Montag, 23. September 2024

Gedanken zu Herbst

Parkbank in der Herbstsonne

Ein Herbsttag ist ein sinnliches Ereignis, denn die Natur legt ihr Kleid ab und verwandelt sich in eine stille .
Immer wieder besungen von Dichtern. Kein Wunder also, daß die Poeten in dieser Jahreszeit ihre besten Gedichte schreiben.

Der Herbst ist die Zeit der Reife und der Ernte, in der die reifen Früchte vom Baum fallen. Die Natur legt ihr Kleid ab.
Diese kühle Jahreszeit ist eine Zeit des Überganges, in der die Sonne mühsam den Schleier des Nebels zerreißt, der auf dem Land liegt.
Die tiefer stehenden Sonne lässt das goldene Herbstlicht entstehen.

Der Herbst legte sich mit seinem bunten Farbenspiel auf die Landschaft. Die Natur zeigte sich verschwenderisch in der Pracht all ihrer Farben. Sie begann nun, ihre Früchte auszuschütten. Ein Früchteteppich überzog den Boden des Waldes.

Im Zusammenhang mit der tief stehenden Sonne entsteht das goldene Herbstlicht.
Das farbenprächtige Naturschauspiel kündigt aber schon langsam den Übergang von Herbst zum Winter an.

Wenn die Tage deutlich kürzer werden und die Temperaturen allmählich sinken, tritt ein farbenprächtiges Naturschauspiel auf.
Im Goldenen Oktober ist mit der Laubfärbung der Bäume der Höhepunkt des Herbstes erreicht.

Der Herbst hatte Einzug in der Natur gehalten. Diese Zeit war ein Abschied. Die Kraft der Natur lässt nach und alles richtet sich auf den nahenden Winter ein. Der Wind trieb sein Spiel mit den Blättern, wehte das Laub von den Bäumen und wirbelte es umher bevor es zu Boden fiel.

Samstag, 21. September 2024

"Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur" von Claudio Magris

Claudio Magris

Mit 24 Jahren veröffentlichte der Triestiner Jung-Germanist 1963 seine auf Italienisch geschriebene Doktorarbeit, die ihre Generalthese bereits im Titel trug: "Il mito absburgico nella letteratura austriaca moderna" (deutsch 1966: "Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur"). Kein Literat hat das Phänomen der Habsburger Monarchie in seiner ganzen Zwiespältigkeit zwischen Sehnsucht, Ablehnung und Spott früher, genauer und scharfsichtiger erkannt als der Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels 2009, Claudio Magris. Auf ca. 361 Seiten wird der habsburgische Mythos der "guten alten Zeit" analysiert, wobei Claudio Magris oft zu dem Schluss kommt, dass sich viele Dichter nur in eine Scheinwelt flüchteten, während die Donaumonarchie unterging.



Diese enthält die bis heute wichtigste und einflussreichste Theorie, die bislang zur österreichischen Literatur entwickelt wurde; sie handelt vom habsburgischen Mythos in der modernen österreichischen Literatur. Den „habsburgischen Mythos“ konstituieren nach Magris grundsätzlich drei Elemente: Als ersten Teil sieht er die religiös aufgeladene Vorstellung eines im Zeichen einer höheren Idee gegründeten Reiches mit der Überlebenstaktik des defensiven Hinausschiebens und Sichtotlaufenlassens des Konfliktes („Das Fortwursteln, um einen Vielvölkerstaat zusammenzuhalten“).

Claudio Magris

Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur

Das weitere Element bezeichnet die positive bürokratische Mentalität und Qualität der Monarchie. Magris greift dabei auf Hugo von Hofmannsthal, Robert Musil und Franz Werfel beziehungsweise auf das Leitmotiv des „theresianischen Menschen“ zurück und sieht die Donaumonarchie von einer „wenig fühlbaren, alle Spitzen vorsichtig beschneidenden Bürokratie“ verwaltet und bezeichnet als dessen verkörperte unbestechliche Dienstpragmatik den „Workaholic“ Kaiser Franz Joseph.

Als drittes Grundmotiv ortet Magris den Hedonismus der habsburgischen Untertanen zwischen Oper, Theater, Tanzsälen, Wirts- und Kaffeehäusern mit der musikalischen Grundstimmung der Fledermaus. Der Habsburg-Diagnostiker Magris hat mit dem u. a. Grillparzer, Hofmannsthal, Musil, Bernhard, Werfel, Zweig, Roth, Bachmann oder auch die Menasses beeinflussenden „Mythos“ der österreichischen Literatur ein Eigenrecht (weg vom alpenländisch-exotischen Anhängseldenken) in der deutschen Literatur zugebilligt und gegeben.

Magris' Buch ist bis heute die wichtigste, einflussreichste Theorie, die je zur österreichischen Literatur entwickelt wurde: ein Epochenbuch über eine sonderbare Epochenverschleppung, das frisch geblieben ist wie wenige: Die seither erschienene österreichische Belletristik bestätigt ungewollt, wie triftig die damals revolutionären Ansichten des Literatursoziologen immer noch sind.

Anstatt, wie bei deutschen Germanisten üblich, die Werke der Österreicher nur als alpenländisch-exotisches Anhängsel der deutschen Literatur wahrzunehmen, billigt ihnen Magris ein Eigenrecht zu.

Claudio Magris' Buch über den habsburgischen Mythos ist in den vierzig Jahren seit seiner Entstehung selbst zum Mythos geworden, zum "Lebensroman seines Autors", ja zur "Karte seiner geistigen und kulturellen Geographie", wie Magris nun im Vorwort zur Neuauflage schreibt.

In sechs Kapiteln - von der Zeit Maria Theresias über Nestroy und Grillparzer zu Hofmannsthal, Kraus und Musil - zeichnete der damals 20-jährige Triestiner die Geschichte der habsburgischen Kultur nach und versuchte, in der Vielfalt eine "große Linie zu finden". Magris' viel diskutiertes Buch legte damit den Grundstein zu der Wiederentdeckung des k.u.k. Österreich, seiner kulturellen Kontinuitäten und politischen Brüche. Neue, durchgesehene Ausgabe.

Literatur:

Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur
Der habsburgische Mythos in der österreichischen Literatur
von Claudio Magris

Samstag, 14. September 2024

»Der Nachsommer« von Adalbert Stifter

Der Nachsommer

Der Nachsommer

»Der Nachsommer« mit dem Untertitel »Eine Erzählung (1857)« ist ein zwischen 1847 und 1857 entstandener Roman in drei Bänden von Adalbert Stifter. »Der Nachsommer«, Stifters vielleicht bekannteste Schöpfung, zählt gehört zu den großen Bildungsromanen des 19. Jahrhunderts. Im Stil des Biedermeier erzählt der Entwicklungsroman die Lebens- und Familiengeschichte seines Protagonisten, der im Verlauf des Buches zu einem reifen Mann wird.

Es gibt Romane, die sind wie eine nacherzählte Lebensgeschichte, welche das eigene Leben im milden Licht eines geglückteren Entwurfes erscheinen läßt. Der »Nachsommer« ist eine literarische Annäherung an Adalbert Stifter. Mit seiner durch und durch autobiografischen Grundierung ist das Werk an Stifters Leben entlanggeschrieben und vergegenwärtigt dieses Leben. Es ist der idealisierte Entwurf eines geglückten Lebens und zugleich auch die Korrektur von Stifters eigener Geschichte. Nachdem es das erste und eigentliche Mal ganz anders war, liefert der Autor, der ein Dichter und Träumer war, gewissermaßen die verbesserte Ausgabe. Dieses Mal glückt alles. Also kein vaterloses, gefährdetes Leben, gefolgt von einem lebnslänglichen Chaos wie bie Stifter, sondern eben ein Leben, das man ein glückliches nennen kann.

Ein junger Naturforscher bittet in einem abgelegenen, über und über mit Rosen bedeckten Landhaus um Unterschlupf vor einem drohenden Gewitter. Er wird von dem älteren Hausbesitzer freundlich aufgenommen, kehrt auf seinen Reisen immer wieder dorthin zurück und heiratet schließlich die Ziehtochter seines Gastfreundes. Mit diesen Sätzen wären die knapp 800 Seiten von Stifters „Nachsommer” schon so gut wie vollständig zusammengefasst.

Der Nachsommer
Der Nachsommer

Die Handlung dreht sich um die verschieden gearteten Leben zweier Paare, wobei das jüngere von beiden in Glück und frischer Liebe schwebt, das ältere hingegen durch seine Seelenreife und gemeinsamen Erlebnisse andere Empfindungen der Zufriedenheit verspürt - gewissermaßen einen Nachsommer ihrer Liebe durchlebt. Dabei gelingt es der jungen Beziehung, von den Erfahrungen des älteren Paares zu lernen und zu profitieren.

Zwei liebende Paare stehen im Vordergrund dieses warmherzigen Romans: Das jüngere beschließt nach schüchterner Annäherung schließlich zu heiraten, das ältere erlebt eine späte Liebe »in Glück und Stetigkeit, gleichsam einen Nachsommer ohne vorhergegangenen Sommer.«

Adalbert Stifter

Entschleunigung ist der Schlüssel zu diesem Buch. Wer dieses Tempo nicht annehmen kann oder mag, dem muss »Der Nachsommer« als Krönung der Langeweile erscheinen. Allerdings entgeht diesem Leser dann auch ein Kunstwerk des humanen Entwicklungs- und Bildungsideals, welches eben die Seele des Werkes ist.

Natürlich ist dieses Bildungsideal in der jetzigen Welt, in der Bildung rein marktwirtschaftlich wettbewerblich verstanden wird und nicht die Entfaltung und Entwicklung der eigenen Persönlichkeit zum Zweck hat, so weit außerhalb unseres Radars, dass dieses Buch heute wohl kaum noch die Leser findet, die es verdient.

Der Entwicklungsroman ist an der Biografie seines Autors entlanggeschrieben. Er ist ein idealisierter Gegenentwurf zu seinem tatsächlichen Leben.

»Der Nachsommer« wurde gerade von Schriftstellern bewundert und geliebt. Die Bewunderer Stifters unter den Lesern, die selbst schreiben, sind und waren zahlreich. Schließlich geht es hier um die Sprache als seine Weise der Vergegenwärtigung der Welt.

Stifters Nachsommer ist kein schlechtes Werk, doch ist es wahrlich nur für sehr geduldige Leser geeignet. Ich mag Bildungsromane, die meist durch eine gewissen Stille geprägt sind. So fand ich zum Beispiel Hesses Glasperlenspiel sehr schön. Auch die ersten paar hundert Seiten des Nachsommers fand ich noch ansprechend. Ich mochte die Atmosphäre, die Sanftheit, die Naturbeschreibungen. Aber irgendwann fand ich es einfach zu übertrieben.

Die immer wiederkehrende Beschreibung unwesentlicher Details, die endlosen Monologe über Kunst, Kultur und Politik sowie das vollständige Ausbleiben von Handlungsfortschritten waren mir irgendwann zu viel. Dann begann ich, die Seiten enttäuscht zu überfliegen. Ich hatte den Eindruck, Stifter versuchte hier krampfhaft, seine gesamte Weltsicht en detail in einen Roman zu pressen. So entstand aber ein Missverhältnis zwischen der mangelnden Handlung und dem Übermaß an Darlegung der Weltanschauung.

"Ein Klassiker ist ein Buch, das jeder lobt und niemand liest.", sagte Mark Twain einmal.
Dieses Buch ist ein Klassiker und verdient es, nicht nur gelobt, sondern auch gelesen zu werden.
In der Tat macht es der Autor dem Leser nicht leicht, in erster Linie deswegen, weil man zur Lektüre braucht, was vielen in der heutigen Zeit abgeht, Zeit und Muße. Wie jedes große Kunstwerk erschließt sich das Buch nicht sofort und nicht beim flüchtigen Lesen.

Literatur:

Der Nachsommer


Der Nachsommer von Adalbert Stifter - Gebundene Ausgabe - 1. Januar 2007

»Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch« von Jean Paul


Es ist ein Reisebericht, in dem der Luftschiffer, Jean Paul als dessen Sprachrohr, die Montgolfiere aufsteigen lässt, zu fantastischen, skurrilen Ausflügen über Deutschland, bis in die Schweiz und die Schweizer Berge. Dabei schaut Giannozzo, über den Dingen schwebend, jedoch noch nah genug, um alles Wesentliche zu sehen, mit einem spöttischen, höhnischen, teilweise auch beseelten, ja extrem sentimentalen Blick auf seine Zeitgenossen und karikiert den damaligen kleinbürgerlichen, ich-bezogenen Zeitgeist.


Die Luftschiffausflüge entstehen in der Imagination und sind Zeugnis dafür, dass der Autor sowohl unter der Betrachtungsweise, Metaphorik als auch Mystik, seiner Zeit weit voraus war. Jean Paul erweist sich darüber hinaus auch in diesem Werk wieder einmal als ganz genialer Sprachschöpfer, als Meister des ironischen, satirischen und humoristischen Sprachstils.

»Noch sonnen die goldgrünen Alpen ihre Brust, und herrlich arbeiten die Lichter und die Nächte in den aufeinander geworfenen Welten der Schweiz durcheinander; Städte sind unter Wolken, Gletscher voll Glut, Abgründe voll Dampf, Wälder finster, und Blitze, Abendstrahlen, Schnee, Tropfen, Wolken, Regenbogen bewohnen zugleich den unendlichen Kreis.«


»Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch«, Jean Paul (1803)

Jean Paul kennt drei Wege, glücklicher zu werden: »Der erste, der in die Höhe geht, ist: so weit über das Gewölke des Lebens hinauszudringen, der zweite ist: gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, der dritte endlich ist der, mit den beiden andern zu wechseln.« Für den ersten Weg entscheidet sich Giannozzo, der sich mit seinem Luftschiff über die Erde erhebt und den Jean Paul einem Freund gegenüber als sein Sprachrohr bezeichnete.


Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch

Der Luftschiffer Giannozzo schwebt über den Dingen, im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinne. Er sieht die Welt aus einer Perspektive, die anderen verschlossen bleibt, nämlich von oben - und dabei zum Beispiel den Herrn Zensor bei außerehelichen Anbahnungen. Er nimmt regen Anteil - gerne auch als Sensation und Hauptperson - an den schalen Vergnügungen der Gesellschaft in Deutschlands Duodezfürstentümern – und hat meistens der Vorteil der uneinholbaren Flucht, wenn er es zu toll getrieben hat.

Jean Paul, 1763 geboren und 1825, gestorben steht literarisch gesehen zwischen Klassizismus und Romantik und spiegelt in seinen Werken das gesamte weltanschauliche Spektrum seiner Zeit wieder. Er war ein sehr eigenwilliger und extrem sentimentaler Autor, ein Zeitgenosse Goethes, aber sein Verhältnis zu Goethe und Schiller war immer ambivalent. Jean Paul interessierte sich für andere Wissenschaften, darunter vor allem für die Astronomie. Letzteres brachte ihm häufig den Ruf ein, er sei ein Träumer und Phantast.

Zwischen klassischem Ernst und romantischer Ironie zeichnen sich seine Werke vor allem dadurch aus, dass er mit geistreicher Ironie, in einem Potpourri von wohlwollendem Humor und beißender Satire, auch Gesellschaftskritik fokussierte, wie in dem Klassiker »Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch«. Der nicht leicht zu lesende Klassiker, 1801 geschrieben, 1803 erschienen,, ist eigentlich ein „ komischer Anhang“ ,so Jean Paul, zu seinem 900 seitigen Kardinal- und Kapitalroman »Titan«. Die bildreiche und für die damalige Zeit sehr witzige Sprache aus dem Werk »Titan« findet sich in wesentlichen Fragmenten auch in diesem „Anhang“ wieder.

Literatur:


Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch
von Jean Paul

Der historische Roman und die Realität

Mehr als jede andere Gattung muss sich der historische Roman seit jeher, in diesem Fall also seit gut zweihundert Jahren, mit der Frage herumschlagen, wie er es denn jeweils mit der Realität hält - mit dem, was wir von der Epoche insgesamt und von den Ereignissen konkret zu wissen glauben, von denen er erzählt oder die den Hintergrund seiner Handlung bilden. Populär wurde die Gattung mit den Romanen Walter Scotts, mit "Waverley" (1814) und "Ivanhoe" (1820), und geprägt sind diese Werke von einer großen Liebe des Autors zu exakt umrissenen Schauplätzen und historisch verorteten Handlungen.

"Ivanhoe" etwa beginnt mit: "Des glücklichen Englands lieblicher Bezirk, durch den der Fluss Don seine Wasser führt, trug in alten Zeiten mächtigen Wald, der mehr als die Hälfte der anmutigen Täler und Hügel zwischen Sheffield und dem freundlichen Städtchen Doncaster bedeckte", dann folgt der Hinweis auf den "Zeitabschnitt gegen Ende der Regierung Richards I., da seine im Joch der Unterdrückung schier verzweifelnden Untertanen des Königs Rückkehr aus langer Gefangenschaft heiß ersehnten, doch kaum erhofften".

Alles soll stimmen, alles soll Wirklichkeit und aus den Quellen belegt sein, und schon der frühe deutsche "Ivanhoe"-Übersetzer Karl Immermann klagte über Faktenhuberei, "müßige historische Expositionen und übel angebrachte Gelehrsamkeit", denn Scott sei "halb Historiker, halb Poet, diese Spaltung wirkt erkältend auf sein bildendes Vermögen". Immermanns Frage nach dem Verhältnis von Welt und Dichtung ließe sich jedenfalls an unsere Gegenwartsliteratur mit dem gleichen Recht, vielleicht sogar noch etwas dringlicher stellen.

Gerade in Deutschland machte Scotts Beispiel Schule, aber natürlich wirkte auch die Kritik daran nach. So betonen umgekehrt die Autoren heutiger historischer Romane gern ihre Zeitgenossenschaft durch gezielte Anachronismen oder Verweise auf die Gegenwart, indem sie ihre Protagonisten ausgesprochen modern denken und argumentieren lassen. Oder sie nutzen die Freiheit des Romanciers noch sehr viel weitergehend.

Am schönsten bringt das der englische Autor Lawrence Norfolk auf den Punkt. Im Nachwort zu seinem 1991 erschienenen Roman "Lemprière's Wörterbuch" erläutert er, dass ein Geranientopf, der in seinem Roman an einem bestimmten Moment in einer bestimmten Straße vom Fensterbrett fällt, selbstverständlich authentisch sei. Zugleich ist sein oberirdisch so überkorrekt reproduziertes London auf einem gigantischen Saurierskelett errichtet, das den gesamten Untergrund der Stadt ausfüllt.


"Mein Name sei Gantenbein" von Max Frisch - ein Spiel mit der Identität


Max Frisch

In seinem Roman "Mein Name sei Gantenbein" wendet sich Max Frisch seinem Thema der Identitätsfindung zu. In "Mein Name sei Gantenbein" spielt er virtuos mit Rollen und Personen auf der Meta-Ebene.

Frisch lässt die Hauptfigur sich in immer wieder verschiedene Situationen hineindenken, ohne daß der Roman eine wirkliche Handlung hätte.

Bitter die Ironie, daß Gantenbein erst zum glücklichen Menschen wird, nachdem er der Welt vorspielt, blind zu sein und so zu tun, als sähe er deren Fehler nicht.

Mein Name sei Gantenbein

Ist ein imaginiertes Leben denkbar - ist der Mensch gar Meister seiner selbst, frei entscheidender Erzähler seines Lebens? Gewisse Lifestyle-Bücher mögen es in teils amerikanischer Manier einfach behaupten; Max Frisch macht die Probe aufs Exempel. Gantenbein ist nur eine der Identitäten des Autors. Blind ist er scheinbar, um die anderen besser zu beobachten. Die Handlung verdient den Namen kaum; komplex geht es zu, doch zieht Frisch den Leser immer mehr in den Bann.

Frisch setzt sich in diesem Roman vermutlich stärker und deutlicher als zuvor mit dem Problem der Identitätsfindung auseinander: indem das erzählende Ich verschiedene Situationen als einer der drei Protagonisten ,,durchspielt", sucht es nach seiner eigenen Identität. Dabei findet es besonders Gefallen an Gantenbein, deshalb der Titel. Gantenbein ist in der Lage seine Rolle zu wechseln, sein Spiel mit der Gesellschaft hat Erfolg.

Max Frisch führt in "Mein Name sei Gantenbein" die Brüchigkeit menschlicher Identität vor. Das geht so weit, dass er seine Personen im Roman immer wieder neu erfindet. Der Erzähler selbst tritt in das Geschehen ein, überlegt sich, welche Rolle er annehmen will, und spielt mit der Identität der anderen Personen. Erzählung und Erzähler, Geschichte und Wirklichkeit, wahres und falsches Ich fließen auf verwirrende Art ineinander.

In keinem anderen Roman hat Max Frisch das Spiel mit der ldentität, die Frage: Was wäre, wenn ...?, mit solch leichter Hand durchgespielt wie in dem Roman "Mein Name sei Gantenbein".

Der Ich-Erzähler erfindet sich neu, nachdem er von seiner Frau verlassen wurde - er wird zum (scheinbar) blinden Theo Gantenbein. Eine besondere ldentität Wunderbar beschreibt Frisch, wie ungeniert sich Menschen benehmen, wenn sie glauben, das Gegenüber sähe sie nicht.

Eine nette Pointe: Der "blinde" Gantenbein verblüfft die Umwelt mit der Fähigkeit, bei Tisch Fische zu zerlegen. Trotzdem ein nachdenklich stimmendes Buch.

Literatur:

Mein Name sei Gantenbein

Mein Name sei Gantenbein

Samstag, 7. September 2024

»Radetzkymarsch« von Joseph Roth

Radetzkymarsch
Radetzkymarsch


Niemand hat das versunkene Habsburgerreich mit zärtlicherer Sympathie wie eine rückwärtsgewandte Utopie mythisiert als Joseph Roth (1894 bis 1939), der große Erzähler, Trinker und Monarchist aus dem Kronland Galizien. Seine Romane »Radetzkymarsch« (1932) und »Die Kapuzinergruft« (1938) halten eine delikate Balance zwischen tragischer Ironie und Sentimentalität, sie schweben zwischen Zerrbild und Musterbild.

»Radetzkymarsch« von Joseph Roth ist ein Marsch des Abgesangs der Donaumonarchie. Mit seinem Roman »Radetzkymarsch« gelangte Joseph Roth zu internationalem Ruhm. Roth zeichent drain die Veränderungen in der Habsburger Monarchie beginennd mit der Schlacht von Solferino 1865 bis zum Ende nach.

Mit Leib und Seele ist der feinfühlige Offizier Carl Joseph Trotta ein Kind Österreich-Ungarns: Der Großvater, der als Soldat dem damals noch jungen Franz Joseph I. das Leben rettete, ziert als 'Held von Solferino' die Geschichtsbücher, der Vater steht als Beamter ganz im Dienst des Kaiserreichs.

Während die einst mächtige Donaumonarchie ihren schleichenden Niedergang erlebt, keimen in dem Sohn Schwermut und Schuldgefühle. Joseph Roths kunstvoll-melancholischer Roman von 1932 zählt wegen seiner stilistischen Brillanz zu den Glanzstücken der europäischen Literatur.

Bei Roth vollzieht sich das Schicksal des Beamten- und Offiziers-Clans derer von Trotta übrigens parallel zum Untergang der Monarchie: Bezirkshauptmann Franz von Trotta, ein treuer Staatsdiener, der seinem Kaiser bis hin zur Backenbartmode untertänigst nacheifert, stirbt nicht zufällig am Tag der Beisetzung Franz Josephs im Jahr 1916.

Ein sehr schöner Klassiker, der die Zeiten des alten Österreichs noch einmal aufleben lässt und anhand der sehr schön gestalteten Charaktere ein tolles Sittengemälde von damals wiedergibt.

Roth, das nomadisierende Chamäleon, unterlag dabei zahlreichen Wendungen in seinem Leben: Er begann als Gefühlssozialist und endete als kakanischer Monarchist, ja Legitimist: Die Unantastbarkeit des habsburgischen Geschlechts stand für ihn außer Frage.

Literatur:

Radetzkymarsch


Radetzkymarsch von Joseph Roth