Samstag, 22. Juni 2024

»Die Odyssee« von Homer

Die Odyssee
Die Odyssee

Das griechische Epos »Odyssee« schildert die abenteuerliche Irrfahrt des griechischen Gottes Odysseus und die Kämpfe um die kleinasiatische Stadt Troja.

Odysseus gerät nach dem Sieg über Troja, da ihm einige Götter missgünstig sind, in allerlei Abenteuer in der Ägäis und sonstwo (wer erinnert sich nicht an die Kirke, die Sirenen, den Zyklopen, Skylla und Charybdis etc.), die ihn am Heimkehren hindern, während zu Hause allerlei Freier sein Haus und seine Gattin belagern, um sich in beider Bessitz zu bringen, während sie schmausend und trinkend seinen Vieh- und Weinbestand verprassen.
Am Ende kehrt aber Odysseus dann doch heim und dank Tricks und Beistands der göttlichen Athene sowie einiger Getreuer ermordet er die unbewaffneten Freier und lässt auch noch die wehrlosen Mägde, die seiner während der Abwesenheit spotteten, am Halse aufhängen.

Jahre nach dem Ende des Trojanischen Krieges ist der griechische Held Odysseus noch immer nicht nach Ithaka zurückgekehrt. Die meisten Leute denken, dass er tot ist. Schon bald lässt uns Homer wissen, dass Odysseus auf der Insel der Göttin Calypso gefangen gehalten wird. Oh, und der Meeresgott Poseidon ist bei Odysseus verärgert und sieht keinen Grund, ihn nach Hause zu lassen.

Bei seiner Rückkehr nach Ithaka 20 Jahre späterwird Odysseus' Frau Penelope von einer Horde unerwünschter Freier überhäuft, bereit, den "toten" Odysseus zu ersetzen und natürlich nach Penelopes Hand und dem Thron der Insel zu suchen! Die Freier haben sich im Palast niedergelassen und weigern sich zu gehen, bis Penelope einen von ihnen als ihren Ehemann akzeptiert.

Odysseus wird viel gelobt. Von Göttern, von seinen Untergebenen, seiner Frau, den Lesern des Texts über Jahrhunderte. Doch wenn man sich sein Verhalten und seine Gedanken mal genauer anschaut, ergibt sich kein so wirklich erbauliches Bild: Das erste, auf das er sinnt, als er nach jahrelanger Irrfahrt nach Hause kommt, ist nicht, seinen Familie in die Arme zu schließen. Nein, er denkt an Rache. Blutige Rache, und eine seiner Ängste dabei ist, dass er allein nicht alle Freier seiner Frau erschlagen können wird, dass er dazu Hilfe braucht.

Dass Homers Texte an Brutalitäten nicht sparen, sollte jedem Leser, der die eigentlich unbedingt vorher zu lesende Ilias kennt, klar sein. Dagegen gehts in der "Odyssee" doch recht zivil zu, nur der Schluss glänzt in bester Arnold-Schwarzenegger-Manier mit einem wirklich gut gemachten Showdown, der sogar heutigen, abgehärteten Lesern kurz den Atem stocken lässt, weil er in dieser Form etwas unerwartet kommt.

Die größte Überraschung vieler Leser wird allerdings sein, dass sich die Odyssee eigentlich nur zweitrangig mit den Irrfahrten des Titelhelden beschäftigt. Viele der Szenen, die heute jeder aus Film, Fernsehen und anderen Adaptionen kennt, wie die Blendung des Kyklopen oder die Wachspropfen in den Ohren der Mannschaft, um den Sirenengesang zu mildern, werden auf wenigen Seiten abgehandelt.

Das Hauptaugenmerk liegt für Homer nicht in den Abenteuern der Irrfahrt, sondern in der Heimkehr eines verloren geglaubten Helden, mit dessen Art, mit Verlust und Heimweh umzugehen, und mit einem Umfeld in der Heimat, das sich völlig verändert und still vom einst geschätzten Hausherrn entfremdet hat. Dabei entsteht ein dichtes Psychoprofil eines trotz endloser Widerstände nie aufgebenden Menschen, das trotz seines Alters von 3.000 Jahren unglaublich modern, aktuell und vor allem kraftvoll ist:

Zuhause ist Odysseus mehr ein Fremder in einem fremden Land (geschickt vom Dichter wird die innere Entfremdung durch Odysseus' äußere Verwandlung durch Athene angedeutet), als auf all den vielen Stationen seiner Reise. Viele Kriegsrückkehrer aus allen Jahrhunderten werden seine Gefühle verstehen können.

Trotz des bluttriefenden Endes erweist sich der Dichter Homer als virtuoser Geschichtenerzähler, der mit seiner blumigen Sprache die prangenden, mannhaften Helden in ihren pferdenährenden Landschaften adjektivtriefend zur Geltung kommen lässt. Jeder Literaturfreund sollte daran seine Freude haben. Auch ist die Geschichte, die ja am Ursprung der abendländischen Dichtung steht, auch heute noch aktuell und gut verständlich, eröffnet auch einen malerischen Blick auf die altgriechische Gesellschaft und ist ein Stück Sittenbild.

Diese Modernität und Kraft spürt man allerdings kaum, wenn man sich mit der uralten, für mich zumindest kaum lesbaren versmaßtreuen Übersetzung von Voss Homer nähert. Dort geht alles in einem Gewust von toten Wörtern, gezwungenen, künstlichen Reimen und undeutscher Satzstellung unter - man beschäftigt sich so sehr damit, das Deutsch Vossens zu verstehen, dass man den Sinn und die Atmosphäre des Texts gar nicht mehr würdigen kann.

Daher ist Wolfgang Schadewaldt um so mehr zu danken, der mit dieser Prosaübersetzung eine wunderbar lesbare und trotzdem nicht zu modernisierte Fassung des uralten Epos vorlegt. Man spürt das Alter des Texts, den Rhythmus, die Sprachgewalt, und es geht nichts verloren, wenn Schadewaldt den Hexameter fallen lässt. Der heutige Leser darf daher keine Sprache wie in einem modernen Roman erwarten.


Weblinks:

Eine Reise in die Mythologie; Ithaka & Homers Odyssee - www.itinari.com

Homer -Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de



Homer-Zitate - Zitate-Portal - www.die-zitate.de


Literatur:

Die Odyssee
Die Odyssee
von Homer

Ilias Odyssee
Ilias Odyssee
von Homer

»Peer Gynt« von Henrik Ibsen

Peer Gynt

»Peer Gynt« entstand auf der Vorlage norwegischer Feenmärchen von Peter Christen Asbjørnsen. Sie waren zwischen 1845 und 1848 unter dem Titel »Norske Huldre-Eventyr og Folkesagn« erschienen. »Peer Gynt« nimmt sehr viel Anleihen an norwegischen Märchen, es wimmelt darin von Trollen und anderen Gestalten.

Der Romanheld Peer Gynt basiert auf einer historischen Figur aus dem 17. Jahrhundert, die im norwegischen Gudbrandsdalen gelebt hat. Henrik Ibsen schuf mit »Peer Gynt« nach der Vorlage einer alten norwegischen Sage vor 150 Jahren ein zeitloses, sinnliches, von Phantasie und skurrilen Figuren überbordendes Theaterfeuerwerk, voller Wärme und Humor, eine schonungslose Selbstanalyse, ein bezauberndes, trauriges, fröhliches, grimmiges Theatermärchen.

Ibsen kreierte einen schelmischen Taugenichts, der auf der Suche nach sich selbst ist und mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert wird.

Peer Gynt i Dovregubbens Hall

Wenn Peer Gynt anfängt zu erzählen, wissen alle: er lügt! Aber er lügt so phantasievoll und charmant, dass die Dorfbewohner seine Geschichten immer wieder hören wollen. Er träumt sich in eine bessere Welt hinein, seine verwitwete Mutter und die bitterarmen Nachbarn lassen sich immer wieder von ihm einwickeln.

"Ich habe nicht, aber ich bin, und wie ich bin, bin ich." [...] Und vielleicht Ist der
Menschenheld nicht die monströse Ausnahme, sondern einer, der Wiederholung besser meistert."
(Ralph Waldo Emerson: in Erfahrung)

Wenn man der Intuition Paul Valerys folgt, der betont, dass der Mensch durch Abstraktion gestaltet und so aus der Zeit und dem Kosmos genommen werden kann, dann kann er als der Eigene benannt werden. "Der Mensch wird nicht ein anderer den er zuvor gewesen, nein, er wird er selbst. [...]; denn das Große ist nicht, dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein; und das vermag ein jeder Mensch, so er will", lesen wir bei Kierkegaard.

Nimmt man diese beiden Prämissen, ist man im Kern des Versdramas in 5. Akten des größten norwegischen Literaten: Henrik Ibsen (1828-1906). Sein Peer Gynt ist ein Sich-Suchender und wie viele Romane dieser Zeit, so fordert auch Ibsen seinen Protagonisten, das eigene Leben neu zu gestalten. Wenn du Leben in dir hast, so kommt es zu dir auf unbekannten und ungewohnten Wegen, ist eine Botschaft von R.W. Emerson in seinem Essay: Selbstvertrauen. Diese ungewohnten Wege entdecken wir hier bei Ibsen, dem an Ideen, Phantasien und Humor nichts fehlt.

"Peer, du lügst!" So direkt stößt Ibsen den Leser in das Versdrama und alles wird klar. Was nun kommt, ist Phantasie, Möglichkeit, Abwägen oder um Kierkegaard zu folgen, die große Frage des Menschen nach dem Selbst oder nach dem Verhältnis, oder besser, was man sein will, wenn man sich selbst sein will. Peer weiß, der er er selbst sein will, weiß aber nicht wie. Und so führt Ibsen ihn in die Welt der Phantasmen, in der er jede beliebige Person sein kann. Er prüft praktisch verschiedene Verhaltensweisen, Denkweisen, um zu lernen durch Entwicklung. Seine Beziehung zu Frauen, zur Mutter wird vielschichtig abgewogen, sein Wille, mehr zu werden als das er ist, läßt ihn zum König, Kaiser werden, ihn durch Wüsten reiten oder vor dem großen Meer staunen, als Metapher für das Rätselhafte, dass kommen soll.

Wenn das ewig Weibliche für Ibsen und Peer bemüht wird, dann lesen wir direkt die Anverwandlung von Goethes Faust II, (vielleicht liegt darin die Ursache, dass Peer Gynt der Faust des Nordens genannt wird) Aber insbesondere geht es um die Kristallisation des "gyntschen Ichs, - das ist das Heer / Von Wünschen, Lüsten und Begehr, -". Dieses als eine Version der Selbstfindung zu sehen, heißt die Möglichkeit zu prüfen. Aber der größere Wert liegt im "wahlfreien Lauf" des Lebens. Hier steht die große entweder-oder Position, nämlich alles ohne Wahl zu bekommen oder ins Nichts zu gehen, wo keine Wahl mehr notwendig ist. "Was sei des Mannes Streben? / Er selbst zu sein, er selbst - nicht wahr?" Mag hier noch durch die Frage Zweifel angedeutet sein, so kann man sicher sein, dass Peer Gynt in all seinen Eskapaden nicht verzweifelt ist. Furcht tritt auf für den Augenblick, keine Angst. Auch hier steht Kierkegaard Pate, denn die Unterscheidung zwischen Furcht und Angst ist bewusst gewählt.

Peer Gynt ist also zunächst ein lauter Prahler, ein vorgeblicher Alleskönner, dem nichts zu schwer, nichts zu probieren, zuwider ist. Er raubt die Braut während der Hochzeit, will beliebig tanzen ohne eingeladen zu sein, streitet mit seiner Mutter, die ihn einen Lügner nennt, wie den Vater einen Säufer. Verprasster Reichtum läßt die Gynts verarmen, nur die Versprechungen eines Nichtsnutz Peer blühen ins Phantastische, auf den die Mutter dennoch nichts kommen lässt. Die geraubte Braut Ingrid läßt er nach einem Tag laufen, flieht in den Wald, trifft auf Trolle, Dämonen und Kobolde, erfindet eben jene Phantasiegeschichten und letztendlich, müde von all dem, kommt er zurück in den Schoß seiner Geliebten Solvejg, umschienen von der romantisch untergehenden Sonne. Sie war wartend wissend ihrer Liebe, Peer mußte durch das Leben streifen, um zu entdecken, was sein Leben sein soll, was sein Leben ist, was sein Selbst ist. "Wo war ich? ist seine Frage und Solvejg in der Anverwandlung an 1Kor 13,13: "In meinem Glauben, in meinem Hoffen und in meinem Lieben."

Nun mag dieses als happy-end zum Lebensende erscheinen. Peer Gynt stirbt wie einst Apollo in John Keats Hyperion ins Leben ("Ein Tod voll Leben"). Doch die Symbolik eines Ibsen macht dieser Idee einen Strich durch die Rechnung. Richtig gefunden hat Peer seine Liebe ("Hier war mein Kaisertum"), sich selbst betrachtet er jedoch wie eine Zwiebel, der man Schale um Schale entfernt und dann auf keinen Kern stößt. Peer Gynt hat also bildreiche Episoden seines Lebens beschrieben, aber noch nicht seinen wahren Charakter. Aber vielleicht ist hier auch eben jene hellenistische Botschaft, dass nur dort die Dinge im rechten Lichte erscheinen, wenn wir sie wirklich leben: im Tun, in Taten lösen sich die Rätsel der Sprache, wie Hofmannsthal es mal formulierte. Ibsen war mit diesem Versdrama "Peer Gynt" und der darin liegenden Sprachkraft wegweisend für die Jugendbildung des Carlo Michelstaedter, der u.a. hier die Wahrheit des Augenblicks als Überzeugung entdeckte. Ihm und seinen Freunden hat Claudio Magris später jenes andere Meer gewidmet als bravouröse Erzählung.

Harold Bloom hält Ibsen für den bedeutendsten westlichen Bühnenautor seit Shakespeare. Shakespeare hat den Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Bei Ibsen gibt es auch Menschen, doch sieht man scharf und genau, dann entdeckt man Ibsens Klasse in der Schärfe der Betrachtung eines Menschentypus, eben diesen Peer Gynt, ironisch, reflektierend, sich selbst kopierend. Ibsen über Ibsen: "Es muss ein Troll mir die Feder führen."


Gynt ist ein "halber Sünder", weder gut noch schlecht - er ist ein unernster Renommist. "Peer Gynt" ist neben seinen realistischen Meisterwerken wie z.B. "Nora" eines der großen, zeitlosen Stücke des großen Norwegers Henrik Ibsen.

Literatur:


Peer Gynt
von Henrik Ibsen


Peer Gynt
von Henrik Ibsen

Samstag, 15. Juni 2024

Parzival-Epos

Pazival

Parzival ist ein Epos von Wolfram von Eschenbach. Eschenbach konnte weder lesen noch schreiben. Seine Gedichte sagte er einem Schreiber vor. Sein Parzival ist eine der tiefsten und gedankenreichsten Schöpfungen mittelalterlich-höfischer Dichtung, die zwischen 1203 und 1210 entsanden sein muss. Im Parzival verschmolz Eschenbach zwei große Sagenkreise: die Sage vom heiligen Gral und die Sage von König Artus und der Tafelrunde. Auch Elemente der Lohengrin-Sage sind hierin angelegt. Die Wandgemälde im Sängersaal von Neuschwanstein zeigen verschiedene Episoden aus dem Parzival-Epos.

Wolfram von Eschenbachs Roman über den "tumben Tor" Parzival, der unter allen Umständen Ritter von König Artus und seiner Tafelrunde werden wollte, gilt als Literaturschlager seiner Entstehungszeit. Mit fast 25.000 Versen ist der "Parzival" das längste deutsche Erzählwerk dieser Epoche und mit über hundert Abschriften auch eines der beliebtesten im Mittelalter. Das liegt vor allem an den Themen, die Wolfram von Eschenbach ansprach:

Es geht um ritterliche Ideale, verwoben mit christlichen Tugenden – um weltliche und religiöse Lebensfragen. Der naive Adlige, der nichts von höfischen Sitten und ritterlichen Idealen weiß und sie erst mühsam erlernen muss, wird nach harten Prüfungen schließlich zum Hoffnungsträger: Er soll eine Welt aus Gewalt und Leid erlösen und christliche Ideale erneuern.

Im Parzival-Epos wuchs der Titelheld ohne Kenntnis seiner adligen Abstammung in der Wildnis auf. Als er Rittern begegnete, machte er sich auf die Reise, selbst ein Ritter zu werden. Sie führte ihn auf die Gralsburg, wo ein neuer Gralskönig gesucht wurde. Doch Parzival stellte nicht die alles entscheidende Frage, die ihn als würdigen Nachfolger für Anfortas erwiesen hätte.

Seine Suche nach dem Heiligen Gral ist zugleich die Suche nach einem gottgefälligen Leben, ohne der Welt zu entsagen. Die Geschichte Wolframs spiegelt die Ordnung in Europa um 1200 wider, mit all ihren Vorstellungen, Tugenden und Werten, aber auch Fehden, Konflikten, Kriegen. In einer Zeit des Umbruchs ist der Roman nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen jener Epoche, sondern auch die Suche nach einem neuen Selbstverständnis des Ritterstands. Die Kreuzzüge im fernen Orient, der Thronstreit im eigenen Land und das Aufstreben der Ritterorden bilden den Hintergrund, vor dem Parzival seinen Weg zu Gott finden muss, um christlichen Begriffen wie Liebe und Hoffnung neuen Sinn zu verleihen.

http://www.koenig-ludwig-schloss-neuschwanstein.de/schloss-neuschwanstein/sagen/parzival-epos/ Das Parzival-Epos

»Alle Menschen seh ich leben« von Novalis



Alle Menschen seh ich leben
Viele leicht vorüberschweben
Wenig mühsam vorwärtsstreben
Doch nur Einem ists gegeben
Leichtes Streben, schwebend leben.

Wahrlich der Genuß ziemt Toren
In der Zeit sind sie verloren,
Gleichen ganz den Ephemeren[.]
In dem Streit mit Sturm und Wogen
Wird der Weise fortgezogen
Kämpft um niemals aufzuhören
Und so wird die Zeit betrogen
Endlich unters Joch gebogen
Muß des Weisen Macht vermehren.

Ruh ist Göttern nur gegeben
Ihnen ziemt der Überfluß
Doch für uns ist Handeln Leben
Macht zu üben nur Genuß.


»Alle Menschen seh ich leben« von Novalis




Novalis-Gdichte:

Gedichte
Gedichte
von Novalis

Die Philosophie im Werk von Thomas Bernhard

Thomas Bernhard

Wer Bücher liebt, wer sich für die Machart von literarischen Texten interessiert, wird immer auch auf die philosophischen Inhalte eines Autors achten, auf die formalen Extravaganzen, das Eigenwillige und Einmalige.

Die Philosophie spielt im Werk von Thomas Bernhard eine zentrale Rolle. In seinen Texten finden sich mannigfache direkte und indirekte intertextuelle Bezüge, die von Michel de Montaigne und Blaise Pascal bis Gottlob Frege und Ludwig Wittgenstein reichen. haben Anklang gefunden

Bereits als Knabe studierte er, angeleitet von seinem Großvater, dem Schriftsteller Johannes Freumbichler, Hegel, Kant, Kierkegaard und Schopenhauer. Bernhard selbst bezeichnete sich als eine Art „philosophischen Aasgeier“.

Doch reicht die Bandbreite seiner - stets apodiktisch vorgetragenen - Aussagen bezüglich des Wertes der Philosophie von absoluter Bejahung bis hin zur uneingeschränkten Ablehnung. Die Philosophie sei ihm einerseits nicht weniger als „die mathematische Lösung des Lebens“, die den Ausweg aus der als sinnentleert empfundenen Welt bietet. In Der Weltverbesserer dagegen heißt es:

„Einmal habe ich Montaigne vertraut / zuviel / dann Pascal / zuviel / dann Voltaire / dann Schopenhauer / Wir hängen uns so lange an diese / philosophischen Mauerhaken /
bis sie locker sind / und wenn wir lebenslang daran zerren / reißen wir alles nieder."

Mit Wittgenstein verbindet der Hang zu philosophischer Betrachtung und ebensolcher Sicht auf die Welt. Wittgenstein fungiert in dem Stück als Professor in Cambridge lediglich als eine literarische Andeutung in Gestalt des Professors Josef Schuster.

Die Besonderheit an Ludwig Wittgenstein war sein radikal neuer Denkstil. Ein unreflektierter Sprachgebrauch und die konventionelle Verwendung von Begriffen innerhalb der Philosophie sind für Wittgenstein die Ursache der Verwirrung beim Lösen philosophischer Probleme. Die sinnvolle Sprachverwen dung einer normalen Sprache in sinnvollen Kontexten ist sein Lösungsansatz. Wittgenstein lieferte jedoch keine explizit formulierte Theorie und ließ trotz seiner konzisen, klaren Sprache Spielraum für die eigenen Gedanken des Lesers.

Als Erster seiner Berufsgattung die Sprache in den Mittelpunkt seiner Theorien gestellt und eigene Theorie über Sprache entwickelt. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, lautet ein seine Weltsicht fundierendes Diktum. Der österreichische Philosoph übte mit seiner Theorie über Sprache einen wesentlichen Einfluß auf die Literatur aus.

Thomas Bernhard hat, noch ehe er auch als Theaterautor reüssierte, sein Schreiben einmal als performativen Akt charakterisiert: Man denke sich eine Bühne in totaler Finsternis, auf der es, sobald die Worte erscheinen, allmählich licht wird.

Montag, 3. Juni 2024

Franz Kafka 100. Todestag

Franz Kafka

Franz Kafka starb vor 100 Jahren am 3. Juni 1924 im Alter von nur 40 Jahren in einem Lungensanatorium in Kierling bei Klosterneuburg in Niederösterreich.

Der Prager Schriftsteller gilt als der wohl rätselhafteste und vielschichtigste Autor der Moderne. Alle seine Prosawerke stellten den Menschen in einer Art Selbstentfremdung dar.

Franz Kafka

Kafka zählt zu den wenigen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts, welche den größten Teil ihres literarischen Werkes nicht als freie Schriftsteller, sondern neben einer sie voll in Anspruch nehmenden Berufsarbeit geschrieben haben. Dieser Umstand führte dazu, dass Kafka zeit seines Lebens nicht als Schriftsteller wahrgenommen wurde.

Auch Kafka widerfuhr eine seltsame Verwandlung als Schriftsteller. Bei Tage führte er das Leben eines Versicherungsbeamten, bei Nacht verwandelte er sich während der ekstatischen Exerzitien des Schreibens in den bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

Wenngleich Kafka seine Arbeit mit bestem Gewissen versah und als zuverlässig und genau galt, waren die Stunden im Büro für ihn eine Belastung. Er sah die Arbeit stets als Hindernis für das Schreiben, dem er meist nachts nachging.

Franz Kafka zeichnete in seinen Romanen das Bild einer düsteren Welt, in der der ohnmächtige Einzelne anonymen, undurchschaubaren Mächten und Machtinstanzen gegenübersteht und denen er ausgeliefert ist. Wie in einem Albtraum bewegen sich Kafkas Protagonisten durch ein Labyrinth undurchsichtiger Verhältnisse und sind anonymen Mächten ausgeliefert.

Die beklemmende Welt der Kafka'schen Protagonisten, die im Bannkreis unsichtbarer, bedrohlicher Mächte leben, ist durch Verstörung und vitale Erschöpfung gekennzeichnet.

Zu Lebzeiten war Kafka der breiten Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt. Seine Skepsis gegenüber seinem Werk und seiner Dichterexistenz überhaupt ging so weit, dass er seinem engsten Freund und Nachlassverwalter Max Brod auftrug, seine unveröffentlichten Texte (darunter alle seine Romane) zu vernichten.

Überzeugt, "daß ich mich mit meinem Romanschreiben in schändlichen Niederungen befinde", hatte Franz Kafka vor seinem Tod, 1924, in "letzter Bitte" an seinen "liebsten" Freund Max Brod verfügt, "alles, was sich in meinem Nachlaß ... findet, restlos und ungelesen zu verbrennen".

Weltweit bekannt wurde Kafkas Werk erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zunächst in den USA und Frankreich, in den 1950er-Jahren dann auch im deutschsprachigen Raum.

Heutzutage wird er als einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts eingeschätzt. Seine Werke wurden in alle Sprachen übersetzt und seine Bücher werden in anerkannten Universitäten analysiert.

Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 im jüdischen Viertel von Prag geboren.


Weblinks:

Franz Kafka-Biografie - www.die-biografien.de


Franz Kafka-Zitate - www.die-zitate.de


Ein Roman als Biografie - oder umgekehrt - www.cicero.de

Onkels Schätze - Literatur Kafka-Nachlass - »DER SPIEGEL«

Freitag, 31. Mai 2024

»Die Legende vom heiligen Trinker« von Joseph Roth

Die Legende vom heiligen Trinker


Als »eine der schönsten Legenden, die im 20. Jahrhundert gedichtet wurde« (Marcel Reich-Ranicki) hinterließ Joseph Roth »Die Legende vom heiligen Trinker«, die kurz vor seinem Tod entstand. Joseph Roth verwebt Realität und Fiktion in einer märchenhaft erzählten Novelle. Joseph Roth hat eine wunderbare Parabel geschrieben, die seinem eigenen Leben wunderbar vorweg greifen sollte.

In dieser Erzählung wird der dem Alkohol verfallene Clochard Andreas von einem Unbekannten mit 200 Francs beschenkt. Die soll er, falls es ihm eines Tages möglich sei, in einer bestimmten Kapelle zugunsten der Heiligen Therese von Lisieux hinterlegen. Andreas geht von seinem unerwarteten Reichtum gut essen, wäscht sich, lässt sich rasieren und besucht ein Café. Dort spricht ihn ein Herr an, der seine schäbige Kleidung bemerkt und bietet ihm einen Job als Möbelpacker an. Als Lohn werden 200 Francs vereinbart.

Andreas führt die vereinbarte Arbeit gewissenhaft aus und erwirbt, weil er sich bereits einer neuen Klasse zugehörig fühlt, eine lederne Brieftasche. Am nächsten Sonntag geht er zu der Kapelle, um einen Teil seiner Schuld zu zahlen, versackt jedoch in einer Eckkneipe. Dort trifft er auf Karoline, eine verflossene Liebe. In einem Nebel von Hochprozentigem erinnert er sich, wie er vor vielen Jahren aus dem polnischen Schlesien nach Paris kam, da man in Frankreich Kohlenarbeiter suchte.

Er hatte bei Landsleuten logiert. Dabei verliebte er sich in die damals verheiratete Karoline, und als ihr Mann sie eines Tages zu Tode schlagen will, schlägt er den Mann tot. Dafür saß er zwei Jahre im Gefängnis, dann folgte sein Absturz in den Alkohol, der ihn bis unter die Brücken von Paris führte. Als ihm in der Nacht die Heilige Therese im Traum erscheint und an seine Schuld erinnert, verlässt er Karoline.

In der Reihe der Wunder, die Andreas widerfährt, entdeckt er plötzlich einen Tausend-Francs-Schein in der frisch erworbenen Brieftasche. Er wechselt sie in einem Tabac und sieht dort das Foto eines ihm bekannten Landsmanns, der inzwischen zum Fußballstar avancierte. Er spürt diesen alten Kumpel auf, wird herzlich von ihm in die Arme geschlossen, mit frischer Kleidung beschenkt und zum Essen geladen.

Am Sonntag geht Andreas wieder Richtung Kirche, um der Heiligen Therese ihr Geld zu erstatten. Doch dort trifft er auf einen weiteren Freund aus der Vergangenheit, Woitech, dem er sein gesamtes Geld schenkt, um ihm aus einer angeblichen Not zu helfen. Und wieder fließt Alkohol in Strömen.

Nun kreuzt erneut jener Herr seinen Weg, der ihm die ersten 200 Francs geschenkt hat, und der Mann schenkt ihm erneut Geld. Das verzehrt Andreas in einer Bar. Am Sonntag geht er wieder voll guter Vorsätze zu der Kapelle. Ein Polizist spricht ihn unterwegs an und überreicht ihm eine fremde Brieftasche, die er angeblich verloren habe. Darin liegen 200 Francs.

Ein Kumpel verleitet ihn jedoch erneut zum Saufen, bevor Andreas die Kirche betreten kann. An der Theke kippt er plötzlich um und wird in die gegenüber liegende Sakristei geschleppt, wo er mit einer Bewegung, als wollte er in die linke innere Rocktasche greifen und seine Schulden zahlen, einen letzten Seufzer tut und stirbt.

Und in dem Moment, da er das Geld vermeintlich abliefern soll, wie dem Herren vor der Kirche versprochen, da trifft ihn der Schlag und er fällt tot um. Unter diesen Aspekten ist der Titel "Die Legende vom heiligen Trinker" sehr treffend, denn Andreas haucht sein Lebenslicht in der Sakristei aus.

»Es gibt Dinge, die muss man vergessen. Sie sind zu schön, um wirklich zu sein.«

Joseph Roth »Die Legende vom heiligen Trinker«


Jospeh Roth ein modernes Märchen geschrieben. Mit dieser wunderschönen, märchenhaft geschriebenen Novelle setzt sich Roth mit seiner eigenen Trunksucht auseinander und macht dabei immer wieder die Ehrenhaftigkeit deutlich, die ihn sein gesamtes Leben auszeichnete. Bei Joseph Roths letztem Werk handelt es sich auch um eine Selbstreflektion der eigenen Alkoholprobleme und die Selbsterkenntnis der eigenen Unverbesserbarkeit.

Joseph Roths Novelle überzeugt durch klare Prosa und erinnert ein wenig an die Geschichte von "Hans im Glück". Der aufgrund glücklicher Fügungen mögliche soziale Aufstieg des Hauptprotagonisten wird aber letztlich durch dessen Trunksucht vereitelt.


Buchempfehlung:

Die Legende vom heiligen Trinker


Die Legende vom heiligen Trinker von Joseph Roth