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Sonntag, 23. April 2017

»Frühlingsglaube« von Ludwig Uhland


Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muss sich alles, alles wenden.

Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal;
Nun, armes Herz, vergiss der Qual!
Nun muss sich alles, alles wenden.


»Frühlingsglaube« von Ludwig Uhland (1787-1862)

Mittwoch, 16. November 2016

»Ermutigung« von Wolf Biermann



Du, laß dich nicht verhärten
in dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen,
die allzu spitz sind, stechen
und brechen ab sogleich.

Du, laß dich nicht verbittern
in dieser bittren Zeit.
Die Herrschenden erzittern
- sitzt du erst hinter Gittern -
doch nicht vor deinem Leid.

Du, laß dich nicht erschrecken
in dieser Schreckenszeit.
Das wolln sie doch bezwecken
daß wir die Waffen strecken
schon vor dem großen Streit.

Du, laß dich nicht verbrauchen,
gebrauche deine Zeit.
Du kannst nicht untertauchen,
du brauchst uns und wir brauchen
grad deine Heiterkeit.

Wir wolln es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit.
Das Grün bricht aus den Zweigen,
wir wolln das allen zeigen,
dann wissen sie Bescheid.

»Ermutigung« von Wolf Biermann,

Peter Huchel gewidmet


Donnerstag, 27. Oktober 2016

»Herbst« von Reiner Maria Rilke



Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

»Herbst« von Reiner Maria Rilke

Freitag, 12. August 2016

»Die Ballade vom Wasserrad« von Bertolt Brecht



1
Von den Großen dieser Erde
melden uns die Heldenlieder:
Steigend auf so wie Gestirne
gehn sie wie Gestirne nieder.
Das klingt tröstlich, und man muss es wissen.
Nur: für uns, die sie ernähren müssen
ist das leider immer ziemlich gleich gewesen.
Aufstieg oder Fall: Wer trägt die Spesen?

Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.

2
Ach, wir hatten viele Herren
hatten Tiger und Hyänen
hatten Adler, hatten Schweine
doch wir nährten den und jenen.
Ob sie besser waren oder schlimmer:
Ach, der Stiefel glich dem Stiefel immer
und uns trat er. Ihr versteht: Ich meine
dass wir keine andern Herren brauchen, sondern keine!

Freilich dreht das Rad sich immer weiter
dass, was oben ist, nicht oben bleibt.
Aber für das Wasser unten heißt das leider
nur: Dass es das Rad halt ewig treibt.

3
Und sie schlagen sich die Köpfe
blutig, raufend um die Beute
nennen andre gierige Tröpfe
und sich selber gute Leute.
Unaufhörlich sehn wir sie einander grollen
und bekämpfen. Einzig und alleinig
wenn wir sie nicht mehr ernähren wollen
sind sie sich auf einmal völlig einig.

Denn dann dreht das Rad sich nicht mehr weiter
und das heitre Spiel, es unterbleibt
wenn das Wasser endlich mit befreiter
Stärke seine eigne Sach betreibt.


»Die Ballade vom Wasserrad« von Bertolt Brecht


Weblink:

»Die Ballade vom Wasserrad« von Bertolt Brecht - www.deutschelyrik.de

Brecht-Gedichtband:

Die Gedichte
Die Gedichte
von Bertolt Brecht

Freitag, 22. Juli 2016

»Vormittag am Strand« von Christian Morgenstern



Es war ein solcher Vormittag,
wo man die Fische singen hörte;
kein Lüftchen lief, kein Stimmchen störte,
kein Wellchen wölbte sich zum Schlag.

Nur sie, die Fische, brachen leis
der weit und breiten Stille Siegel
und sangen millionenweis'
dicht unter dem durchsonnten Spiegel.


Christian Morgenstern (1871-1914)

Samstag, 16. Juli 2016

»Loreley« von Heinrich Heine


Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin;
Ein Märchen aus alten Zeiten,
Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

Die Luft ist kühl und es dunkelt,
Und ruhig fließt der Rhein;
Der Gipfel des Berges funkelt
Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet
Dort oben wunderbar,
Ihr goldnes Geschmeide blitzet,
Sie kämmt ihr goldnes Haar.

Sie kämmt es mit goldnem Kamme,
Und singt ein Lied dabey;
Das hat eine wundersame,
Gewaltige Melodey.

Den Schiffer, im kleinen Schiffe,
Ergreift es mit wildem Weh;
Er schaut nicht die Felsenriffe,
Er schaut nur hinauf in die Höh'.

Ich glaube, die Wellen verschlingen
Am Ende Schiffer und Kahn;
Und das hat mit ihrem Singen
Die Loreley getan.

»Loreley« von Heinrich Heine (1797-1856)

Freitag, 3. Juni 2016

»Frühlingslied« von Ludwig Hölty



Mehr deutsche Lyrik zum hören: http://www.deutschelyrik.de/

Die Luft ist blau, das Tal ist grün,
die kleinen Maienglocken blühn
und Schlüsselblumen drunter;
der Wiesengrund ist schon so bunt
und malt sich täglich bunter.
Drum komme, wem der Mai gefällt,
und freue sich der schönen Welt
und Gottes Vatergüte,
die diese Pracht hervorgebracht,
den Baum und seine Blüte.


Ludwig Hölty (1748 - 1776)


Frühlingsbücher, das man gelesen haben sollte:



Frühling: Ein Poesiealbum

von Günter Berg

Frühlingsgedichte
Frühlingsgedichte

von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell

Freitag, 27. Mai 2016

»Im Frühling« von Eduard Mörike



Hier lieg' ich auf dem Frühlingshügel:
Die Wolke wird mein Flügel,
Ein Vogel fliegt mir voraus.
Ach, sag' mir, alleinzige Liebe,
Wo d u bleibst, dass ich bei dir bliebe!
Doch du und die Lüfte, ihr habt kein Haus.

Der Sonnenblume gleich steht mein Gemüte offen,
Sehnend,
Sich dehnend
In Liebe und Hoffen.
Frühling, was bist du gewillt?
Wann werd ich gestillt?

Die Wolke seh ich wandeln und den Fluss,
Es dringt der Sonne goldner Kuss
Mir tief bis ins Geblüt hinein;
Die Augen, wunderbar berauschet,
Tun, als schliefen sie ein,
Nur noch das Ohr dem Ton der Biene lauschet.

Ich denke dies und denke das,
Ich sehne mich, und weiß nicht recht, nach was:
Halb ist es Lust, halb ist es Klage;
Mein Herz, o sage,
Was webst du für Erinnerung
In golden grüner Zweige Dämmerung?
- Alte unnennbare Tage!

Eduard Mörike (1828, Erstdruck 1832)

Freitag, 20. Mai 2016

»Frühling« von Theodor Fontane



 
Nun ist er endlich kommen doch
In grünem Knospenschuh;
»Er kam, er kam ja immer noch«,
Die Bäume nicken sich's zu.
Sie konnten ihn all erwarten kaum,
Nun treiben sie Schuss auf Schuss;
Im Garten der alte Apfelbaum,
Er sträubt sich, aber er muss.
Wohl zögert auch das alte Herz
Und atmet noch nicht frei,
Es bangt und sorgt: »Es ist erst März,
Und März ist noch nicht Mai.«
O schüttle ab den schweren Traum
Und die lange Winterruh':
Es wagt es der alte Apfelbaum,
Herze, wag's auch du.

Theodor Fontane (1851)


Frühlingsbücher, das man gelesen haben sollte:


Frühling: Ein Poesiealbum
 
von Günter Berg

Frühlingsgedichte
Frühlingsgedichte
 
von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell

Freitag, 13. Mai 2016

»Der Mai ist gekommen« von Emanuel Geibel


Mehr deutsche Lyrik zum hören: http://www.deutschelyrik.de/
 
Der Mai ist gekommen,
die Bäume schlagen aus,
da bleibe, wer Lust hat,
mit Sorgen zu Haus!
Wie die Wolken dort wandern
am himmlischen Zelt,
so steht auch mir der Sinn in
die weite, weite Welt.

Herr Vater, Frau Mutter,
dass Gott euch behüt!
Wer weiß, wo in der Ferne
mein Glück mir noch blüht.
Es gibt so manche Straße,
da nimmer ich marschiert,
es gibt so manchen Wein,
den ich nimmer noch probiert.

Frisch auf drum, frisch auf drum
im hellen Sonnenstrahl!
Wohl über die Berge,
wohl durch das tiefe Tal!
Die Quellen erklingen,
die Bäume rauschen all;
mein Herz ist wie 'ne Lerche
und stimmet ein mit Schall.

Und abends im Städtlein,
da kehr ich durstig ein:
"Herr Wirt, Herr Wirt, eine Kanne
mit schönem blanken Wein!
Ergreife die Fiedel,
du lust'ger Spielmann, du!
Von meinem Schatz das Liedel,
das singe ich dazu!"

Und find ich kein' Herberg',
so liege ich zur Nacht
wohl unter blauem Himmel,
die Sterne halten Wacht;
im Winde die Linde,
die rauscht mich ein gemach,
es küsset in der Früh
das Morgenrot mich wach.

O Wandern, o Wandern,
du freie Burschenlust!
Da weht Gottes Odem
so frisch in die Brust;
da singet und jauchzet
das Herz zum Himmelszelt:
wie bist du doch so schön, o,
du weite, weite Welt!

Emanuel Geibel (1815 - 1884)


Frühlingsbücher, das man gelesen haben sollte:


Frühling: Ein Poesiealbum

von Günter Berg

Frühlingsgedichte
Frühlingsgedichte

von Evelyne Polt-Heinzl und Christine Schmidjell

Samstag, 11. April 2015

»Nathan der Weise« von Gotthold Ephraim Lessing

Nathan der Weise
Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen

»Nathan der Weise« ist ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen von Gotthold Ephraim Lessing. Das dramatische Gedicht spielt in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge, wo die drei Weltreligionen Christentum, Judentum und Islam in einem Spannungsverhältnis zueinander stehen. Das fünfaktige Ideendrama von Gotthold Ephraim Lessing wurde 1779 veröffentlicht und am 14. April 1783 in Berlin uraufgeführt. Das Werk hat als Themenschwerpunkte den Humanismus und den Toleranzgedanken der Aufklärung.

Seine angenommene Tochter Recha unterrichtet er statt im Judentum oder im Christentum, in Menschlichkeit. Eine Einstellung, die, als ein jeder unter dem Deckmäntelchen seiner Religion davon überzeugt ist, er vertrete die einzig wahren Werte, zwangsläufig zu Konflikten führen muß. Zu groß ist die Zahl der Intoleranten und Ignoranten.

Inmitten eines dramatischen Geschehens um die Rettung seiner Tochter durch einen christlichen Ordensritter, den seinerseits der Sultan vor dem Tod bewahrt hat, steht Nathan der Weise als ruhender Pol der Vernunft, Aufklärung und Toleranz.

Nathan kann seine Anschauung in der berühmten »Ringparabel« verdeutlichen: So, wie sich die drei exakt gleichen Ringe nicht unterscheiden lassen, so kann auch unter den Religionen von Juden, Christen und Moslems nicht entschieden werden, welche von ihnen den echten Glauben darstellt. Am Ende kann Nathan die Zweifler von seiner Haltung überzeugen. Dafür benötigt der Weise nicht mehr als zwei Stunden. Im Spiel auf der Bühne.

In der berühmten Ringparabel klärt der Lehrmeister die heikle Frage nach der wahren Religion. Keine der drei Weltreligionen ist absolut. Jede erweist ihre Wahrheit und ihren Sinn erst durch die Kraft, mit der sie praktische Humanität stiften kann. Nathan gelingt es, die Menschen verschiedenen Glaubens in friedvollem Miteinander als Angehörige einer großen Familie zu vereinen.

Das Stück ist eine Parabel auf die Menschlichkeit: Toleranz und Menschlichkeit, das sind die höchsten Güter der Zivilisation. Die zeitlose Parabel ist in Zeiten zunehmender religiöser Intoleranz von beklemmender Aktualität. Heute - am Ende des 20. Jahrhunderts - ist unsere Lebenswirklichkeit noch immer voll Intoleranz und Ignoranz. Und wir haben es immer noch nötig, erklärt zu bekommen, welches die eigentlichen Werte unserer Gesellschaft sind.

Literatur:

Nathan der Weise.
Nathan der Weise. Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen

von Gotthold Ephraim Lessing

Donnerstag, 29. Januar 2015

»Der Rabe« von Edgar Allan Poe

John Tenniel illustrierte Der Rabe.

»Der Rabe« - im englischen Original »The Raven« - ist ein erzählendes Gedicht des amerikanischen Schriftstellers Edgar Allan Poe. Gedichte beschäftigten ihn eigentlich nur zu Beginn und am Ende seiner Laufbahn. An diesem Meisterwerk der englischen Sprache arbeitete er zehn Jahre. Als er es schließlich verkaufte, betrug sein Lohn ganze zehn Dollar.


Das Poem wurde zum ersten Mal am 29. Januar 1845 in der New Yorker Zeitung »Evening Mirror« veröffentlicht und schildert in 108 Versen den mysteriösen, mitternächtlichen Besuch eines Raben bei einem Verzweifelten, dessen Geliebte verstorben ist.





Und der Rabe, unbeweglich, sitzt noch täglich, sitzt alltäglich Auf der bleichen Pallas-Büste über meiner Zimmertür; Und in seinen Augen wohnen alle Träume von Dämonen, Seinen Schatten wie geronnen wirft die Lampe schwarz und schwer Auf den Boden; doch erheben wird sich aus dem Schatten schwer
Meine Seele nimmermehr."



Das Gedicht ist von einer düsteren Grundstimmung getragen. Es ist eines der bekanntesten amerikanischen Gedichte.



Weblinks:

The Raven - E.A.Poe (1845) - Das Poem mit Text - www.edgarallanpoe.de

Edgar Allan Poe - Der Rabe

Edgar Allan Poe - Der Rabe

Mittwoch, 5. November 2014

»Verklärter Herbst« von Georg Trakl







Gewaltig endet so das Jahr
Mit goldnem Wein und Frucht der Gärten.
Rund schweigen Wälder wunderbar
Und sind des Einsamen Gefährten.

Da sagt der Landmann: Es ist gut.
Ihr Abendglocken lang und leise
Gebt noch zum Ende frohen Mut.
Ein Vogelzug grüßt auf der Reise.

Es ist der Liebe milde Zeit.
Im Kahn den blauen Fluß hinunter
Wie schön sich Bild an Bildchen reiht -
Das geht in Ruh und Schweigen unter.


Georg Trakl

österreichischer Lyriker, (1887-1914)






Weblinks:

Georg Trakl Lyrik-Portal - www.georgtrakl.at

Georg Trakl-Portal - www.georgtrakl.de

Gedichte:

Georg Trakl - Sämtliche Gedichte

Freitag, 28. Oktober 2011

»Das trunkene Schiff« von Arthur Rimbaud

Als fühllose Ströme hinab ich geschwommen, da lenkten die Treidler mich nicht mehr zutal: frech hatten Rothäute zum Ziel sie genommen, das nackt sie genagelt an farbigen Pfahl. Was kümmerten mich meiner Mannschaften Schwärme, da flämisches Korn ich und Baumwolle trug, und als mit den Treidlern erlosch das Gelärme, da ließen die Ströme mir frei meinen Bug. Im wütenden Braus der Gezeiten begraben, den Winter lang, dumpf wie ein Kinderverstand, so fuhr ich, und treibende Halbinseln haben nie stolzere Tohuwabohus gekannt. Es weihte der Sturm mein Erwachen im Meere, noch leichter als Korken betanzt' ich die Flut, die ewiglich wälzt der Ertrunkenen Heere, zehn Nächte nicht mißt' ich der Leuchtfeuer Glut! Noch süßer als Kindern ein Fallapfel, sogen sich grünliche Fluten mir tief in den Bauch; Erbrochnes und Weinflecke spülten die Wogen mir ab, und das Steuer verschleppten sie auch. Seitdem schwimm' ich frei im Gedichte der Wasser, durchspritzt mit Gestirnen und milchig durchweht, und fresse die blaugrüne Flut, wo manch blasser Ertrunkner als sinnendes Treibgut vergeht; wo, färbend die Bläue mit fiebrigen Feuern und langsamen Rhythmen, vom Taglicht verklärt, gewalt'ger als Räusche und voller als Leiern, die bittere Röte der Liebe gegärt! Ich kenne von Blitzen zerspaltene Himmel und Brandung und Strömung und wirbelnde Nacht, das schwelgende Frührot wie Taubengewimmel und sah, was der Mensch nur zu sehen gedacht. Sah fleckig die Sonne von mystischen Schrecken und lange Gerinnsel auf Wellen gebrannt, die fernhin ihr zitterndes Riffeln erstrecken, den Schauspielern griechischer Dramen verwandt. Grün träumt' ich die Nacht mit geblendetem Firne, den Kuß zu den Augen der Meere empor, den Kreislauf der Säfte, noch fremd dem Gehirne, und gelbblau erwachte der Phosphore Chor. Ich folgte durch Monde, wie kopfscheuen Kühen, der Dünung, die gegen die Felsriffe springt, obwohl doch der schimmernde Fuß der Marien die Schnauzen kurzatmiger Meere bezwingt. Ich stieß auf unglaublicher Halbinseln Hügel, wo Augen von Panthern mit Menschenhaut sahn aus Blumen! Und Regenbogen wie Zügel sich straffend zu Herden im Ozean. Sah gären gewaltige Sümpfe, als Reusen, wo modernd im Schilf ein Leviathan versinkt, sah Wasser bei Windstille stürzen und kreisen und Fernen, die reißend ein Abgrund verschlingt. O silberne Sonnen und Flut aus Perlmutter, Gluthimmel und Stranden in bräunlicher Bucht, wo manch Riesenschlange, den Wanzen ein Futter, aus krummem Geäst fällt, schwarz duftende Frucht! Gern hätt' ich sie Kindern gezeigt, diese Räume voll singender Fische, die golden zu sehn. Mein Driften sich wiegte auf Blumengeschäume, und Flügel verlieh mir unsagbar ein Wehn. Oft reckte, die Pole und Zonen erduldet und schluchzend mein Schlingern gemildert, die Flut, zu mir ihre Blüten, saugnäpfig gemuldet, und still hielt ich, wie eine Knieende tut. Schon fast eine Insel, so wippt' ich das Zanken und Koten blauäugiger Vögel daher, und quer durch mein schwächliches Tauwerk versanken Ertrunkene rücklings zum Schlafen ins Meer... Doch ob unterm Kraushaar der Buchten verschollen, vom Sturm vogelhoch in den Äther geschnellt – kein Hanseschiff hätte mehr auffischen wollen den Rumpf, der von Seewasser trunken zerfällt; ob dampfend, von blauroten Dünsten bestiegen, den Himmel als rötliche Wand ich durchfuhr, die, guten Poeten ein schmackhaft Vergnügen, trug Flechten aus Sonne und Schleim aus Azur; ob mondsichelfleckig, elektrisch umschimmert, wahnsinniges Holz, von Meerpferden umkreist, wenn Julmonde mit ihren Knüppeln zertrümmert die meerblauen Himmel, von Trichtern durchgleißt; ob zitternd der Behemoths brünstig Gestöhne auf Meilen ich roch und der Malströme Brei, ob schweifend in regloser Bläue – ich sehne Europas uralte Geländer herbei. Sah Sternarchipele! Hab' Inseln gefunden, wo fiebernde Himmel dem Wandrer geklafft; bist tief du im Schlaf dieser Nächte verschwunden, Million goldner Vögel, o künftige Kraft? Doch weint' ich zuviel! Alles Frührot ist trübe, nur Qual bringt der Mond, und die Sonne tut weh; zu rauschhafter Starre schwoll ätzend die Liebe. O bräche mein Kiel, o verschläng mich die See! Und wünscht' ich ein Heimatgewässer, es hieße: die schwarzkalte Pfütze vorm Haus, wo ein Kind im Abendduft traurig sein Schiff schwimmen ließe, so zart wie ein Falter im Maienwind. Nie kann ich, mit Sehnsucht getränkt von euch Wellen, den Baumwollefrachtern mehr rauben die Bahn, noch Flaggen und Wimpeln den Hochmut verstellen und nie den grimmäugigen Pontons mehr nahn.



Das trunkene Schiff








"Das trunkene Schiff"
von Arthur Rimbaud



Insel-Verlag,
20. April 2008,
11,80 EUR.

ISBN-13: 978-3458193006




Arthur Rimbauds »Le Bateau ivre« ist eines der bedeutendsten Langgedichte der Weltliteratur. Im »Trunkenen Schiff« wagte Rimbaud eine alle Grenzen sprengende Lebens-Fahrt, die ihn zu überwältigenden visionären Erfahrungen führte. Arthur Rimbaud hat hierin poetisch sein kühnes Programm eines Seher-Dichters realisiert.
Weblink: www.dastrunkeneschiff.de - französischer und deutscher Text

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Der Christabend





Der Christabend

Karl Ludwig Theodor Lieth (1776-1850)


Mit stillem Schweigen sinket herab die heil'ge Nacht,
gar hell und lieblich blinket des Abendsternes Pracht;
als wollte er mich fragen, wer heut geboren ist:
Ich kann es ihm wohl sagen, es ist der heil'ge Christ.
Der Heil'ge kam von oben und war der Kinder Freund,
ihn will ich liebend loben, daß er's so gut gemeint,
voll Milde und Erbarmen, mit Vaterlieb' und Lust,
trug er sie auf den Armen, drückt er sie an die Brust.
Wohl nicht in Menschenweise wohnt er auf Erden mehr,
nur unsichtbar und leise noch wandelt er umher;
er suchet seine Kleinen und sucht von Haus zu Haus,
und wo sie fromm erscheinen, da geht er ein und aus.
Ich will zur Ruh' mich legen, und betend schlaf' ich ein!
Ich träum' von seinen Segen und möchte bei ihm sein.
Möchte ihm mich dankend neigen, dem lieben, heil'gen Christ,
der in der Weihnacht Schweigen so nah den Kindern ist.