Samstag, 4. September 2021

»Wunschloses Unglück« - Der junge Handke

»Wunschloses Unglück« ist eines der frühen Werke Handkes. Es handelt von seiner Mutter, wobei das Verb "handeln" hier vielleicht falsche Assoziationen weckt: Handke malt ein Bild von seiner Mutter, das klar und durchsichtig ist, sachlich und dabei so wunderbar bewegend, weil es den Leser fühlen lässt, was jene Frau durchgemacht haben muß.

Als Mädchen auf dem Lande wächst sie auf, erhält dort kaum Bildung, obwohl sie wissbegierig ist und sicherlich auch begabt, doch sie muß sich in die Gesellschaft einpassen, die Rolle der damaligen Frau spielen: Haushalt und Kinder. Sie erträgt dieses Leben auf Dauer nicht, zu viel Langeweile und Einsamkeit, ein trunksüchtiger Ehemann, den sie nicht liebt, drei Abtreibungen und immer diese Lust auf das Leben, das Erleben, welche sie aber nicht stillen kann. Daran geht sie am Ende zu grunde.

Peter Handke schildert in Form einer Erzählung das Leben seiner Mutter bis zu deren Freitod mit 51 Jahren. Er selbst, erstgeborenes und uneheliches Kind, war damals 30.

Zunächst fragte ich mich, wie kann es sein, dass man als Autor zum Leben der Mutter (zumindest hier) nur 89 Seiten zusammenbringt. Oder verfasst? Dann wäre es ein Grund, keine Offenbarung oder Fehlbarkeit.

Als ich das Buch das erste Mal begann, legte ich nach 25 Seiten eine Pause ein. Dies war keine geplante Pause und auch keiner Unverträglichkeit geschuldet. Ich fand offenbar keinen Zugang, war mehr beim Überlesen als dem Lesen und Verstehen. Intransparent gab es schon auf den ersten Seite Anknüpfungen umhüllt von Unbehagen, dem gelernten Verbot einer Neugier. Also Weglegen. Was anderes tun.

Ich legte es schließlich für einen Neustart zurück ins Regal. Solche Neustarts folgen aufgrund der Masse der ungelesenen Bücher in diesem Regal manchmal Monate, manchmal Jahre später oder vielleicht gar nicht mehr. Diesmal war es anders, denn nach drei Tagen beschäftigten mich Sätze und Textfragmente, die ich nie bewusst gelesen hatte, die sich aber dennoch begründbar bei mir eingegraben hatten. Hiernach beendete ich das Buch sogleich am Tag des Neubeginns.

Einen Neubeginn hatte die Mutter nie, allenfalls mal einen Beginn von was, was über Ansätze von Ausdruck oder Entfaltung nicht hinauskam. Ja, es war ein unglückliches Leben, aber auch wunschlos. Wie geht das zusammen? Das erklärt Peter Handke besonders und bemerkenswert, distanziert und nah. Dabei ist man fragen und wissend. Und es zu verstehen, ist nicht so schwer, doch Verständnis oder gar eine Befriedigung und Auflösung bringt dieses Verstehen nicht.

Der Ich-Erzähler und Sohn greift in die Beschreibung hinein, berichtet von dem Schreibprozess, die Arbeit und Kraft, die er erfordert. Handke verbindet hier innere und äußere Realität, schaft damit eine "Innenwelt der Außenwelt der Innenwelt".

Ein sicherlich sehr persönliches Buch, welches aber trotzdem kein Denkmal für eine Mutter wird, oder das wenigstens versucht zu werden. Nur eine Beschreibung, ein Bild, mit erzählerischen Qualitäten die mindestens an Stefan Zweig heranreichen.

Handke deckt auch hier seine Wunden schonungslos auf, lässt teilhaben an seinen Verletzungen. Seine ständige literarische "Aufarbeitung" ist ein großer Gewinn für die Literatur.

Literatur:

Wunschloses Unglück
Wunschloses Unglück
von Peter Handke

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