Als der ehemalige "DIE ZEIT"-Feuilletonist Fritz J. Raddatz, der 1985
seinen Posten wegen eines falschen Goethe-Zitates räumen musste, hat er
seine Tagebücher veröffentlicht, die fast ausschließlich von dieser
Kränkung und dem Versuch, diese Wunde zu lecken, handeln.
Die Tagebücher 1982-2001 dokumentieren in einer Rückschau den
Kulturbetrieb der alten Bundesrepublik als eine Welt, die an eine
Vorhölle erinnert. Es ist das eindrucksvoll erschütternde Dokument eines
erstarrten Kulturbetriebes.
Ein Buch wie dieses hat es noch nicht gegeben. In diesem
Bildungsroman verarbeitet er seine Erfahrungen im deutschen
Literaturbetrieb. Von Rudolf Augstein bis Marion Dönhoff, von Günter
Grass bis Hans Magnus Enzensberger zeigt es die deutschen
Intellektuellen, ja überhaupt die ganze bundesrepublikanische
Gesellschaft, wie sie so hellsichtig nie beschrieben worden ist:
wahrgenommen mit dem Sensorium eines Hochempfindsamen, subjektiv und
treffend, anteilnehmend, scharfzüngig. Das Buch, das von der Kritik
immer erhofft, von den Schriftstellern aber nie geschrieben worden ist -
der große Gesellschaftsroman der Bundesrepublik, das Balzac'sche
Porträt unserer Zeit -, hier ist es. Und vermutlich war niemand so
geeignet, es zu schreiben, wie Fritz J. Raddatz.
Die Tagebücher 1982-2001 sind ein dunkler Roman aus dem Herzen der alten BRD, voll von Schmähungen, Lob und Freundschaft.
Ein böses Sittengemälde und Medienpanorama aus jenen Jahren, als Geist
und Macht noch alliiert waren und ein Streit zwischen Federn zur
Staatsaffäre werden konnte. Ein Hamburger Sittengemälde in dieser
gellenden Epoche. Und das Leidensbuch eines Mannes, der immer wieder
Angst hat, an Deutschland krank oder verrückt zu werden.
»Nur wer unter Schriftstellern gelebt hat, weiß was Hass ist.«
Emile Zola
Raddatz erzählt von den Dramen der verbandelten, verfeindeten, ineinander verbissenen Hamburger Medien-Granden. Diese Dramen
machen einen wesentlichen Teil der Tagebücher aus. Eine hermetisch,
fast höfisch geprägte Welt tritt einem da entgegen, geprägt von
Eifersucht, Egoismus, Intrigen. Da werden Briefe gewechselt, da werden
die Messer in den Salons gewetzt, da redet man schlecht übereinander und
stößt schließlich doch mit Champagner an.
Wie ein roter Faden zieht sich Raddatzs Verhältnis zur
Wochenzeitschrift "Die ZEIT" durch das ganze Buch. Der einstige
Feuilletonchef der "Zeit" musste 1985 seinen Posten wegen eines falschen
Goethe-Zitates räumen. Der Großmeister und Neuerfinder des Feuilletons
sinniert über die Gründe seines Falls. In der Kulturszene galt Raddatz
wegen seines aufwendigen Lebensstils und seiesn Hangs zur Eitelkeit
schon länger als Störenfried. Er war ein Störenfried im deutschen
Kulturschrebergarten.
Am 12. Oktober 1985 bricht der "Skandal" los, über den Raddatz
schließlich seinen Posten als Feuilletonchef der "Zeit" verliert: Er
hatte Goethe in die Epoche der Eisenbahn versetzt. Ein kleiner -
eigentlich banaler - Fehler mit großer Wirkung für Raddatz berufliche
Karriere. Das war die Gelegenheit, den Störenfried mit seinem
"Pörschlein", wie er sein Auto nannte, loszuwerden. "Gespenstisch, meine
Vorahnungen", notiert er und sieht sich bestätigt, dass
Nachkriegsdeutschland regiert wird vom "alltäglichen Faschismus".
"Seine Eitelkeit hat uns Qualitäten beschert, aber ihn auch dazu
verlockt, bis an den Rand zu gehen und darüber hinaus", sagt Theo Sommer
von der "Zeit", wo Raddatz 1977 als Feuilletonchef begann - und einen
leidenschaftlichen, streitbaren, aufklärerischen, emphatischen,
subjektiv geprägten Kulturteil prägte, neben dem die Streber- und
Stipendiatenfeuilletons von heute noch papierener wirken.
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Fritz J. Raddatz: Tagebücher 1982-2001«
Rowohlt Verlag, September 2010. 944 Seiten, 34,95 EUR ISBN-13: 978-389-805781-7 |