie Obama sich an den Ausgangspunkt begab in seiner Antrittsrede, den Anfangspunkt der Gründungsväter Amerikas und insbesondere sich an Thomas Paines Common Sence erinnerte. Schopenhauer begründet so: "Der philosophische Schriftsteller ist der Führer und sein Leser der Wanderer. Sollen sie zusammen ankommen, so müssen sie [...] zusammen ausgehen: von einem Standpunkt, [...] der des uns Allen gemeinsamen, empirischen Bewußtseyns"; in: P&P II, Kap I, §5.

Hesse schrieb im Jahre 1904: Der Verfasser der Grashalme ist nicht der literarisch begabteste, aber der menschlich größte von allen amerikanischen Dichtern. Und er hing nicht am europäischen Trödel (vgl Goethe) sondern mit allen Wurzeln auf amerikanischem Boden. Auf diesem erkennt er die ungeheuren Kräfte der Gegenwart und eine unermessliche, lachende Zukunft.

Mittwoch, 18. März 2020

Über die Möglichkeit einer Seuche in »Die Pest« von Albert Camus

Albert Camus


Albert Camus hat in seinem Klassiker »Die Pest« bereits 1947 einen Apokalyptiker und seine Transformation zum Amoktäter beeindruckend charakterisiert.

Die Begegnung mit Seuchen berührt die Urängste vor dem Unsichtbaren, Unreinen, Unheimlichen. Macht den Infizierten potenziell auch zum Aussätzigen. In dieser Situation ist Albert Camus’ Roman »Die Pest« das Buch der Stunde. Für den französischen Nobelpreisträger war die 1947 geschriebene »Pest«, in der eine Stadt des 20. Jahrhunderts abgeschottet und unter Quarantäne gestellt wird, eine Allegorie auch der Zivilisationsbrüche der Moderne. Der „Schwarze Tod“ kommt als Virus zugleich von innen, aus den Einzelnen und der Gesellschaft. Er tritt auf „zum Unglück und zur Belehrung der Menschen“, denn er stellt ihre Mitmenschlichkeit auf die Probe.

Camus zeigt dabei ohne apokalyptischen Grusel und voll nüchterner Rationalität, dass neben der Medizin weniger die gegenseitige Abschottung als vielmehr die gesellschaftliche Solidarität ein Mittel des Widerstands ist. Gegen Viren und Wirren, gegen sichtbare oder noch verborgene Schrecken. Das klingt hellsichtig, auch für heute.

In der nordafrikanischen Stadt Oran, einer französischen Präfektur an der Küste Algeriens, bricht eine Seuche aus, nachdem tote Ratten überall in der Stadt herumlagen. Die sich unerbittlich ausbreitende Epidemie bestimmt das Leben in der Stadt und verändert es.

Die Pest wütet in der Stadt, die ganze Stadt liegt im Fieber. Oran wird hermetisch abgeriegelt und über die Stadt wird eine Quarantäne verhängt. Ein Entkommen ist nicht möglich. Albert Camus' erfolgreichster Roman gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. In ihm seziert er hellsichtig das menschliche Handeln im Angesicht der Katastrophe.

»Man stelle sich das Entsetzen in unserer kleinen Stadt vor, die bis jetzt so ruhig gelebt hatte und nun in wenigen Tagen völlig aufgewühlt wurde, einem gesunden Menschen, dessen dickes Blut jetzt in Aufruhr gerät.«

Zunächst begegnet dem Berichterstatter aus Camus’ Roman die Figur des Cottard als ein depressiver Rentner, der gerade versucht hat, sich aufzuhängen, ein zurückgezogener, offenbar misanthropischer Einzelgänger und Sonderling. Die ausgebrochene Pest beginnt ihn zu interessieren:

"Die Leute reden von einer Seuche. Stimmt das, Herr Doktor?"
"Die Leute reden immer. Das ist so ihre Art", antwortete Rieux.
"Da haben Sie recht. Und wenn wir ein Dutzend Tote haben, wird
das als das Weltende betrachtet. Nein, das ist nicht, was wir brauchen."
(…)
"Was brauchen wir denn?", fragt der Arzt und lächelte zurück.
Da umklammerte Cottard auf einmal den Wagenschlag, und er schrie
mit tränenerstickter, wuterfüllter Stimm: "Ein Erdbeben. Ein richtiges!"

Die Pest
Die Pest

Mit dem Fortschreiten der Pestepidemie blüht er auf, wird
freundlich und sucht Kontakte. Alle sitzen in einem Boot. Er glaubt, da
er bereits mit seiner psychischen Krankheit hinreichend belastet ist,
könne ihn die Pest nicht ereilen, da man Krankheiten nicht anhäufen
könne. "Alles in allem bekommt die Pest ihm gut. Aus einem Menschen, der
wider willen einsam war, macht sie einen Spießgesellen. Denn er ist
offensichtlich ein Spießgeselle, und zwar ein Spießgeselle, der sich
ergötzt."

Mit dem Abklingen der Pestepidemie holen Niedergeschlagenheit und
schlechte Laune Cottard wieder ein. Er kehrt zurück in seine Einsamkeit,
seine Isolation, bricht seine sozialen Kontakte ab. Als die Quarantäne
aufgehoben wird und die befreiten Menschen auf den Straßen feiern,
verschanzt er sich in seinem Zimmer und schießt aus dem Fenster auf
alles, was sich bewegt, wird, als die von ihm erhoffte Apokalypse nicht
eingetreten ist, zum Amoktäter. Er besaß, so beendet Camus Cottards
Charakterisierung, "ein unwissendes, das heißt einsames Herz".

Cottard: Rentner, der einen Selbstmordversuch begeht und aufgehört hat, am Leben teilzunehmen. Als Verurteilter und Schmuggler profitiert er von der Pest, die ihn auch zurück ins Leben und die Gesellschaft bringt.


Literatur:

Die Pest
Die Pest
von Albert Camus

Samstag, 14. März 2020

Das Buch der Stunde: »Die Pest« von Albert Camus

Albert Camus


Die Begegnung mit Seuchen berührt die Urängste vor dem Unsichtbaren, Unreinen, Unheimlichen. Macht den Infizierten potenziell auch zum Aussätzigen. In dieser Situation ist Albert Camus’ Roman »Die Pest« das Buch der Stunde. Für den französischen Nobelpreisträger war die 1947 geschriebene Roman »Die Pest«, eine Allegorie auch der Zivilisationsbrüche der Moderne. Der „Schwarze Tod“ kommt als Virus zugleich von innen, aus den Einzelnen und der Gesellschaft. Er tritt auf „zum Unglück und zur Belehrung der Menschen“, denn er stellt ihre Mitmenschlichkeit auf die Probe.

»Eine Seuche ist kein Ding, das nach dem Maß des Menschen gemacht ist,
darum sagen wir uns, die Seuche sei ...«

Camus zeigt dabei ohne apokalyptischen Grusel und voll nüchterner Rationalität, dass neben der Medizin weniger die gegenseitige Abschottung als vielmehr die gesellschaftliche Solidarität ein Mittel des Widerstands ist. Gegen Viren und Wirren, gegen sichtbare oder noch verborgene Schrecken. Das klingt hellsichtig, auch für heute.
Der „Schwarze Tod“ kommt als Virus zugleich von innen, aus den Einzelnen und der Gesellschaft. Er tritt auf „zum Unglück und zur Belehrung der Menschen“, denn er stellt ihre Mitmenschlichkeit auf die Probe.



In der nordafrikanischen Stadt Oran, einer französischen Präfektur an der Küste Algeriens, bricht eine Seuche aus, nachdem tote Ratten überall in der Stadt herumlagen. Die sich unerbittlich ausbreitende Epidemie bestimmt das Leben in der Stadt und verändert es.

Die Pest wütet in der Stadt, die ganze Stadt liegt im Fieber. Oran wird hermetisch abgeriegelt und über die Stadt wird eine Quarantäne verhängt. Ein Entkommen ist nicht möglich. Albert Camus' erfolgreichster Roman gehört zu den Klassikern der Weltliteratur. In ihm seziert er hellsichtig das menschliche Handeln im Angesicht der Katastrophe.

»Man stelle sich das Entsetzen in unserer kleinen Stadt vor, die bis jetzt so ruhig gelebt hatte und nun in wenigen Tagen völlig aufgewühlt wurde, einem gesunden Menschen, dessen dickes Blut jetzt in Aufruhr gerät.«


Der im Stile einer Chronik verfasste Roman schildert den Ablauf der Pest in der algerischen Stadt Oran in den 1940er Jahren. Der Verfasser der Chronik über den Ablauf der Pest ist der Arzt Rieux, der in der Stadt Pestkranke versorgt und betreut. Aus dessen Sicht wird auch der Roman geschildert.

Dem Chronisten ist es ein Anliegen, "die Geschichte der Herzen aller unserer Mitbürger zu schreiben, die von der Pest zerrissen und von Verlangen erfüllt werden."

»Die Pest« von Albert Camus ist ein bewegender und beklemmender Roman über das Schicksal von Menschen in einer von der Pest heimgesuchten Stadt in Algerien. Seit dem Ausbruch der Pest in der Stadt geraten alle geordneten Bahnen auseinander.

In Oran, einer Stadt an der algerischen Küste, die jeder anderen mitteleuropäischen Stadt entspricht, bricht die Pest aus und über die gesamte Stadt wird Quarantäne verhängt. Jedem Bewohner, der sich zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Stadtmauern befindet, wird dadurch für die folgenden Monate die Möglichkeit genommen, diese zu verlassen und zu fliehen.


»Weil die Plage das Maß des Menschlichen übersteigt, sagt man sich, sie sei unwirklich, ein böser Traum, der vergehen werde. S. 27«

Albert Camus, »Die Pest«


Albert Camus schildert in seinem Roman „Die Pest" die verschiedenen Verhaltensweisen der Menschen in einer Ausnahmesituation wie dieser. Die Hauptperson etwa, Dr. Rieux, stürzt sich in die Arbeit und versucht mit allen in seinen Möglichkeiten stehenden Mitteln die Pest einzudämmen und den Betroffenen zu helfen. Bei dieser Arbeit begegnen ihm die verschiedensten Charaktere, wie ein in der Zeit vor der Quarantäne verzweifelter Mann, der nach einigen zwielichtigen Unternehmungen die Justiz fürchtet und einen Selbstmordversuch unternimmt.

In der Pestzeit jedoch lebt dieser Mann auf und entwickelt auch neue Lebensfreude, da die Polizei aufgehört hat, sich um „kleine" Verbrecher wie ihn zu kümmern. Ein weiteres Beispiel für unterschiedliche Reaktionen auf ein und das selbe Ereignis ist auch Rambert, ein Journalist, der nur zufällig in Oran weilt, als die Stadttore geschlossen werden und der mit allen Mitteln versucht, zu entfliehen, da er sich von der Pest nicht betroffen fühlt. Er fühlt sich in keinster Weise mit den eingeschlossenen Menschen verbunden, da er nicht dort lebt und nur zufällig davon mithineingezogen wird. Darum sieht er nicht ein, dass auch er die Stadt nicht verlassen darf.

Camus beschreibt wie sich die Pest allmählich in der Stadt ausbreitet. Er beschreibt
die in der Stadt grassierende Pest mit einem Dreschflegel, der über der Stadt am Himmel wütet.

»So wehrten sich die Gefangenen der Pest Woche und Woche so gut es ging. Es gab sogar ein paar unter ihnen, die sich einbilden konnten, sie handelten noch als freie Menchen, sie vermochten es noch, eine eigene Wahl zu teffen. Aber in Wahrheit konnte man zu dieser Zeit sagen, daß die Pest alles überschwemmt hatte. Da gab es keine Einzelschicksale mehr, sondern nur noch ein gemeinschafltiches Erleben: das der Pest und der von allen empfundenen Gefühle.« (Seite 110)

Jene Aspekte, die Camus' Weltbild entscheidend geprägt hatten: sein unerschütterlicher Glaube an die individuelle Verantwortung und seine konsequente Ablehnung aller finsteren Ideologien, die den Menschen zu erdrücken drohten.

Ein weiterer bedeutender Aspekt ist, dass lediglich jene Menschen nach Abklingen der Pest Freude erfahren, die zuvor nichts verlangten, was über den Menschen und seine Liebe hinausreichen könnte. Diejenigen jedoch, die das nicht Greifbare, kaum zu Erreichende begehrt und herbeigesehnt hatten, finden keinen Frieden. So auch Tarrou, der ob seiner inneren Zerrissenheit und seines Strebens nach Heiligkeit keine Hoffnung in sich trägt und damit auch keinen Frieden.

Hier zeigt sich klar und deutlich, wie Camus seinen Existentialismus definiert und worauf er hinausläuft - auch in politischem Sinne. Dies ließe sich auch noch mit Camus' Vorstellungen vom Individuum und seiner Moral verknüpfen sowie gegebenenfalls mit Ramberts Gedanken hinsichtlich des Sterbens für eine Liebe, statt für eine Idee.

»Alles, was der Mensch im Spiel der Pest und Lebens gewinnen konnte,
waren Erkenntnis und Erinnerung.«


Albert Camus, »Die Pest«, Seite 190

Mit dem in Form einer allegorischen Chronik angelegten Roman Die Pest gelang Camus eine der wichtigsten literarischen Vergangenheitsbewältigungen der französischen Nachkriegszeit. Camus verstand sein Werk als literarisches und historisches Dokument sowie Mahnmal gegen jede Art von Gewalt und Terror, als Aufruf zu gesellschaftlicher Solidarität und kollektivem Engagement in Zeiten der Not.


Die frei erfundene Handlung spielt in den 1940er Jahren in der nordafrikanischen Stadt Oran. Sterbende Ratten sind das erste Anzeichen der Pest, die das Volk zunächst nicht wahrhaben will. Als die Seuche immer mehr Menschenleben fordert, wird die Stadt unter Quarantäne gestellt. Der Arzt Rieux organisiert den Widerstand gegen die Seuche, unterstützt vom Pariser Journalisten Rambert, dem kleinen Angestellten Grand und dem gemäßigten Ideologen Tarrou. Die freiwilligen Hilfstrupps setzen sich unermüdlich für die Rettung von Menschenleben ein. Nutznießer der Tragödie sind der Kriminelle Cottard und der Jesuit Paneloux. Tarrou, mit dem sich Rieux angefreundet hat, stirbt als einer der Letzten an der Pest, als die Bevölkerung schon die Befreiung von der Seuche feiert. Sein Tod erscheint ebenso absurd wie das Sterben von Rieux’ Frau, die er im Sanatorium außerhalb der Stadt in Sicherheit glaubte.

Camus beschreibt ein kollektives Leid, das eine Gemeinschaft ereilt.

Camus lässt im Verlauf des Romans mehrere Protagonisten sterben, darunter der Geistliche Paneloux, der Richter Othon und der Gefährte Tarrou und auch Rieuxs Frau.

Er zeigt die Auswirkungen auf das moralische Klima in der Stadt und Verhaltensweisen einzelner Personen, die sich der Seuche entweder widersetzen oder sie für ihre Zwecke nutzen. Die Symptome einer allegorischen Bedeutung der Pest häufen sich im Verlauf des Textes und werden durch wiederholte Vergleiche von Pest und Krieg bestätigt.

Mit der Beschreibung der Aktionen der Sanitäter, die sich gegen eine scheinbare Übermacht behaupten, würdigt Camus im literarischen Gleichnis die Leistung der französischen Widerstandsbewegung. Die Kollaboration besteht in der Nutznießung der Seuche durch Schmuggler, Kriminelle und den Geistlichen Paneloux. Auch wenn die Pest am Ende besiegt ist, wird davor gewarnt, dass der Triumph nicht endgültig sein kann.


»Aber Rieux, was hatte er gewonnen? Sein einziger Gewinn war, daß er die Pest gekannt hatte und ihm die Erinnerung daran blieb, daß er die Freundschaft gekannt hatte und ihm die Erinnerung daran blieb, daß der die innige Verbundenheit kannte und ihm eines Tages nur noch die Erinnerung daran bleiben würde. Alles, was der Mensch im Spiel mit der Pest gewinnen konnte, waren Erkenntnisse und Erinnerung.«

Nichts kann die Pest besser charakterisieren als dieser Satz.


»Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen.«

Ernst Bloch


Literatur:

Die Pest
Die Pest
von Albert Camus

Klassiker der Weltliteratur: Albert Camus - "Die Pest" - www.youtube.com




Albert Camus-Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de

Mittwoch, 11. März 2020

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin



Friedrich Hölderlins Leben ist die Geschichte eines Einzelgängers, der keinen Halt im Leben fand, obwohl er hingebungsvoll liebte und geliebt wurde: Friedrich Hölderlin. Als Dichter, Übersetzer, Philosoph, Hauslehrer und Revolutionär lebte er in zerreißenden Spannungen, unter denen er schließlich zusammenbrach. Erst das 20. Jahrhundert entdeckte seine tatsächliche Bedeutung, manche verklärten ihn sogar zu einem Mythos. Doch immer noch ist Friedrich Hölderlin der große Unbekannte unter den Klassikern der deutschen Literatur. Der 250. Geburtstag im März 2020 ist eine gute Gelegenheit, sich ihm und seinem Geheimnis zu nähern.

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.
Die Elegie »Brod und Wein« entstand etwa um 1800 und ist nach Rüdiger Safranski und nach meiner Meinung das vielleicht schönste Gedicht Hölderlins. Die erste von neun Strophen lautet:

»Rings um ruhet die Stadt; still wird die erleuchtete Gasse,
Und, mit Fackeln geschmückt, rauschen die Wagen hinweg.
Satt gehn heim von Freuden des Tags zu ruhen die Menschen,
Und Gewinn und Verlust wäget ein sinniges Haupt
Wohlzufrieden zu Haus; leer steht von Trauben und Blumen,
Und von Werken der Hand ruht der geschäftige Markt.
Aber das Saitenspiel tönt fern aus Gärten; vielleicht, daß
Dort ein Liebendes spielt oder ein einsamer Mann
Ferner Freunde gedenkt und der Jugendzeit; und die Brunnen
Immerquillend und frisch rauschen an duftendem Beet.
Still in dämmriger Luft ertönen geläutete Glocken,
Und der Stunden gedenk rufet ein Wächter die Zahl.
Jetzt auch kommet ein Wehn und regt die Gipfel des Hains auf,
Sieh! und das Schattenbild unserer Erde, der Mond,
Kommet geheim nun auch; die Schwärmerische, die Nacht kommt,
Voll mit Sternen und wohl wenig bekümmert um uns,
Glänzt die Erstaunende dort, die Fremdlingin unter den Menschen,
Über Gebirgeshöhn traurig und prächtig herauf.«


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Blog-Artikel:

»Brod und Wein« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog

Mittwoch, 4. März 2020

»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin


Friedrich Hölderlin mussten zu der Hälfte seines Lebens in überaus wachem Zustande bereits dunkle Vorahnungen über sein weiteres - sich verfinsterndes - Leben ergriffen haben, denn dieses Gedicht klingt wie eine düstere Prophezeiung seiner zweiten, dunklen Lebenshälfte, welche der Dichter in einem Schattenreich in einem hellen Turm am Neckarufer in der Obhut eines Schreiners verbracht hat, der ein überaus begeisteter Anhänger seiner berühmtesten appolinischen Dichtkunst »Hyperion« war.


»Hälfte des Lebens« von Friedrich Hölderlin ist eines der berühmtesten Gedichte von Friedrich Hölderlin.


Das Gedicht von Friedrich Hölderlin erschien erstmals 1804 in Friedrich Wilmans »Taschenbuch für das Jahr 1805«. Während der Text zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch vielfach auf Unverständnis stieß, etablierte er sich durch die Aufmerksamkeit, die ihm beispielsweise Trakl, Celan, George oder Benn im 20. Jahrhundert widmeten, zur Lyrik von Rang.


Heute zählt »Hälfte des Lebens« zu den bekanntesten Werken Friedrich Hölderlins. Sein Gedicht ist die Klage eines Einsamen, eines Losgelösten, der weder einen Platz in der Welt noch bei Gott gefunden hat. Mit großer Intensität gelingen dem Dichter Worte, die die Ursehnsucht des Menschen nach Ganzheit, einer tiefen Verbundenheit von Geist und Körper, lyrisch fassen. Das eigentlich Bedrückende dieses Textes ist die Erkenntnis einer absoluten Trostlosigkeit, wie sie in Hölderlins Poesie selten so scharf herausgearbeitet wurde.

Sein Gedicht ist die düstere Prophezeiung seines künftigen Lebens im Elfenbeinturm. Es ist so, als hätte der Dichter Hölderlin sein künfiges Schicksal bereits vorausgesehen.



Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.

*****

Weh mir, wo nehm' ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.


Quellen:

Textquelle: [Stuttgarter Ausgabe] Friedrich Hölderlin. Sämtliche Werke. Hrsg. von Friedrich Beißner. Bd. 2. Stuttgart: Kohlhammer 1951. S. 117.

Rezension:

Friedrich Hölderlin: Hälfte des Lebens - https://www.zum.de


Literatur:

Gedichte
Sämtliche Gedichte und Hyperion
von Friedrich Hölderlin

Hölderlin



Weblink:

Hälfte des Lebens - Deutschland-Lese - www.deutschland-lese.de


Friedrich Hölderlin-Blog:

Friedrich Hölderlin-Blog
- http://friedrich-holderlin.blogspot.de


Blog-Artikel:

»Hälfe des Lebens« von Friedrich Hölderlin - Gastbeitrag

Poetenwelt-Blog


Samstag, 22. Februar 2020

»Das rote Kornfeld« von Mo Yan

Der literarische Durchbruch gelang ihm 1987 mit der Veröffentlichung des Novellenzyklus »Das rote Kornfeld«. Der Roman zählt zur chinesischen Xungen-Literatur und fand auch internationale Anerkennung durch die Verfilmung als Rotes Kornfeld von Zhang Yimou.

Die endlosen Felder sind der Glanz und der Reichtum des chinesischen Dorfes Gaomi. In mächtigen roten Wellen erstrecken sie sich bis zum Horizont. Rot sind auch die Vorhänge der Sänfte, in der die schöne Dai Fenglian zu ihrem zukünftigen Ehemann Shan getragen wird. Aber als der Sänftenträger Yu Zhan’ao und Dai Fenglian sich sehen, entbrennen sie in Liebe zueinander.

Als opulente Familiensaga zeichnet der Roman das Schicksal eines Dorfes vor dem Hintergrund des chinesisch-japanischen Krieges nach. Vierzig Jahre später erinnert sich der Enkel an den süßen Duft des frisch gebrannten Schnapses und an die vielen Geschichten und losen Scherze. Die Geister seiner Vorfahren fordern ihn auf, die Tradition des Dorfes und seiner Familie fortzuführen, Vergangenheit und Gegenwart zu versöhnen.

Das rote Kornfeld

Mo Yan beschreibt atmosphärisch dicht eine Familie am Übergang vom traditionellen zum modernen China. Die Verfilmung des Romans von Zhang Yimou wurde 1988 mit dem Goldenen Bären der Berliner Filmfestspiele ausgezeichnet und für den Oscar nominiert.

Literatur-Nobelpreisträger Mo Yan verwebt in seinem berühmtesten und von Zhang Yimou preiswürdig verfilmten Roman eine endlose Reihe von Episoden zu einem monumentalen Gemälde des chinesisch-japanischen Krieges von 1937 bis 1945. Der Autor verfährt dabei digressiv und schweift von der Zeitebene der Kriegshandlungen immer wieder ab in die Vergangenheit, gelegentlich auch in die Zukunft, die Zeit des Ich-Erzählers, wobei kurz auch die Kulturrevolution - die tragische Geschichte von »Geng mit den den Achtzehn Stichen« - gestreift wird.

Mo Yan kann als Schriftsteller des ungeschminkten Lebens der chinesischen ländlichen Provinz betrachtet werden, der schon früh die Zwänge des offiziell sanktionierten Realismus hinter sich ließ und dessen literarisches Schaffen unverkennbar und zunehmend von der Strömung des magischen Realismus beeinflusst ist. Er erzählt das Leben der Lndbevölkerung - der Menschen von unten.


Weblink:

Das rote Kornfeld
Das rote Kornfeld
von Mo Yan

Montag, 17. Februar 2020

Mo Yan 65. Geburtstag

Mo Yan

Mo Yan - eigentlich 管谟业, Guǎn Móyè - wurde am 17. Februar 1955 als Sohn eines Bauern in Gaomi in der Provinz Shandong geboren. Mo Yan ist ein chinesischer Schriftsteller. Sein Künstlername Mo Yan bedeutet „Sprich nicht!“ – er wählte ihn, da seine Eltern ihm in gefährlichen Zeiten beigebracht hatten, draußen den Mund zu halten, um keinen Ärger zu bekommen. 2012 wurde ihm als erstem chinesischen Staatsbürger der Nobelpreis für Literatur zuerkannt.

Guan Moye kam 1955 als Bauernsohn in der Provinz Shandong zur Welt. Während der Kulturrevolution musste er im Alter von 12 Jahren die Schule verlassen und begann in einer Fabrik zu arbeiten. Im Februar 1976 trat er in die Volksbefreiungsarmee ein, wo er noch als Soldat sein literarisches Schaffen begann. Im Jahr 1981 erschien seine erste Sammlung von Kurzgeschichten. 1984 begann er, an der Literaturabteilung der Kulturakademie der Armee zu unterrichten. Im Jahr 1986 schloss er das Studium an der Kunsthochschule der Volksbefreiungsarmee ab.


Der literarische Durchbruch gelang ihm 1987 mit der Veröffentlichung des Novellenzyklus »Das rote Kornfeld«. Der Roman zählt zur chinesischen Xungen-Literatur und fand auch internationale Anerkennung durch die Verfilmung als Rotes Kornfeld von Zhang Yimou.

Mo Yan kann als Schriftsteller des ungeschminkten Lebens der chinesischen ländlichen Provinz betrachtet werden, der schon früh die Zwänge des offiziell sanktionierten Realismus hinter sich ließ und dessen literarisches Schaffen unverkennbar und zunehmend von der Strömung des magischen Realismus beeinflusst ist. Er erzählt das Leben der Lndbevölkerung - der Menschen von unten.

Der chinesische Autor löste nicht nur seit den 1980er Jahren wiederholt spektakuläre Diskussionen aus, sondern geriet auch ins Fadenkreuz der Zensur. Mo Yans Werk stellt sich geradezu obsessiv der traumatischen Vergangenheit und Gegenwart seiner ländlichen Heimat in der Provinz Shandong und betritt gleichsam traumwandlerisch Tabuzonen.

Seine Bücher wurden mit zahlreichen bedeutenden Literaturpreisen ausgezeichnet. Spätestens seit Zhang Yimous preisgekrönter Verfilmung seines Romans 'Das rote Kornfeld' gilt Mo Yan auch international als einer der wichtigsten und erfolgreichsten Autoren der chinesischen Gegenwartsliteratur.


Weblink:

Das rote Kornfeld
Das rote Kornfeld
von Mo Yan