Der Abenteuerroman »Herz der Finsternis« von Joseph Conrad erzählt die Geschichte von Kapitän Marlowe, der sich auf die Suche nach dem rätselhaften und grausamen Elfenbeinhändler Kurtz ins dunkle Afrika aufmacht. Auf der nächtlich an der Themsemündung in Gravesend stillliegenden Seeyacht Nellie erzählt der ehemalige Seemann Marlow seinen vier Freunden, die das Band der See eint, eine Episode aus seinem Leben.
Er beschreibt seine Sehnsucht, die letzten weißen Flecken des Globus kennenzulernen, und wie sie nach einigen Mühen dazu führte, dass er Flusskapitän wurde. Der Leser kann unschwer erkennen, dass die Geschichte am Kongo zu Zeiten des Kongo-Freistaats spielt. Marlow, der den Indischen Ozean, den Pazifik, das Gelbe Meer bereits kennt, reist also entlang der Küste eines ihm unverständlichen Afrika zur Mündung des großen Stroms und übernimmt, flussaufwärts oberhalb der Stromschnellen, seinen Flussdampfer, der zwischenzeitlich auf Grund gelaufen und leckgeschlagen ist.
Dort, in der Hauptstation der Kolonialgesellschaft, die die Schätze der einzelnen Agenten im Dschungel sammelt und weiterverschickt, stellt er während der drei Monate, die er zur Reparatur des Schiffes benötigt, die „unerhörteste Schlamperei“ fest. Er stört sich auch daran, dass die Kolonialisten den Einheimischen ihre unsinnigen Regeln brutal aufzwängen.
Marlowe hört von Kurtz, dem erfolgreichen Leiter der äußersten Station, der „mehr Elfenbein gesammelt, eingetauscht, erschwindelt oder gestohlen hatte, als alle die anderen Agenten zusammen“, zugleich sich aber auch in Europa einen Namen gemacht hatte und „so reich begabt war und dass von allen seinen Gaben die vorherrschende, die, die sich unaufhörlich bestätigte, seine Rednergabe war, seine Worte – die Gabe des Ausdrucks, die verblüffende, erleuchtende …“.
Diesem Stationsleiter Kurtz, der sich bereits seit einem Jahr nicht mehr gemeldet hat – stattdessen schickte er seinen Gehilfen mit dem Elfenbein – gilt die 800 Meilen lange Fahrt flussaufwärts. Der Direktor der Station, eine Handvoll seiner weißen Gehilfen und etwa zwanzig Schwarze, die Marlow als Kannibalen bezeichnet, begeben sich auf die Reise.
Dort angekommen stößt der junge Mann auf ein groteskes Tollhaus der Kolonialisierung, unorganisierte Lager, skurrile Landsmänner, die nichts tun als Intrigen gegeneinander zu schmieden, unsinnige Arbeiten und vor allem auf leidende unterdrückte Eingeborene. Marlowe, ein rationaler, realistischer Mann reagiert darauf mit Unverständnis und Ironie.
Beeindruckt von der Größe, der Ursprünglichkeit und der Gewalt des Urwaldes macht er sich trotzdem auf in die Tiefen der Wildnis um den geheimnisvollen Kurtz zu finden, der sich hier sowohl mit seinem äußerst erfolgreichen Elfenbeinhandel, als auch mit seiner Abgeschiedenheit einen Namen gemacht hat. Doch was er findet ist ein Mensch, dem das Gefühl für Menschlichkeit abhanden gekommen ist.
Im Sterben des ehemaligen Stationsleiters scheint sich für diesen das ganze Leben zur Essenz zu verdichten, eine nie gesehene Abfolge von Zügen wechselt über sein Gesicht, bevor er seine letzten Worte haucht: „Das Grauen! Das Grauen!“ Nach dem Tode Kurtz’, der auf einer Flussinsel beerdigt wird, fällt auch Marlow in die schwere Krankheit auf der Schwelle zum Tod und kommt erst wieder im Land seiner Auftraggeber zu vollem Bewusstsein – er meint, die Stadt erinnere an ein weiß getünchtes Grab.
»Herz der Finsternis« berichtet von den teuflischen Schattenseiten der europäischen Zivilisation ebenso wie von den düsteren Untiefen der menschlichen Seele. In seinem suggestiven, symbolisch verdichteten Meisterwerk zeigt Joseph Conrad (1857–1924), welch geringen Widerstand die Kultur, jener Kern westlichen Selbstverständnisses, dem Absturz in die Barbarei entgegenzusetzen vermag.
Literatur:
»Herz der Finsternis« von Joseph Conrad
Weblink:
Joseph Conrad-Biografie - www.die-biografien.de
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