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Mittwoch, 20. Juli 2016

»Harmonia Cælestis« von Péter Esterházy

»Harmonia Cælestis« heißt eine Sammlung sakraler Gesänge, die Paul Esterházy 1711 in Wien herausgab. In Péter Esterházys literarischer Chronik seiner jahrhundertelang als Inbegriff von Glanz und Gloria geltenden Aristokratenfamilie, die im kommunistischen Ungarn schließlich ihren bitteren Niedergang fand, gewinnt der Titel freilich eine vielschichtig ironische Dimension.

In »Harmonia Cælestis« (»Himmlische Harmonie«) entwirft Péter Esterházy auf über 900 Seiten das faszinierende, sich über mehrere Jahrhunderte erstreckende Lebenspanorama der ungarischen Aristokratenfamilie Esterházy, also seiner eigenen Familie. Das Buch erzählt die Geschichte seiner eigenen Familie, einer Seitenlinie ("verarmt", wie er immer wieder erklärte) des berühmten Geschlechts der Esterházy.

Statt eines Familienromans traditioneller Art hat der Autor aus Einzelgeschichten, Episoden und Stimmungsbildern eine Chronik geschaffen, in der sich Authentisches und Erdachtes zu einem beeindruckenden literarischen Vexierspiel vereinen, in dem sich der Mythos einer der einflussreichsten europäischen Familien nahezu auflöst.

»Harmonia Cælestis« von Péter Esterházy ist eine literarische Genealogie vergegenwärtigt noch einmal das "Esterházysche Feenreich" (Goethe), als könne sie erst so dessen Entzauberung richtig nachvollziehen. Denn dieser widmet sich das zweite Buch "Bekenntnisse einer Familie Esterházy", das von ihrem Schicksal im Ungarn des 20. Jahrunderts erzählt. Es ist die bewegende Geschichte von Enteignung, Unterdrückung und den Versuchen, sich trotz des plötzlich verfemten Namens in der Diktatur zu behaupten.

Harmonia Cælestis
Harmonia Cælestis

»Harmonia Cælestis« besteht aus zwei großen Teilen: Das erste Buch "Numerierte Sätze aus dem Leben der Familie Esterházy" versammelt 371 Textabschnitte, die ohne Chronologie durch die Jahrhunderte springen, ein Vexierspiel aus historischen Episoden, kuriosen Anekdoten, traurigen und heiteren Reverien, in denen der Vater als allgegenwärtige Chiffre fungiert.

Der Kontrast zwischen dem Alles und dem Nichts, die Falltiefe innerhalb der Familiengeschichte birgt natürlich großes dramatisches Potenzial, das Esterházy mit seinem Reichtum an Stilmitteln meisterhaft in Sprache zu setzen versteht. Dabei sprühen immer wieder - oft an überraschender Stelle - humoristische Funken, etwa wenn sich in ein seitenlanges, altes Register wertvollen Mobiliars aus ehemaligem Familienbesitz plötzlich banale Alltagsgegenstände wie "1 klein schwartz kasstl cum instrumentis scriptorijs, in concreto Kugelschreiber mit Tesafilm umwickelt" einschleichen.

Das scheinbar Spielerische, mit dem sich Esterházy auch in den tragischen Episoden vor jeglichem Pathos bewahrt, harmoniert bestens mit seinem scharfen, ungetrübten Blick für Menschliches und Allzumenschliches, der auch vor dem Grausamen und Lächerlichen nicht zurückscheut.


Weblink:

Harmonia Cælestis
Harmonia Cælestis
von Péter Esterházy

Sonntag, 17. Juli 2016

Schriftsteller Péter Esterházy gestorben

 Péter Esterházy

Der ungarische Schriftsteller Péter Esterházy ist im Alter von 66 Jahren gestorben. Dies berichtete eine ungarische Nachrichtenagentur am Donnerstag unter Berufung auf die Familie und den Verlag des Autors. Esterhazy hatte an Bauchspeicheldrüsenkrebs gelitten.

Péter Esterházy wurde 1950 in Budapest geboren, in der Stadt an der Donau, in der er auch lebte. Seit 1978 arbeitete er als freier Schriftsteller.

Esterházy pflegte einen geistreichen post-modernen Stil. Bekannt wurde er unter anderem durch die Werke "Kleine ungarische Pornographie" (1997), "Donau abwärts" (1992) und "Harmonia Caelestis" (2001).
Die meisten von Esterházys Romanen wurden ins Deutsche übersetzt.


Knapp zehn Jahre schrieb Péter Esterházy an "Harmonia Caelestis" (»Himmlische Harmonie«), seiner schriftstellerischen Bändigung der persönlichen Erblast. Das Ergebnis ist nicht nur wegen der über 900 Seiten ein großes Buch: gleichermaßen literarisches Denkmal einer berühmten Aristokratenfamilie und fassettenreiches Erinnerungsprotokoll, gesättigt mit ungarischer und europäischer Geschichte.

Für seinen Roman "Harmonia Cælestis" erhielt er unter anderem den Ungarischen Literaturpreis und den Grinzane-Cavour-Preis. 2004 wurde er mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Esterházy war 1980 Stipendiat des DAAD, 1996/97 Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin und Mitglied der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung sowie seit 1998 der Akademie der Künste (Berlin), Sektion Literatur.

Esterházy hielt im Wintersemester 2006/2007 in Tübingen die Tübinger Poetik-Dozentur zusammen mit Terézia Mora. Im Wintersemester 2011/2012 war er Literator, Dozent für Weltliteratur, am Internationalen Kolleg Morphomata an der Universität zu Köln.

Vor gut einem halben Jahr hatte Esterházy seine Erkrankung in seinem neuesten Buch "A bünös" ("Der Schuldige") thematisiert. "Ich glaube nicht, dass das Schreiben eine Therapie wäre, aber nachdem ich seit 45 Jahren schreibe, fehlt mir vielleicht der Überblick", hatte er einmal gesagt.

Esterházy hatte im vergangenen Oktober erstmals erwähnt, dass er an Bauchspeicheldrüsenkrebs leidet. Damals hatte er damit eher beiläufig und selbstironisch sein Fernbleiben von der Buchmesse im schwedischen Göteborg begründet. Nun ist er daran gestorben.

Literatur, die man gelesen haben sollte:

Keine Kunst
Keine Kunst
von Péter Esterházy


Harmonia Cælestis
Harmonia Cælestis
von Péter Esterházy

Freitag, 1. April 2016

Literaturnobelpreisträger Imre Kertész gestorben

Imre Kertesz

Er war der erste und bislang einzige Literaturnobelpreisträger Ungarns: Imre Kertész. Am 31. März 2016 ist er im Alter von 86 Jahren in Budapest gestorben. In seinen Romanen beschrieb der spätere Literaturnobelpreisträger das Grauen der Konzentrationslager.

Imre Kertész wurde 1929 geboren, 1944 wurde er nach Auschwitz deportiert, dann nach Buchenwald gebracht, wo er 1945 die Befreiung des Lagers erlebte. Den wesentlichen Teil seines Lebens hat er unter dem kommunistischen Regime in Ungarn verbracht. Kertész begann Mitte der fünfziger Jahre zu schreiben.

Zugleich toleriert vom Regime und sorgsam ferngehalten von der Öffentlichkeit, veröffentlichte er in äußerst überschaubaren Auflagen und kühl aufgenommen von der offiziellen Kritik Meisterwerke wie „Roman eines Schicksallosen“ oder „Der Spurensucher“. Erst mit dem Zusammenbruch des Ostblocks wurden seine Werke in aller Welt übersetzt und fanden internationale Anerkennung, gekrönt vom Literaturnobelpreis im Jahr 2002.

Er wurde erst spät zu einem international beachteten Schriftsteller. Erst nach der politischen Wende von 1989 fand er auch im Ausland ein großes Publikum.


Als das Hauptwerk von Kortész gilt sein "Roman eines Schicksallosen", in dem er seine Erfahrungen in den Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald verarbeitet hat. Von 1960 bis 1973 arbeitete er an seinem Roman, der in Ungarn erst 1975 veröffentlicht wurde.

Roman eines Schicksallosen
Roman eines Schicksallosen


Imre Kertesz als Jugendlicher im KZ

Imre Kertész wurde 1944 als 14-Jähriger nach Auschwitz und Buchenwald deportiert. Als Jugendlicher überlebte Imre Kertész das KZ Auschwitz. In seinem "Roman eines Schicksallosen" hat der Überlebende des Holocaust diese Erfahrung auf außergewöhnliche Weise verarbeitet. Er erzählt darin über seine Erfahrungen als Jugendlicher in den NS-Konzentrationslagern Auschwitz und Buchenwald.

Wie Jorge Semprun verarbeitete er sein Lebenstrauma, den Holocaust, in seiner Literatur. 13 Jahre lang arbeitete Kertész an dem Roman, er zählt zu den eindringlichsten und schmerzlich-brutalsten Schriften über den Holocaust.

Dem Leser entfaltet sich der ganze Horror der Todeslager. "Ich habe diesen Roman geschrieben, wie jemand, der sich in der Tiefe eines stockdunklen Kellers zum Ausgang hintastet", sagte Kertész über den "Roman eines Schicksallosen" einmal. Autobiografisch wollte er seine Literatur jedoch nicht verstanden wissen: "Was ich schreibe, bin ich nicht. Es ist nur eine Möglichkeit meines Ichs."

Das Buch erschien zuerst 1975 in Ungarn, wo er während der sozialistischen Ära jedoch Außenseiter blieb und vor allem von Übersetzungen lebte - u.a. der Werke von Nietzsche, Hofmannsthal, Schnitzler, Freud, Joseph Roth, Wittgenstein, Canetti.

„Denken ist eine Kunst, die den Menschen übersteigt“.

Doch nicht nur die Nazi-Diktatur blieb für Imre Kertész prägend. Er erlebte nach dem Zweiten Weltkrieg die stalinistische Diktatur in Ungarn und nach dem Aufstand von 1956 das kommunistische Kádár-Regime mit. Kertész ging es stets darum, den Menschen in totalitaristischen Systemen zu entlarven.

Erst nach der europäischen Wende gelangte er zu weltweitem Ruhm, 2002 erhielt er den Literaturnobelpreis. Seitdem lebte Imre Kertész überwiegend in Berlin und kehrte erst 2012, schwer erkrankt, nach Budapest zurück.

Kertész erhielt 2002 für sein Gesamtwerk den Literaturnobelpreis. Als erster Ungar überhaupt erhielt Kertész im Jahr 2002 den Literaturnobelpreis, doch seine Werke blieben in Ungarn lange unbeachtet:

"Ich bin ein umstrittener Autor. Es ist egal, ob ich den Nobelpreis erhalte oder einen Brief vom Verleger verweigere, das ist egal. Ich hätte trotzdem den gleichen Roman geschrieben."

In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er sich intensiv mit dem Sozialismus, den er in seiner Heimat, erlebte, auseinander. Seine Reflektionen aus dieser Zeit sind in seinem "Galeerentagebuch" niedergeschrieben, das 1992 erschien.



Seit 2002 lebte Kertész in Berlin, erst nach zehn Jahren kehrte aufgrund seiner fortschreitenden Parkinson-Erkrankung wieder nach Ungarn zurück. 2014 wurde ihm der Stephansorden zuerkannt, die höchste staatliche Auszeichnung Ungarns.

Imre Kertész wurde 1929 als Kind einer jüdischen Familie in Budapest geboren.


Weblinks:

Schriftsteller Imre Kertész gestorben - www.dw.vcom

Roman eines Schicksallosen
Roman eines Schicksallosen
von Imre Kertész

Montag, 9. November 2009

Imre Kertész 80. Geburtstag

Imre Kertesz

Imre Kertész wurde am 9. November 1929 in Budapest geboren. Kertesz ist ein ungarischer Schriftsteller jüdischer Abstammung. Er erhielt 2002 den Nobelpreis für Literatur. Er ist der erste und bislang einzige Literaturnobelpreisträger Ungarns.

Wegen seiner jüdischen Abstammung wurde er mit vierzehn Jahren im Juli 1944 (im Verlauf eines gegen Miklós Horthy gerichteten Gendamerieputsches in Budapest, der aber letztlich scheiterte) über Auschwitz in das Konzentrationslager Buchenwald und in dessen Außenlager Wille in Tröglitz/Rehmsdorf bei Zeitz verschleppt.

Am 11. April 1945 wurde er befreit und kehrte nach Budapest zurück. Diese ihn zeitlebens prägende Zeit im Lager verarbeitete er zuerst in dem 1973 vollendeten »Roman eines Schicksallosen«.

Nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst 1953 begann Kertész in Budapest als freier Schriftsteller und Übersetzer zu arbeiten. Seine schriftstellerische Tätigkeit wurde in seiner Heimat besonders nach dem Aufstand von 1956 durch die kommunistische Diktatur eingeschränkt. Seinen Lebensunterhalt sicherte er sich zunächst mit dem Schreiben von Texten zu Musicals und kleinen Theaterstücken, die er aber nicht zu seinem schriftstellerischen Werk zählt.

Als Übersetzer übertrug er unter anderen Werke von Friedrich Nietzsche, Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler, Sigmund Freud, Joseph Roth, Ludwig Wittgenstein und Elias Canetti, welche allesamt sein eigenes Werk entscheidend prägten.

1960 begann er mit der 13 Jahre dauernden Arbeit an dem Buch »Roman eines Schicksallosen«, das zu einem der bedeutendsten Werke über den Holocaust zählt und das seinen Ruhm begründete. Die meisten seiner Texte sind autobiographisch inspiriert.

Imre Kertész starb am 31. März 2016 im Alter von 86 Jahren in Budapest.

Weblinks:

Roman eines Schicksallosen
Roman eines Schicksallosen
von Imre Kertész