Sonntag, 18. September 2011

»Der Krieg« von Georg Heym

Georg Heym gilt als einer der wichtigsten Lyriker des frühen literarischen Expressionismus. Georg Heym hinterließ rund 500 Gedichte und lyrische Entwürfe.

Unter den Gedichten der Hauptschaffensphase, also ab Januar 1910, finden sich die bildgewaltig-düsteren und holzschnittartigen Visionen von Krankheit, Krieg, menschlichem Zerfall, dem Untergang des Einzelnen und dem Triumph der anonymen Masse.

Ab Januar 1910 entstanden die bildgewaltigen lyrischen Kunstwerke, die Georg Heym posthum unsterblich machten, so die metapherngeladene Versapokalypse »Der Krieg« in der Fassung I vom September 1911, die vor dem Hintergrund der Zweiten Marokko-Krise letzte Gestalt fand.

    Der Krieg I

    Aufgestanden ist er, welcher lange schlief,
    Aufgestanden unten aus Gewölben tief.
    In der Dämmrung steht er, groß und unbekannt,
    Und den Mond zerdrückt er in der schwarzen Hand.

    In den Abendlärm der Städte fällt es weit,
    Frost und Schatten einer fremden Dunkelheit,
    Und der Märkte runder Wirbel stockt zu Eis.
    Es wird still. Sie sehn sich um. Und keiner weiß.

    In den Gassen faßt es ihre Schulter leicht.
    Eine Frage. Keine Antwort. Ein Gesicht erbleicht.
    In der Ferne ein Geläute dünn
    Und die Bärte zittern um ihr spitzes Kinn.

    Auf den Bergen hebt er schon zu tanzen an
    Und er schreit: Ihr Krieger alle, auf und an.
    Und es schallet, wenn das schwarze Haupt er schwenkt,
    Drum von tausend Schädeln laute Kette hängt.

    Einem Turm gleich tritt er aus die letzte Glut,
    Wo der Tag flieht, sind die Ströme schon voll Blut.
    Zahllos sind die Leichen schon im Schilf gestreckt,
    Von des Todes starken Vögeln weiß bedeckt.

    Über runder Mauern blauem Flammenschwall
    Steht er, über schwarzer Gassen Waffenschall.
    Über Toren, wo die Wächter liegen quer,
    Über Brücken, die von Bergen Toter schwer.

    In die Nacht er jagt das Feuer querfeldein
    Einen roten Hund mit wilder Mäuler Schrein.
    Aus dem Dunkel springt der Nächte schwarze Welt,
    Von Vulkanen furchtbar ist ihr Rand erhellt.

    Und mit tausend roten Zipfelmützen weit
    Sind die finstren Ebnen flackend überstreut,
    Und was unten auf den Straßen wimmelt hin und her,
    Fegt er in die Feuerwälder, daß die Flamme brenne mehr.

    Und die Flammen fressen brennend Wald um Wald,
    Gelbe Fledermäuse zackig in das Laub gekrallt.
    Seine Stange haut er wie ein Köhlerknecht
    In die Bäume, daß das Feuer brause recht.

    Eine große Stadt versank in gelbem Rauch,
    Warf sich lautlos in des Abgrunds Bauch.
    Aber riesig über glühnden Trümmern steht
    Der in wilde Himmel dreimal seine Fackel dreht,

    Über sturmzerfetzter Wolken Widerschein,
    In des toten Dunkels kalten Wüstenein,
    Daß er mit dem Brande weit die Nacht verdorr,
    Pech und Feuer träufet unten auf Gomorrh.

 

Georg Heym, der vielleicht wichtigste Lyriker des frühen literarischen Expressionismus, hat 1911, ein Jahr vor seinem frühen Tod - gerade mal 24-jährig - das Grauen des ersten Weltkriegs mit erschütterndem sprachlichem Bilderreichtum vorausgeahnt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen