Montag, 12. November 2018

»Verbrechen und Strafe« von Fjodor M. Dostojewski und Swetlana Geier



Den Roman mit dem ursprünglichen Titel „Schuld und Sühne“ von Fjodor M. Dostojewski hat Swetlana Geier neu übersetzt. Die Neuübersetzung . „Verbrechen und Strafe“ statt „Schuld und Sühne“ – allein am Titel merkt man schon den Unterschied. Swetlana Geier, die Grande Dame der Slawistik an der Freiburger Uni, hatte es sich zur Lebensaufgabe gemacht, die fünf großen Dostojewskij-Romane neu zu übersetzen. „Verbrechen und Strafe“ war der Erste gewesen. Als russische Muttersprachlerin ging sie mit einem ganz anderen Sprachgefühl an die Übersetzung heran. Und herausgekommen ist dabei ein völlig neues Buch.

Verbrechen und Strafe
Verbrechen und Strafe

Raskolnikow entstammt einer verarmten bürgerlichen Familie. In der schrankähnlichen Enge seines Zimmers ist der »euklidische Verstand«, der der Diener des Lebens sein sollte, zum Herrscher geworden. Raskolnikow ist Utilitarist. Um eines naturgemäß unklar gefaßten Begriffs des wissenschaftlichen oder sozialen Fortschritts willen, scheint es ihm erlaubt, eine alte Wucherin, die »nicht besser als eine Laus ist«, zu töten und mit dem geraubten Geld sein Studium zu finanzieren. Sein Herz wehrt sich ebenso wie sein Unterbewußtsein gegen die geplante Tat, doch von sozialer Not gedrängt und gefangen in lebensfeindlichen Ideen, wird er zum Mörder.

Die in St. Petersburg spielende Geschichte handelt von Rodion Raskolnikow, ein völlig verarmter Student, hat eine Theorie entwickelt, nach der es hin und wieder Menschen gibt, die über den moralischen Wertvorstellungen und den geltenden Gesetzen stehen und die daher für sie nicht von Belang sind. Natürlich ist er selbst einer dieser Menschen und konsequenterweise erschlägt er mit einer Axt eine alte Pfandleiherin, nach seiner Theorie nur eine unnütze „Laus“, um ihr Geld zu rauben. Auch ihre zufällig anwesende Schwester wird von ihm getötet.

Er entkommt unerkannt und muss nun mit diesem Verbrechen leben. Da zeigt es sich, dass er mitnichten über allem steht, er fiebert, es zerfrisst ihn von innen, während parallel dazu in der äußeren Welt die Polizei auf der Suche nach dem Mörder ist. Der frühere Buchtitel „Schuld und Sühne“ hat dabei etwas religiös Moralisierendes, während der neue Titel das Geschehen als das darstellt, was es ist: Ein Verbrechen. Das Strafe verdient. Der Ermittler kommt Raskolnikow schnell auf die Spur, so aberwitzig und wirr wird sein Verhalten. Er kann ihm das Verbrechen aber nicht beweisen, sucht nach Indizien.


"Aus hundert Kaninchen wird niemals ein Pferd und

aus hundert Verdachtsgründen niemals ein Beweis."


Fjodor M. Dostojewski, »Schuld und Sühne«



Ein tiefer Seelenroman. Ein großartiges Buch über die innere Zerrissenheit eines Täters. Wie er immer tiefer in den Strudel seines Wahnsinns hineingezogen wird. Wie er zum Gejagten seiner Selbst wird. Wie er keine Reue empfindet, aber sich vor seiner Tat ekelt. Wie die Justiz ihm das Verbrechen nachweisen will. Wie sich der Kreis der Ermittlungen immer enger zieht. Wer gibt zuerst auf? Ein psychologisches Duell der Extraklasse.

Geschrieben vor beihahe 150 Jahren und immer noch spannend. Immer wieder. Dazu als Kulissse das St. Petersburg von 1860: Pulsierendes Leben auf den Prachtboulevards und eine Straße weiter schmutzige Hinterhöfe voller menschlichem Elend. Arm und reich auf engstem Raum nebeneinander, der Nährboden für die wirren Ideen eines Raskolnikows.

Der psychologisch ausgefeilte Roman erlaubt dem Leser, sich sowohl in die Rolle des Täters als auch des Opfers hineinzuversetzen.

Es reicht nicht, diesen Kriminalroman nur einmal zu lesen: Die faszinierdenden Einblicke in die Psyche des Petersburger Studenten Raskolnikow liefern Denkanstöße für längere Zeit. Verbrechen und Strafe ist ein psychologisches Meisterwerk und meines Erachtens der beste 'Dostojewski' - Ein absolutes Muß für Freunde hochwertiger Klassiker. Dostojewskis Meisterwerk.

Weltliteratur, die man gelesen haben sollte:


 Verbrechen und Strafe
Verbrechen und Strafe
von von Fjodor M. Dostojewskij und Swetlana Geier

Schuld und Sühne
Schuld und Sühne
von Fjodor M. Dostojewski


Der Dostojewskij-Relaunch
- kaffeehaussitzer.de

Samstag, 10. November 2018

»Kapuzinergruft« von Joseph Roth

Kapuzinergruft
Kapuzinergruft

Die großen Zeiten der Donaumonarchie sind vorüber, das kakanische Reich liegt im Sterben. Die »Kapuzinergruft« ist Joseph Roth literarischer Abgesang auf die Habsburger Monarchie. Roth, das nomadisierende Chamäleon, unterlag dabei zahlreichen Wendungen in seinem Leben: Er begann als Gefühlssozialist und endete als kakanischer Monarchist, ja Legitimist: Die Unantastbarkeit des habsburgischen Geschlechts stand für ihn außer Frage.

Joseph Roths »Kapuzinergruft« ist eine kunstvolle Erzählung über die Melancholie des Untergangs und ein Abgesang auf das Habsburger-Reich in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. Ein Untergang, der in die Gruft führt. Daraus erklärt sich auch der Titel: der letzte große Kaiser dieses Reiches, Franz Joseph, ist in der Kapuzinergruft in Wien beigesetzt - der Protagonist des Romanes sucht mehrmals im Verlaufe der Handlung die Gruft auf.

Der Roman erzählt eine Familiengeschichte über drei Eopochen, in der die Politik hineinreicht, so daß das Bild einer Epoche entsteht.

Die Zeitspanne von der berichtet wird, ist die Zeit kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis zum Ausbruch des Faschismus in Österreich . Der Handlungsort ist Wien, unterbrochen von der Kriegszeit von Trottas - des Protagonisten, die er hauptsächlich in russischer Gefangenschaft verbringt.

Die Handlung kreist um die durch den Krieg orientierungslos gewordenen Hauptfigur - ein dekadenter slowenischer Adliger, ohne Ausbildung und durch Investitionen in Kriegsanleihen ohne Vermögen. Eine herausgestellte Rolle spielt auch seine Mutter, die versucht, die großbürgerlichen und adligen Ideale der Kaiserzeit in Würde bis zu ihrem Tod aufrecht zu erhalten. Trottas Frau Elisabeth stellt hierzu das Gegenbild dar - sie ist einer ungarischen Künstlerin in einer lesbischen Allianz verbunden und verkörpert in vielen Dingen den Geist der Nachkriegszeit.


Jung und frei und wohlhabend streunt der Protagonist durch Wien, bis zwei Männer in sein Leben treten: der Vetter Joseph Branco, Maronibrater aus Slowenien, der ihn um einen Gefallen bittet. Nämlich den Juden und Fiaker (Kutscher) Manes Reisiger zu empfangen, der wiederum hat einen hochbegabten Jungen, der als Violinist ans Konservatorium soll. Die drei Männer so unterschiedlich sie auch sind, freunden sich schnell an.

Der Reisiger Sohn kommt aufs Konservatorium. Zwischenzeitlich verliebt sich der junge Protagonist aus gutem Hause in eine junge Dame namens Elisabeth, was nicht den Gefallen der kalten, zurückhaltenden und sehr auf Contenance bedachten Mutter findet. Und dann die Schicksalsstunde die die Welt in Atem hält: Der Erste Weltkrieg bricht aus.

Die drei Männer sind in einem Regiment und geraten schnell in Gefangenschaft. Die Gefangenschaft ändert die drei Männer nachhaltig - so wie das Kaiserreich Österreich nachhaltig verändert wird. Heimgekehrt aus Krieg und Gefangenschaft hat der nicht mehr ganz so junge Protagonist Schwierigkeiten sich anzupassen, in dem was von der glanzvollen Monarchie übrig geblieben ist: Nichts ist übrig geblieben. Er ist kein junger Mann mehr, das Geld ist weg, die Mutter alt und schwerhörig, die junge Elisabeth will von dem flugs nach dem Ausbruch des Krieges geheirateten Gatten nicht viel wissen, die Freunde sind verarmt und desillusioniert.


Die »Kapuzinergruft« von Joseph Roth ist ein symbolischer Roman: er steht für den Glanz, den Niedergang und den totalen Untergang der KuK-Monarchie. Demokratie, Armut, soziale Unruhen, das Zerbrechen jeglicher Strukturen, all das findet sich in der Kaisergruft wieder - und die Unmöglichkeit sich an die neuen Verhältnisse anzupassen, statt in Nostalgie auf die guten alten Tage zu schwelgen. - Wenn es ein Buch gibt, das den Zusammenbruch jeglicher alter Ordnung und den Niedergang einer einstigen Großmacht wiedergibt, dann ist es dieses Buch.

Joseph Roth skizziert in diesem Buch den Abgesang auf eine große Zeit, die nie so gut war, wie erinnert, die nie wieder so gut sein wird und die Menschen, die nicht die neue Zeit verstehen wollen oder können. Wer wissen will, warum man bis dato immer noch in Österreich den Blick rührselig, stolz und anmutig nach hinten schweifen lässt und sich die gute alte Zeit herbeiwünscht, der sollte dieses Buch lesen, um ein Gefühl dafür zu bekommen. Auch für den Geschichts- oder Deutschunterricht hervorragend geeignet.

Wichtig für Trotta sind auch die beiden Figuren Branco (ein Maroniverkäufer) und Reisiger (ein jüdischer Kutscher), die das ursprüngliche und kraftvolle Leben verkörpern, nach dem sich Trotta sehnt, aber auch die Vielfalt der Völker und Kulturen der Donaumonarchie darstellen.

Dekadenz, Todesahnung, -sehnsucht und Zerfall kennzeichnen Trottas Leben im Wien der Nachkriegszeit - das letzte Mal hat er sich bizarrerweise in russischer Kriegsgefangenschaft zu Hause gefühlt.

Lesenswert wird der nicht sehr umfangreiche Roman vor allem durch die wunderschöne Prosa Roths, die einerseits reflektierende Passagen anbietet, andererseits in der Dialoggestaltung und Personenskizzierung ihre Meisterschaft zeigt.


Weblink:

Kapuzinergruft
Kapuzinergruft
von Joseph Roth

Freitag, 9. November 2018

Iwan Turgenew 200. Geburtstag

Iwan Turgenew

Der russische Schriftsteller und Erzähler Iwan Turgenew wurde vor 200 Jahren am 9. November 1818 in der Nähe von Orjol geboren. Turgenew gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des russischen Realismus. Turgenjew gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des russischen Realismus und zählt zu den großen europäischen Novellendichtern. Seine Novellistik bedeutet einen Höhepunkt der Gattung in der russischen Literatur. Er war einer der Ersten in der russischen Literatur, welche die alltäglichen Nöte und Ängste der russischen Gesellschaft thematisierten.

Nach dem Studium der Literatur und der Philosophie in Moskau, St. Petersburg und Berlin war er für zwei Jahre im Staatsdienst tätig. Danach lebte er als freier Schriftsteller und verfasste Erzählungen, Lyrik, Dramen, Komödien und Romane.

Turgenjew beherrschte mehrere Literaturgattungen. In frühen Jahren bis 1847 pflegte er vor allem die Lyrik. Ab 1855 trat er dann vermehrt als Autor von Dramen und Komödien hervor, die in ihren äußerlich wenig dramatischen Entwicklungen Züge der Dramen Tschechows vorwegnehmen.

n den Jahren von 1844 bis zu seinem Tod 1883 schrieb Iwan Sergejewitsch Turgenew 33 Novellen und Erzählungen, sechs Romane und dazu noch die 25 Erzählungen, die zu den "Aufzeichnungen eines Jägers zusammengefasst" worden sind.
Zu seinen bekanntesten Werken zählen: "Andrej Kolosow" (1844), "Der Raufbold2 (1846), "Drei Porträts" (1846), "Der Jude" (1847), "Petuschkow" (1847), "Tagebuch eines überflüssigen Menschen" (1850), "Drei Begegnungen" (1852), Mumu (1852), "Die Herberge" (1852) und die "Aufzeichnungen eines Jägers" (1852).

Ab 1855 lebte Iwan Turgenew mit nur kurzen Unterbrechungen im Ausland, besonders in Deutschland und Frankreich, von wo aus er die Unruhen im eigenen Land verarbeitete. Sieben Jahre hatte er seinen festen Wohnsitz in Baden-Baden.
Im Jahr 1883 starb Turgenew in Bougival bei Paris an Rückenmarkkrebs, der fälschlicherweise für Gicht gehalten wurde.

Die letzte Zeit seines Lebens verbrachte er im Bett. Iwan Turgenew starb am 3. September 1883 in Bougival bei Paris.


Weblinks:

200. Geburtstag des Schriftstellers Iwan Turgenjew - www.deutschlandfunk.de
Iwan Turgenew-Biografie - Biografien-Portal www.die-Biografien.de

Iwan Sergejewitsch Turgenjew – Sein literarisches Schaffen, Romane II - Turgenew Romane - ZVABlog blog.zvab.com

Iwan Sergejewitsch Turgenjew – Sein literarisches Schaffen, Erzählungen II - ZVABlog blog.zvab.com

Blog-Artikel:

»Väter und Söhne« von Iwan Turgenew

»Aufzeichnungen eines Jägers« von Iwan Turgenew


Donnerstag, 1. November 2018

»Die Unsterblichkeit« von Milan Kundera

Die Unsterblichkeit
Die Unsterblichkeit

»Die Unsterblichkeit« ist ein 1988 erschiener Roman von Milan Kundera. Der Roman besteht aus sieben Teilen, ist in Episodentechnik geschrieben und appetitlich wie eine Menuefolge konzipiert.

"Wer heute noch so verrückt ist, Romane zu schreiben, sollte wenigstens darauf achten, dass der Inhalt nicht nacherzählbar ist. Ein Roman ist schließlich kein Fahrradrennen mit Start und Ziel, er gleicht vielmehr einem Menü aus mehreren Gängen.", erklärt Milan Kundera seinem Freund Prof. Avenarius, um ihm die ungewöhnliche Struktur seines entstehenden Romans zu verdeutlichen.

Damit hat er gleichfalls den Duktus des Buches umrissen. Dessen Inhalt ist wahrhaftig schwer nacherzählbar und zum Verständnis der wunderbaren Zeilen aus der Feder des tschechischen Schriftstellers, der seit 1975 in Frankreich lebt, auch gar nicht wichtig. Kundera selbst legt die Begründung in seinen zweiten Satz. Denn wer muss und will schon die exakte Zubereitung, die detaillierten Zutaten einer genussvollen Speisenfolge kennen. Als solche zumindest kann man Milan Kunderas Werk ohne Zweifel bezeichnen. "Die Unsterblichkeit" ist ein vorzüglich "konfektioniertes", mit feinsten Ingredienzien veredeltes und perfekt angerichtetes Menü in sieben Gängen (Kapiteln).


Ein Roman soll kein Radrennen sein, sondern ein Festmahl mit vielen Gängen.

Schon die "Vorspeise" (erstes Kapitel) zeichnet sich als kleine Delikatesse aus. Kundera platziert sich selbst in einen mondänen Pariser Fitness-Club, wo er eine etwa sechzigjährige Dame beim Schwimmunterricht beobachtet. Beim Abschied von ihrem jungen Lehrer fasziniert ihn eine graziöse Handbewegung der reifen Frau, die beinahe losgelöst von ihrem nicht mehr jugendlichen Körper im Raum stehen bleibt ("Mit einem bestimmten Teil unseres Wesens leben wir außerhalb der Zeit. Vielleicht wird uns unser Alter überhaupt nur in außergewöhnlichen Momenten bewusst, und wir leben die meiste Zeit alterslos.").

Seine Protagonistin nennt er Agnes - eine Mittvierzigerin. In den folgenden zwei Jahren kreiert er häppchenweise seine "delikate Speisenfolge" - ihr familiäres Umfeld - um sie herum. Das sind zum einen ihr Mann Paul, ihre Tochter Brigitte, die so ungleiche Schwester Laura und deren Lebensgefährte sowie ihren bereits verstorbenen Vater.

Dabei scheinen einige Zwischengänge "geschmacklich" aus der Menüfolge auszubrechen. Neue Episoden werden scheinbar losgelöst eingeflochten So begegnet der Leser in einem Kapitel Goethe und Hemingway im Jenseits, die sich u. a. über Bettina von Arnim unterhalten oder er wird mit den scheinbar völlig losgelösten erotischen Abenteuern eines Mannes mit Namen Rubens konfrontiert.
Doch der Schein trügt. Alles ist wohlüberlegt, die Grundkomposition bleibt stets bewahrt. Der sogenannte rote Faden - Gibt es eine Unsterblichkeit der Seele? Falls nicht, wenigstens die Erinnerung an eine Seele in der Nachwelt? - durchzieht latent metaphorisch die gesamte Romanstruktur.

Kundera verwebt die Rahmenhandlung (der Ich-Erzähler Milan Kundera erfindet, konzipiert und vollendet seinen Roman "Die Unsterblichkeit") virtuos mit einer Binnenhandlung (Agnes und ihr direktes Umfeld). Von Zeit zu Zeit interagieren beide und beeinflussen sich gegenseitig. Fiktion und Realität interferieren kontrapunktisch, "wie wenn zwei Melodien in einer Komposition verbunden werden". Diese raffiniert verknüpften Handlungsstränge variiert er zusätzlich mit kunstvoll eingestreuten Rückblenden, Vergleichen und "poetische Zufällen" und setzt damit eine delikate, in sich absolut stimmige "Speisenfolge" zusammen, der ein lang anhaltender "Abgang" - um einen Begriff aus der Degustation zu verwenden - beschienen ist.

Mit dem "Dessert" erhalten letztendlich alle Personen ihre wohldosierte Bestimmung oder besser: tragen zur vollendeten Würze bei. Kunderas wunderbares Kaleidoskop findet seine genussvolle Gesamtvollendung.

Aber auch nach dem Zusammenschluss der einzelnen Episoden war es nie so unwichtig, über die Handlung eines Romans zu diskutieren. Jedes Kapitel ist ein Amüsement seiner selbst. Der Autor philosophiert auf genussvolle Art und Weise über die Grundstruktur des Menschseins: mal melancholisch, dann wieder durchzogen von einer schwebenden Leichtigkeit, mal ironisch oder von Zeit zu Zeit mit einer Spur Bitterkeit. Kundera spricht Themen wie Liebe, Ehe, die Bedeutung von Gesten, Körper, Geist, das Sein und die Originalität des Ichs eines Menschen, Schicksal, Tod, Trauer und Glück, Hässlichkeit und Schönheit, gemeinsames Erleben und Alleinsein, ja, die Grenzen der Welt an sich an.

Milan Kunderas Roman offenbart sich als "eine wahre Brandung von Musik": ein Buch, das philosophisch über die Grundessenzen des menschlichen Lebens nachdenkt, in die Ferne jenseits von Raum und Zeit lockt und eine unbestimmte, grenzenlose Sehnsucht verspüren lässt und alle Sinne des Lesers gefangen nimmt.

Milan Kundera hatin seinem Buch »Die Unsterblichkeit« einzelne Erzählungen zu einem Roman verdichtet. Er schreibt in dIesen Geschichten auch über sich selbst. Daneben geht es auch um einen Paul, der zwei Frauen liebt und um eine Laura, die mit Bernard nicht glücklich werden kann und um eine Dame im Schwimmbad mit einer unsterblichen Geste.

Im Literaturhimmel schwadronieren derweil Hemingway und Goethe über Ruhm und Ehre. Das ist alles ganz wunderbar, was Milan Kundera da geschrieben hat. Der Autor sinniert über Leben und Tod und über Gott und die Welt. Er tut dies mit viel Ironie und Melancholie. Der Roman ist ebenso schlicht wie grandios und sehr gescheit, mit einem Wort: meisterhaft.

Literatur:

Die Unsterblichkeit
Die Unsterblichkeit
von Milan Kundera

Mittwoch, 31. Oktober 2018

»Die Zeitmaschine« von Herbert George Wells

Herbert George Wells veröffentlichte 1895 seine düstere Utopie »Die Zeitmaschine«, die Geschichte eines Forschers, der sich eine Maschine baut, mit der er in die Zukunft reist, wo sich alles zum vermeintlichen Übel gewendet hat. Wells, der auch Historiker und Soziologe war, hatte seine größten Erfolge mit den beiden Science-Fiction-Romanen »Der Krieg der Welten« und »Die Zeitmaschine«. Entstanden ist ein Roman wider dem blinden Fortschrittsoptimismus der viktorianischen Zeit.

»Die Zeitmaschine« erzählt die Geschichte des englischen Zeitgenossen, der mit Hilfe einer eher simpel konstruierten Maschine in der Zeit vorwärts und rückwärts reisen kann und letztlich im Jahre 802.701 hängenbleibt, begeistert immer noch, und das trotz eher schlichter technischer Vorstellungen oder leicht angestaubter Sprache. Gebannt von Wells Erzählkraft erlebt man die Welt der Eloi und Morlocks, in der die einen das - durchaus wörtlich zu nehmende - Futter der anderen sind. Und man erlebt den Einfluß eines verblüfften Zeitreisenden auf diese Welt, verursacht durch seine ergreifende Liebesbeziehung mit einer Eloi.

Der Reisende, wie der Held des Romans genannt wird, trifft nur auf auf kleine menschenähnliche Wesen, die Eloi, deren Sprache äußerst primitiv ist und deren alleiniges Vergnügen darin besteht den ganzen Tag zu schlafen, zu spielen oder die von den Bäumen hängenden Früchte zu essen. Ein scheinbares Paradies, das sich der Reisende aber anders vorgestellt hatte. Doch als die erste Nacht herein bricht, verhalten sich die Eloi seltsam. Sie wirken verängstigt und ziehen sich zum Schlafen in eines der alten Gebäude zurück. Bald muss der Reisende den Grund für dieses merkwürdige Verhalten erfahren, die Morloken, eine unter der Erde lebende Kreatur mit roten Augen, die sich nicht von Früchten ernährt, sondern von Fleisch - dem Fleisch der Eloi.


Herbert George Wells

»Die Zeitmaschine«, im Jahr 1895 erschienen, ist die kühnste und poetisch reifste Leistung des genialen Visionärs Wells. Es ist sehr beeindruckend, dass Wells schon zu damaliger Zeit, vor über 100 Jahren, einen auch noch für den heutigen modernen Menschen spannenden und keineswegs veralteten Science-Fiction Roman verfasst hat. So war er beispielsweise seiner Zeit weit vorraus, wenn er sich in seinem Buch auf die vierte Dimension, die Zeit, bezieht, die wissenschaftlich erst noch von Einstein erforscht wurde.

Auch seine überraschende Zukunftsdarstellung des Jahres 802701 ist ein Beweis für die Phantasie und den Einfallsreichtum von H.G. Wells. In der Zukunft angekommen trifft der Reisende nicht etwa auf eine hochtechnisierte Gesellschaft, die alle Wissenschaften perfektioniert hat und ihm die Antworten auf all seine Fragen geben könnten, sondern findet sich plötzlich in einem paradisischen Garten wieder, in dem die Früchte an den Bäumen hängen und nur noch vereinzelte schon verfallene alte Bauten stehen. Die Zivilisation scheint verschwunden zu sein.

Wells wollte seine Landsleute mit seinen düster-utopischen Werken aus ihrer viktorianischen Selbstgerechtigkeit aufschrecken, Kritik am Imperialismus üben und vor blinden Fortschrittsoptimismus warnen. »Die Zeitmaschine« wurde richtungsweisend für die literarische Gattung der Gegenutopie und damit für eine Reihe von Werken, die aus der literarischen Landschaft des 20. Jahrhunderts nicht wegzudenken sind, etwa Zamjatins »Wir«, Aldous Huxleys »Schöne neue Welt«, Orwells »1984« und Bradburys »Fahrenheit 451«.

Weblink:

Herbert George Wells-Biografie


Literatur:

Die Zeitmaschine
Die Zeitmaschine
von Herbert George Wells

Samstag, 27. Oktober 2018

»Das Geisterhaus« von Isabel Allende


Das Geisterhaus
Das Geisterhaus

»Das Geisterhaus« war der erste Roman von Isabel Allende und zugleich ihr bislang erfolgreichstes schriftstellerisches Werk. Der Roman stellt die politischen und gesellschaftlichen Veränderungen vor und nach dem Militärputsch in Chile (1973) dar, der mit Unterstützung der USA erfolgte.

Im Mittelpunkt der Erzählung steht die Geschichte der dem Großbürgertum angehörenden Familie del Valle Trueba, deren Entwicklung die Autorin über mehrere Generationen nachzeichnet.

Der Roman spielt vor dem historischen Hintergrund einer vor dem Umbruch stehenden chilenischen Gesellschaft, die gespalten ist zwischen einer von konservativen Großgrundbesitzern feudal abhängigen Landbevölkerung einerseits und städtischen Zentren andererseits. Die städtischen Zentren bestehen aus unterschiedlichsten Welten, die miteinander kaum in Verbindung stehen: großbürgerliche Wohnviertel für die politischen und wirtschaftlichen Eliten, Elendsviertel für Arbeiter und für indigene Bevölkerungsgruppen.

Mit 80 Jahren läßt Esteban sein Leben Revue passieren. Er erinnert sich an den Tod seiner ersten Braut, die Liebe seiner Frau Clara, die Eigensinnigkeit seiner Tochter Blanca und an den Revolutionär Pedro, der sich ausgerechnet in Blanca verliebt. Und natürlich an den unehelichen Sohn Esteban, der das Unglück über die Familie bringt.

Esteban Truba ist zum Großgrundbesitzer und Politiker in Chile aufgestiegen. Die Familie, darunter seine Schwester Férula, aber auch seine Frau Clara, hat unter der harten Hand des Despoten gelitten. Im Alter wird dem Patriarchen der Hass seines unehlichen Sohnes Esteban zum Verhängnis. Viel zu spät ändert sich Truba, der die schlimmsten Niederlagen seines Lebens durch die von ihm selbst vorangetriebene politische Entwicklung, die zur Ermordung des Präsidenten Allendes führte, erleben muß.

Der aus bescheidenen Verhältnissen stammende Esteban Trueba arbeitet jahrelang in einer Goldmine, um seiner reichen Verlobten Rosa ein standesgemäßes Leben bieten zu können. Mit einem bescheidenen Vermögen in der Tasche will er sie endlich zum Altar führen, doch Rosa erliegt genau an diesem Tag einem Giftattentat, das eigentlich ihrem Vater Severo galt. Aus Trauer über ihren Tod zieht Esteban sich in die Wildnis zurück, wo er die marode Hazienda "Tres Marías" ehrgeizig wieder zur Blüte führt.

Das Geisterhaus
Das Geisterhaus


Zu Reichtum und Ansehen gekommen, findet er in Rosas jüngerer Schwester Clara, einer sanftmütigen Frau mit übersinnlichen Fähigkeiten, seine große Liebe. Clara verbindet aber auch eine intime Seelenverwandtschaft mit Estebans Schwester Férula, bis der Patriarch die Unglückliche in wilder Eifersucht aus dem Haus jagt. Seine hartherzige Haltung gegenüber seiner Tochter Blanca, die den jungen Revolutionär Pedro liebt, führt zum Bruch mit Clara, die viele Jahre nicht mehr mit Esteban sprechen wird.

Durch seinen wirtschaftlichen Erfolg beflügelt, bestimmt dieser als erzkonservativer Senator nun die Geschicke des Landes, bis er den Generälen die Möglichkeit zum Militärputsch eröffnet und schließlich von den Ereignissen überrollt wird. Seine Tochter Blanca wird verhaftet und ausgerechnet von seinem unehelichen Sohn Esteban García gefoltert, der sich der Militärjunta angeschlossen hat und so den Hass auf seinen Vater auslebt. Für den gebrochenen Patriarchen wird es Zeit zum Umdenken.

Aufwendige Verfilmung des Weltbestsellers von Isabel Allende durch den deutschen Produzenten Bernd Eichinger (“Die unendliche Geschichte”) und Palmen-Abonnent Bille August (“Pelle der Eroberer”). Ein außergewöhnliches Staraufgebot macht diesen Film zu einem Ausnahme-Ereignis. 3,7 Mio. Kino-Besucher waren begeistert.


Buchempfehlung:

Das Geisterhaus
Das Geisterhaus
von Isabel Allende

Freitag, 26. Oktober 2018

»Herbsttag« von Reiner Maria Rilke



Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

»Herbsttag« von Reiner Maria Rilke


Gedichte:

Die schönsten Gedichte - Rainer Maria Rilke
Die schönsten Gedichtee
von Rainer Maria Rilke

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von Rainer Maria Rilke