Er gilt als einer der großen Bildungromane der Literaturgeschichte: Goethes Kunsstroman »Wilhelm Meisters Lehrjahre«.
1795/96 erschien die Erstausgabe von Goethes Roman »Wilhelm Meisters Lehrjahre« in vier Bänden, die 1821 durch die Weiterführung »Wilhelm Meisters Wanderjahre« oder »Die Entsagenden« von Goethe, vielleicht auch als Antwort auf die Kritiken aus den Reihen der Romantiker, ergänzt wurde. (So erklärt Goethe im Briefwechsel mit Schiller (8. Und 12. Juli 1796) die Fortsetzung seiner Lehrjahre als „Correlatum“, das die „Meisterschaft“ zum Ziel haben müsse.) »Wilhelm Meisters Lehrjahre« gilt als klassischer Bildungsroman. Ziel dieses ersten Bildungsromans der Literaturgeschichte ist jedoch kein realistische, sondern gleichnishafte Lebensbetrachtung, deren Leser sich darin idealerweise spiegelt, gemeinsam mit dem Romanhelden in seiner Welt- und Selbstkenntnis voranschreitet und in der Rückschau zumindest ahnt, dass alles in einem sinnvollen und geradezu notwendigen Zusammenhang geschah.
Die Herkunft aus gutem Haus, der Drang zur Selbstverwirklichung, der verschlungene Lebensweg: Wilhelm Meister hat einiges mit seinem Erfinder Johann Wolfgang von Goethe gemeinsam. In die Form eines Romans gepresst, weicht Goethes Lebensschilderung doch stark von dem handlungsgetragenen Schema ab, das man mit dieser literarischen Gattung üblicherweise verbindet. Orte und Zeit der Handlung werden nie genannt. Immerhin sind sie konkret genug, um in mancher Hinsicht ein Spiegelbild Deutschlands zur Goethe-Zeit zu erkennen.
Die meisten Personennamen wie Mignon, Philine, Serlo, Melina, Jarno oder Aurelie erscheinen so fiktiv, dass man von einer realistischen Erzählung kaum sprechen kann. Das Buch ist eher ein Ideenroman, ein gewaltiges Essay zu den sich überlappenden Themen Theater und Persönlichkeitsentwicklung. Wie „meistert“ man das Leben am besten? Die Antwort auf diese Frage findet Goethes »Wilhelm Meister« vor allem im Erziehungsideal der aufklärerisch gesinnten Freimaurer. Fazit: Nicht in der (Schauspiel-)Kunst verwirklicht sich das Leben, sondern das Leben selbst ist die Kunst.
Du kannst dich also nach Belieben in der Welt umsehen, denn die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen.
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Ich hatte niemals einen Menschen ohne Schwäche gesehen; nur ist sie auffallender bei vorzüglichen Menschen.
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Das ganze Weltwesen liegt vor uns, wie ein großer Steinbruch vor dem Baumeister,
der nur dann den Namen verdient, wenn er aus diesen
zufälligen Naturmassen ein in seinem Geiste entsprungenes Urbild
mit der größten Ökonomie, Zweckmäßigkeit und Festigkeit zusammenstellt.
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Wenn wir die Menschen nur nehmen, wie sie sind, so machen wir sie schlechter; wenn wir sie behandeln, als wären sie, was sie sein sollten, so bringen wir sie dahin, wohin sie zu bringen sind.
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Wir erleben abermals hier so einen schönen Fall, dass uneigennütziges Wohltun die höchsten und schönsten Zinsen bringt.
Johann W. Goethe
Die Handlung begleitet den jungen Wilhelm von seinem Aufbruch aus bürgerlichem Hause durch vielfältige Irrungen und Wirrungen bis zum glücklichen Ende mit Sohn und Braut. Dabei begegnet er Schauspielern und Adligen, erprobt sich selbst auf der Bühne und im Geschäftsleben, erlebt (Selbst-)Täuschung, Enttäuschung und Schicksalsschläge, wird durch Vorbilder, Gespräche und Geschichten belehrt, verzweifelt am Leben, den Menschen und sich selbst auf fortwährender Suche nach dem Guten, Wahren und Schönen und erlangt schließlich doch unerwarteten Lohn für seine Mühen.
Vor allem aus den eigenen Reihen der Weimarer Klassik erntete Goethe Kritik zu diesem Werk. Nicht nur sein Freund Schiller, der seine Kritik bezüglich der Freizügigkeit des Helden sehr zart anbrachte („... mir deucht, daß Sie hier die freie Grazie der Bewegung etwas weiter getrieben haben, als sich mit dem poetischen Ernst verträgt...“ im Briefwechsel mit Schiller (8. Juli 1796)). Friedrich Heinrich Jacobi ging sogar soweit, dem Werk zu unterstellen es herrsche „ein gewisser unsauberer Geist darin“ und auch Johann Gottfried Herder wirft Goethe vor, er ließe seinen Protagonisten sich über „zarte moralische Begriffe“ hinwegsetzen (Herders Brief an die Gräfin Caroline Baudissin (1796)).
Christian Gottfried Körner und
Wilhelm von Humboldt stritten sich indessen über die Frage, ob die Lehrjahre nun die vollendete Bildung Wilhelms aussprächen oder nur dessen vergebliches Streben danach. Körner, der mit seinem Horen-Brief 1796 das wohl folgenreichste Dokument in der Rezeptionsgeschichte der Lehrjahre schuf, stand dabei auf dem Standpunkt, dass der Held der Lehrjahre, Wilhelm Meister, „seine schöne menschliche Natur“ zu einem „vollendeten Gleichgewicht - Harmonie mit Freyheit“ brächte (Die Horen 8 (1796)). Körner prägte auch den Begriff des Bildungsromans, dessen Definition in den Folgejahren immer stärkere Bedeutung gewann und für die Romantiker eine entscheidende Rolle als Kunstform spielte.
Die jungen Romantiker bewunderten das Werk, was sich am prägnantesten in Friedrich Schlegels Fragment über die drei großen Tendenzen des Zeitalters zeigt, erschienen 1798 im „Athenäum“, der Programmzeitschrift der Jenaer Romantiker, in dem er schreibt: „Die französische Revolution, Fichtes „Wissenschaftslehre“ und Goethes „Meister“ sind die größten Tendenzen des Zeitalters.“.
Literatur:
Wilhelm Meisters Lehrjahre
Weblinks:
Johann W.Goethe Biografie - www.die-biografien.de
Johann W. Goethe Wilhelm Meister-Zitate - www.die-zitate.de